15 Jahre "Freie Heide"
Tiefflüge, Bombenabwürfe, Übungen – bis in die 1990er Jahre nutzte das sowjetische Militär die Kyritz-Ruppiner Heide als Bombodrom. Die Bundeswehr hatte ähnliche Pläne. Doch Einwohner wehrten sich. Vor genau 15 Jahren wurden die Pläne aufgegeben. Von Björn Haase-Wendt
Unberührte Natur, die Vögel zwitschern, ein Blick weit bis zum Horizont: Die Kyritz-Ruppiner Heide ist heute ein Paradies für Menschen, die die Ruhe suchen. Doch es hätte anders kommen können.
Die Bundeswehr wollte den früheren sowjetischen Truppenübungsplatz zwischen Neuruppin, Rheinsberg und Wittstock in Ostprignitz-Ruppin nach der Wende weiternutzen. "Das hätte bedeutet, dass hier in der Luft Übungen stattfinden, aber auch ganz viele Bodentruppen unterwegs sind", sagt Ulrike Laubenthal aus Zempow bei Wittstock. Dabei hatten die Menschen in der Region die Hoffnung, dass nach der Wende die Ruhe einkehrt.
Schon die Rote Armee hatte über 40 Jahre lang das dünnbesiedelte und weitläufige Waldgebiet genutzt. Im Norden der Heide entstand ein Schießplatz für Heereswaffen, im Süden und weit größeren Teil der Luft-Boden-Schießplatz, auf dem der gezielte Luftangriff geübt wurde. Für die Einwohner wie Gabriela Wäbersky aus Rägelin bedeutete das: Militärpräsenz, Lärm und auch Gefahr, etwa durch Fehlabwürfe. "Die ganzen Flieger haben genervt, die Türen, Scheiben, das Geschirr hat gewackelt. Die waren so tief, man konnte denen teilweise ins Cockpit reinschauen", erinnert sich die Rägelinerin.
Als 1992 die Bundeswehrpläne zur Weiternutzung des Truppenübungsplatzes bekannt wurden, formierte sich der Widerstand. Anwohner, Unternehmer, Kirchenmitglieder, aber auch Politiker engagierten sich unter anderem in der Bürgerinitiative "Freie Heide". Innerhalb weniger Wochen vernetzten sie sich und fanden auch eine neue Form des Widerstands: Protestwanderungen.
"Da haben die Menschen zusammengesessen und gesagt, wir wollen eine Aktionsform, die zeigt: Wir möchten in dieser Landschaft einfach nur friedlich spazieren gehen können", erinnert sich Ulrike Laubenthal vom Verein Friedensscheune aus Zempow, der die Geschichte der "Freien Heide" bewahren will. Auch sie hatte sich an den Protestaktionen beteiligt. Von den Dörfern und Städten entlang des Truppenübungsplatzes zogen die Teilnehmer an den Rand des Sperrgebiets. "Wir machten damit deutlich, dass wir eigentlich weiterwollen", sagt Laubenthal. Vielen war klar: Die Region kann wirtschaftlich und touristisch nur vorankommen, wenn das sogenannte Bombodrom Geschichte ist und es keine Bombenabwürfe mehr über der Heide gibt.
Schnell schlossen sich Tausende den Protestaktionen an, aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch aus dem gesamten Bundesgebiet. Bei einer der ersten Protestwanderungen war auch Brandenburgs damaliger Umweltminister und späterer Ministerpräsident, Matthias Platzeck (SPD) dabei. "Das wird nicht in wenigen Wochen hier vorbei sein. Man wird so lange weitermachen müssen, und da gibt es Beispiele in Europa, dass es Jahre lang gedauert hat, bis man wirklich Erfolg hat."
Matthias Platzeck sollte Recht behalten: Nach 17 Jahren, rund 110 Protestwanderungen mit insgesamt mehr als 350.000 Teilnehmern und fast 30 Klagen verkündete der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) das Aus für das Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide.
Der 9. Juli 2009 hat sich bei vielen in der Region ins Gedächtnis eingebrannt, etwa bei Mario Schrumpf, dem heutigen Chef des Naturparks Stechlin-Ruppiner Land, zu dem auch das frühere Bombodrom gehört. "Wir haben uns getroffen, alle haben sich in den Armen gelegen, alle waren glücklich. Dieses Gänsehautgefühl war für mich vergleichbar mit der Öffnung der Mauer in Berlin, was ich auch live erlebt habe", sagt der Naturpark-Chef.
Auch Schrumpf hatte sich an den Protesten gegen das Bombodrom beteiligt und entwickelt die Kyritz-Ruppiner Heide heute weiter. Vor gut anderthalb Jahren konnte ein gut 1.000 Hektar großes Gebiet im südlichen Teil zwischen Rossow, Pfalzheim und Neuglienicke aus dem Sperrgebiet entlassen werden.
