Amtsposse in Berlin-Kreuzberg
Die Audre-Lorde-Straße gibt es offiziell seit September vergangenen Jahres. Doch so gut wie niemand wusste davon - nicht die Post oder Lieferdienste und auch nicht die Anwohner. Nun wurde sie eingeweiht. Doch die Verwirrung geht weiter. Von Andre Kartschall
Es ist ein wunderschöner Freitagnachmittag in Berlin-Kreuzberg und in einer abgesperrten Nebenstraße wird es gleich um die ganz großen Fragen von Politik und Gesellschaft gehen. Rund 200 Menschen sind gekommen, um die "Audre-Lorde-Straße" feierlich einzuweihen.
Die Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (B90/Grüne) betritt die Bühne und entschuldigt sich als erstes. Dafür, dass es "länger gedauert hat" mit der Straßenumbenennung eines ehemaligen Teils der Manteuffelstraße. Das Stück, das nun den Namen Audre-Lorde-Straße trägt, heißt offiziell bereits seit September 2023 so. Es hatte zunächst nur niemand mitbekommen. Doch dazu später mehr.
"Es ist so ziemlich alles schief gelaufen, was schief gehen kann", sagt Herrmann. Dann spricht sie darüber, dass die Straßennamen in Berlin "mehr Diversität" vertragen könnten, "weil das auch Machtverhältnisse ausmacht". Diese Idee stand auch am Anfang der Umbenennung.
Die Bezirksverordnetenversammlung des links-grün-geprägten Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich entschlossen, einen Teil der Manteuffelstraße nach einer Feministin - Audre Lorde - zu benennen. Otto Theodor Manteuffel, der Namensgeber der alten Straße, war im 19. Jahrhundert preußischer Ministerpräsident und galt als glühender Royalist.
Audre Lorde war eine afroamerikanische Feministin, die in den 1980er und 1990er Jahren an der FU Berlin lehrte. Sie selbst nannte sich "a black feminist lesbian woman" - "eine Schwarze feministische lesbische Frau".
Da der Bezirk bereits vor fast 20 Jahren beschlossen hatte, Straßen und Plätze möglichst nur noch nach Frauen zu benennen, passte die Idee also fast schon ideal zu Vorgaben und Zeitgeist. Im September wurde die Namensänderung vollzogen. Damit begannen die Probleme. Denn bis auf Liebhaber öffentlicher Bekanntmachungen fiel das niemandem auf.
Erst nach Monaten wurde einigen Bewohnern der Manteuffelstraße plötzlich klar, dass sie zu Bewohnern der Audre-Lorde-Straße geworden waren. Einige Krankenkassen hatten die Namensänderung offenbar intern schon in ihren Datensätzen nachvollzogen - was irgendwann auch einzelnen Versicherten auffiel. Die Geschichte von der unbemerkten Umbenennung machte schnell die Runde. Kurz darauf offenbarte sich das Chaos, das die Entscheidung ausgelöst hatte.
Zwar trug der betroffene Straßenabschnitt nun offiziell den neuen Namen - schließlich war die Änderung im Amtsblatt veröffentlicht worden. Doch überall prangten noch die alten Straßenschilder mit der Aufschrift "Manteuffelstraße". Die knapp 1.600 betroffenen Anwohner und Anwohnerinnen waren überrascht, die Presse wurde wach, das rbb-Fernsehen kam vorbei und sammelte Zitate verwunderter Bewohner: "Ich verstehe nicht, warum ...", "nicht mal unsere Hausverwaltung wusste, dass wir eine neue Adresse haben" und "ich find's nicht gut" hatten die Nachbarn zu berichten.
Zur Verwirrung trug auch bei, dass einzelne Postsendungen und Pakete bereits an die neuen Adressen versandt wurden - von denen die Adressaten aber gar nicht wussten, dass sie mittlerweile dort wohnten. Die Folge: Pakete stapelten sich bei örtlichen Annahmestellen und wurden nicht abgeholt. Der Bezirk riet Betroffenen, sich mit den Dienstleistungsunternehmen ins Benehmen zu setzen und die Probleme selbst zu klären.
Als Grund, warum über Monate keine neuen Straßenschilder montiert wurden, führte die Verwaltung an, dass der Vorgang der Umbenennung unvorhersehbare Probleme verursacht habe. Es handele sich in diesem Fall lediglich um eine Teilumbenennung, weil das südliche Ende der Manteuffelstraße ja den alten Namen behalte. Eine Komplettumbenennung wäre wohl einfacher gewesen.
So aber ergebe sich ein ganz spezielles Problem: die alten Hausnummern könnten so nicht bleiben. Im Grunde müssten beide Straßen nun neu durchnummeriert werden, denn eine Unterbrechung in der Ziffernfolge sehe die Rechtslage nicht vor.
Zudem habe es noch eine weitere Panne gegeben. Offenbar hatte niemand bedacht, dass kurz vor Wahlen Straßen nicht umbenannt werden sollen. Damit sollen Missverständnisse im Wählerverzeichnis vermieden werden. Die Wiederholungswahl für den Bundestag sowie die Europawahl am 9. Juni fanden nun aber mitten im Namenswirrwarr statt. Warum all das nicht absehbar gewesen sein soll, hat bislang niemand genau erklärt.
Am Freitagnachmittag aber ist die Stimmung bei den Anwesenden prächtig. Es gibt Musik sowie Reden von Wegbegleiterinnen von Audre Lorde (1934-1992). Oft geht es um Selbstbestimmung und Emanzipation und wie schwierig es zu Lebzeiten Lordes war, lesbisch, Schwarz und feministische Aktivistin zu sein.
Bürgermeisterin Herrmann sagt, dass sie sich - na klar - sehr freue, dass sie die Straße nun endlich einweihen dürfe. Nur die Neunummerierung der nunmehr zwei Straßen - Manteuffel- und Audre-Lorde-Straße - steht noch aus.
Auf die Frage, wann das erledigt werde, antwortet sie mit "Richtung August". Genaueres könne das Bezirksamt sagen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.06.2024, 10:10 Uhr
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Beitrag von Andre Kartschall
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