Quereinsteiger in Berlin
Berlin fehlen Lehrer. Gleichzeitig steigen aber die Schülerzahlen. Das alles wird auch in den kommenden Jahren so bleiben, sagt die Senatsbildungsverwaltung voraus. Deshalb sind die Schulen auch künftig auf sogenannte "Quereinsteiger" angewiesen. Von Wolf Siebert
Die Schülerinnen und Schüler einer 10. Klasse der Johanna Eck-Sekundarschule in Berlin-Tempelhof stehen in roten Schürzen in der Schulküche. Im Rahmen der Projekttage bereiten sie ein Catering für einen "Musischen Abend" mit Musik, Kunst und Theater vor, zu dem 80 Gäste erwartet werden. Es gibt Wraps mit Pilzfüllung, Lemon Merengue und Mini-Quiches. Lehrerin Luisa Desole gibt Anweisungen.
Die 41-jährige war mal eine "Quereinsteigerin". Eine von vielen in Berlin - wie viele genau, weiß niemand. Denn Quereinsteiger, die ihre pädagogische Ausbildung nachgeholt haben, werden in der Statistik als normale Lehrer geführt. In diesem Schuljahr sind 2.146 Quereinsteiger mitten in der Ausbildung, teilt die Schulverwaltung mit.
Bevor sie in den Schuldienst gewechselt ist, war Luisa Desole Architektin. Außerdem hatte sie noch ein Catering-Unternehmen. Ihre ersten Wochen als Vertretungslehrerin in Neukölln seien dann hart gewesen. "Man muss immer da sein, denn jeden Moment kann etwas passieren, das hat echt geschlaucht", berichtet die 41-Jährige.
Nachdem es zu einem "Clash" mit ihrer Klasse kam, merkte sie, dass nicht alle sie mögen müssten. "Oder dass die mich auch mögen, wenn ich sage, was ich hier gerade blöd finde", so Luisa Desole. Durch die intensive Unterstützung des Kollegiums kam sie damals gut durch diese Krise durch. Aber auch, weil sie die entsprechenden Signale setzte und um Hilfe bat.
Mit den Schülern redet sie ganz offen über ihre berufliche Vorgeschichte, und dass es Biographien "mit Ecken und Kanten" gibt. Die meisten Lehrkräfte hätten Schule, Uni und wieder Schule erlebt, so Desole. "Wie läuft es da draußen aber wirklich? Wie laufen Bewerbungsgespräche ab? Die meisten Lehrer können sich das zwar bestimmt vorstellen, aber es wirklich gelebt zu haben, und wie gut man es hier hat, wie man in der Schule wirken kann, das ist dann doch noch mal was anderes", meint die Lehrerin. Gedanken, die man ähnlich auch von anderen Quereinsteigern hört.
Um unterrichten zu können, musste Luisa Desole das Fach "Wirtschaft, Arbeit, Technik" nachstudieren. Beim zweiten Fach - Mathematik - wurden ihr die Kenntnisse aus dem Architekturstudium anerkannt. Nach erfolgreichem Referendariat ist sie inzwischen an der Johanna-Eck-Sekundarschule. Und die Schüler, die an diesem Tag das Catering vorbereiten, sind zufrieden mit ihrer Lehrerin. "Mit manchen Lehrern habe ich Probleme, aber sie ist gut in ihrem Job", sagt Schülerin Haura. "Sie versteht, wenn Schüler mit etwas ein Problem haben."
Video: rbb24 Abendschau | 15.07.2024 | Freya Reiß | Studiogast: Prof. Felicitas Thiel, FU
Luisa Desoles erfolgreicher Wechsel in die Berliner Schule ist kein Einzelfall. Allein an der Johanna Eck-Schule sind fünf von 60 Lehrern aktuelle oder ehemalige Quereinsteiger. Darunter ist auch der studierte Mathematiker Ernst-Ludwig Wirl. An der Humboldt-Universität hat er über Primzahlen promoviert, an der Johanna-Eck-Schule unterrichtet er nun Siebt- bis Zehnt-Klässler in Mathematik.
2011 hatte er hier als Vertretungslehrer begonnen und ist geblieben. "Schulleitung und Kollegium haben von Anfang an Vertrauen in mich gesetzt, obwohl ich keinerlei Unterrichtserfahrung hatte", sagt Wirl. Der 48-Jährige sagt auch, dass man als Quereinsteiger an dieser Schule überdurchschnittlich motiviert und engagiert sein muss: "Wer das nur macht, weil er draußen nicht mehr vorankommt, für den wird das sehr schwer." Die Schüler würden das auch merken, "ob jemand das wirklich machen will, weil er ihnen was beibringen will oder das nur als Notlösung für sich sieht."
Schulleiter Engin Catik ist von "seinen" Quereinsteigern überzeugt. Sie bringen ein neues "Mindset" mit, sagt er. Damit meint er den Wunsch, etwas verändern zu wollen, und das tue dem System Schule gut.
Damit der Quereinstieg gelingt, muss aber einiges zusammenkommen: ein motivierter Berufsanfänger, der stressresistent ist und Lust auf diese neue Welt hat, eine kooperative Schulleitung und ein unterstützendes Kollegium, das sich viel Zeit nimmt. "Wenn aber zu viele Menschen gleichzeitig bei uns den Quereinstieg versuchen, dann ist das eine Herausforderung. Denn das ist nicht nur eine große Belastung für den neuen Lehrer, sondern auch für die anderen Lehrer", sagt der 38-Jährige. Die müssten die Neuen durch Mentoring begleiten, und das koste Kraft und Energie.
Von anderen Quereinsteigern hört man, dass das Mentoring in der Einstiegszeit hilfreich, wenn auch zu kurz ist. Eine Verlängerung könnten die Schulen nur durch zusätzliche Finanzhilfen des Landes bezahlen. Die Berliner Schule wird auch künftig auf gut ausgebildete und gut betreute Quereinsteiger angewiesen sein.
Sendung: rbb24 Abendschau, 15.07.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Wolf Siebert
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