Dort können die Besucher nun die einzigartige Heidelandschaft erleben, etwa mit der wunderbar lilafarbenen Blüte im Spätsommer oder bei Nacht: "Die Kyritz-Ruppiner Heide ist einer der dunkelsten Orte Deutschlands. In Berlin kann man keine Milchstraße beobachten. Hier bei uns ist das ein Traum die Milchstraße in jedem Detail zu sehen", schwärmt Schrumpf.
Die Heidelandschaft soll deshalb auch zum Sternenpark ausgewiesen werden, es wäre nach dem Westhavelland der zweite in Brandenburg. Noch in diesem Jahr wollen der Naturpark und der Landkreis Ostprignitz-Ruppin einen entsprechenden Antrag stellen. So will die Region künftig Astro-Touristen anziehen und spezielle Sternenbeobachtungsplätze einrichten. Aber schon heute ist zumindest ein kleiner Teil der Heide erlebbar: zu Fuß, per Rad oder Kremser.
Der Großteil wird aber weiter Sperrgebiet bleiben, zu groß ist dort die Gefahr. Denn die sowjetischen Truppen hatten in der Kyritz-Ruppiner Heide regelmäßig den Bombenabwurf geübt. Dazu wurde im Waldgebiet ein Nato-Flughafen nachgebildet, der gezielt aus der Luft angegriffen wurde. "Das war kein komplett ausgebauter Flughafen, aber er war in seinen Dimensionen und Strukturen ein Fake von einem Militärflughafen, so dass die übenden Piloten genau diese Strukturen angegriffen haben", erklärt Rainer Entrup vom Bundesforstbetrieb Westbrandenburg, der im Auftrag des Bundes für die Konversionsflächen in der Kyritz-Ruppiner Heide zuständig ist.
Dabei kamen auch Streubomben zum Einsatz. Aus den großen Metallbehältern – sogenannten Mutterbomben- hatten sich hunderte kleine tennisballgroße Sprengsätze über weites Gebiet verteilt. Viele explodierten aber nicht, sondern liegen bis heute als gefährliche Blindgänger im Boden von Teilen der Heidelandschaft. Seit sieben Jahren läuft deshalb die aufwendige Beräumung. Im Fokus ist dabei ein etwa 1.100 Hektar großes Gebiet, das laut den Kampfmittelexperten als besonders belastet gilt.
Täglich sind dort rund 180 Männer und Frauen von zwei Kampfmittelbergungsfirmen im Einsatz, um die Flächen zu erkunden und die Sprengsätze, andere Bomben und Militärschrott zu bergen. "Da werden 50 mal 50 Meter große Quartiere abgesteckt. Dann gehen immer zwei Mann mit der Sonde rein und arbeiten systematisch die Fläche ab", erklärt Rainer Entrup das Vorgehen.
Schlagen die Sonden an, werden die Funde genaustens dokumentiert. Denn Pläne oder Karten von den Abwurforten gibt es nicht. Für die Trupps ist die Arbeit auch eine Herausforderung. Zum einen aufgrund der großen Verdachtsfläche, zum anderen der gezielte Auftrag: das Finden und die Beseitigung der Streuwaffen. "Wir haben ein definiertes Suchziel. Kleinere Sachen sollen nach Möglichkeit liegen bleiben, damit der Räumfortschritt nach vorne geht", sagt Sven Bartholomäus, Projektleiter bei der "Schollenberger Kampfmittelbergung". Von anderen Einsatzorten kenne er das nicht: "Dort wird komplett freigeräumt, also für das Messgerät piepfrei."
Auf der Verdachtsfläche in der Kyritz-Ruppiner Heide ist das aber nicht machbar, auch weil die Zeit drängt. 2010 hat Deutschland das Oslo-Abkommen unterzeichnet, mit dem Streuwaffen international geächtet werden. Heißt auch: "Eigentlich hätten schon vor vier Jahren die Streuwaffen in der Heide beseitigt worden sein müssen. Weil das aber nicht zu schaffen war, bekam Deutschland eine Fristverlängerung bis Ende 2025.
"Ich denke, wir kommen an das Ziel sehr dicht ran. Wir haben jetzt noch große Flächen in Vorbereitung, aber es muss gut laufen in diesem und nächsten Jahr", sagt Rainer Entrup vom Bundesforstbetrieb. Bisher wurden 64 Prozent der Verdachtsfläche geräumt. Dabei haben die Teams fast 7.100 Streuwaffen gefunden, aber auch anderen großen Militärschrott – insgesamt fast 2.600 Tonnen. Am Ende wird die Beräumung der besonders belasteten Fläche rund 200 Millionen Euro kosten, so die aktuellen Schätzungen.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 10.07.2024, 19:45 Uhr
Beitrag von Björn Haase-Wendt
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