Interview | Architekt Neues Synagogenzentrum
Im Vorfeld wurde viel gestritten, nun muss das Potsdamer Synagogenzentrum vieles sein: religiöser Raum, Ort für Gemeinschaft und Öffentlichkeit. Architekt Jost Haberland über Herausforderungen und Kompromisse beim ersten Sakralbau seines Büros. Das rbb Fernsehen überträgt die Eröffnung der Synagoge live ab 11 Uhr
rbb|24: Herr Haberland, diese Synagoge ist der erste Sakralbau Ihres kleinen Büros. Wie begegnet man einem solchen Projekt?
Jost Haberland: Wir sind eigentlich auf Schulbauten spezialisiert. Aber in gewissem Sinne ist eine Synagoge auch eine Schule, ein Beth Midrasch, ein Bet- und Lehrhaus. Uns hat das Projekt sehr gereizt. Es ist auch ein Bau für die Gemeinschaft. Nachdem wir den Wettbewerb gewonnen hatten, 2009, haben wir uns in all den Jahren sehr intensiv mit Synagogenbau und jüdischer Religion auseinandergesetzt. Das war eine sehr spannende Erfahrung.
Gab es besondere Herausforderungen bei diesem Projekt?
In Potsdam zu bauen, ist schon an sich eine große Herausforderung, weil eigentlich jeder prämierte Wettbewerbsentwurf anschließend in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert wird. Es war zudem kein einfaches Grundstück: Wir mussten auf sehr kleiner Fläche ein großzügiges Raumprogramm organisieren. Aber natürlich waren auch die Bestimmungen, die sich aus der jüdischen Religion für einen Synagogenbau ergeben, neu und ungewohnt. Damit mussten wir uns erst einmal vertraut machen. Und dabei ist eine ganz neue Welt für uns aufgegangen. Eine Erfahrung für unser Büro, die wir nicht missen möchten.
Wie hat sich das im Prozess des Planens und Bauens ausgedrückt?
Durch die Lage in der historischen Innenstadt in Potsdam war uns eine Parzelle mit 600 Quadratmetern vorgegeben, auf der wir eine Geschossfläche von 2000 Quadratmetern unterbringen mussten. Das Raumprogramm ging quasi nur gestapelt. Und das dann gemäß den Regeln des jüdischen Religionsgesetzes. Hinzu kamen noch sehr strenge Auflagen für Sicherheit und Technik.
Was waren die Knackpunkte dabei?
Der Knackpunkt ist, dass diese religiösen Bestimmungen eigentlich nicht so richtig festgeschrieben sind. Wenn Sie den einen Rabbiner fragen, ist es nicht gesagt, dass der andere Rabbiner der gleichen Meinung ist. Das hatte konkrete Auswirkungen. Es gab eine lange Diskussion darüber, in welchem Geschoss die eigentliche Synagoge, der Betraum positioniert sein sollte. Im Wettbewerb wurde von einem Rabbiner die Meinung vertreten, es dürfe oberhalb dieses Synagogenraums kein anderer Raum sein. Daher brachten wir ihn im Entwurf im obersten Geschoss unter. Als es an die Realisierung ging, kam dann von anderer Seite die Meinung auf, die Synagoge gehöre ins Erdgeschoss. Und wieder wurde lange gestritten. Nun befindet sich der Betraum im ersten Obergeschoss, ein Kompromiss.
Nicht nur darüber hat es jahrelangen Streit gegeben. Es wurden um diese Synagoge mit Gemeindezentrum regelrechte Grabenkämpfe geführt. Es kam zu mehreren Spaltungen der jüdischen Gemeinde und erbitterten Auseinandersetzungen um die Fassade, um die innere Ausgestaltung, ganz grundsätzlich um ästhetische und religiöse Aspekte. Das ganze Projekt lag zwischendurch auf Eis. Wie blicken sie heute auf diese harten Auseinandersetzungen?
Dieser langjährige Streit zwischen den verschiedenen jüdischen Gemeinden um die Gestalt der Synagoge wurde vor allem auf dem Rücken der Architektur ausgetragen. So habe ich das empfunden. Ich denke, es war vor allem ein Machtkampf zwischen den jüdischen Gemeinden, wer diese Synagoge bespielen und bekommen sollte.
Hatte dieser Streit konkrete Auswirkungen auf den Bau?
Ja, unmittelbar. Unser Ursprungsentwurf war architektonisch sehr reduziert geplant, orientiert an skandinavischen Vorbildern. Wir hatten dort zuerst einen sehr introvertierten Raum als Synagogenraum vorgesehen, nur mit einem Fensterschlitz Richtung Jerusalem orientiert. Angelehnt an die Tradition des Synagogenbaus im Nachkriegsdeutschland. Jetzt haben wir dort sieben parabelförmige Fenster zur Straßenseite, die die Fassade markieren. Es war explizit ein Wunsch der jüdischen Gemeinden, sich mehr zur Stadt zu öffnen. Wir haben dieses Thema aufgenommen und das architektonisch umgesetzt.
Welche speziellen Dinge gibt es bei einem Synagogenbau zu beachten?
Die ganze Elektrik, Lichtschalter, Türen, Aufzüge, all das muss so ausgelegt sein, dass es für einen orthodoxen Schabbat-Gottesdienst nutzbar ist, an dem solche Schalter zum Beispiel nicht normal benutzt werden dürfen. Dafür haben wir spezielle Relais aus Israel besorgt. Und eine besondere Herausforderung war natürlich die Mikwe [das Tauchbad, Anm.d.Red.]. Sie liegt im Keller und wird allein mit Regenwasser gespeist, was vom Dach in einen Tank geleitet und gefiltert wird. Dieser eigens zertifizierte Filter kommt aus Israel. Wir haben dafür die Expertise eines israelischen Rabbiners und internationalem Spezialisten eingeholt.
Sie mussten viele Kompromisse eingehen. Das Synagogenzentrum ist aber auch gestalterisch ein Haus der Gegensätze.
Ja, das war unser gestalterisches Prinzip: Nach außen kubisch, sachlich, etwas archaisch. Im Innern gibt es aber geschwungene Wände und Decken. Im Synagogenraum wollten wir damit an das biblische Stiftszelt erinnern. Dann haben wir bewusst auf heimische Materialien gesetzt. Mobiliar aus heller Eiche, eine Fassade im typisch märkischen Klinker, sandsteinfarben. Die Bodenplatten hingegen erinnern an den berühmten Jerusalem-Kalkstein. Auch wenn wir sie aus einem Steinbruch in Bulgarien besorgt haben.
Es gab während der langen Planungs- und Bauphase immer wieder scharf formulierte Einwände gegen ihren Bau. Wie sind Sie damit umgegangen?
Man hat uns den Vorwurf gemacht, das wäre weder ein Sakralbau noch eine würdige Synagoge. Vielen Leuten war unser Entwurf zu einfach. Man wollte mehr Pathos. Wir sind dieser Kritik aber auch begegnet. Ich würde das schon als einen würdigen Bau für die Potsdamer Jüdinnen und Juden ansehen. Aus meiner Sicht hätte das alles noch viel einfacher und zurückhaltender gestaltet sein können, vor allem mit viel weniger Technik und Sicherheit. Aber so sind die Gegebenheiten. Und letztlich stand schon der Wunsch nach etwas Repräsentativem im Raum.
Wie schwierig war es, einen Bau, der auch in die Potsdamer Stadtgesellschaft hineinwirken soll, zu realisieren bei gleichzeitig hohen Sicherheitsauflagen?
… die sich durch den Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 und seit dem 7. Oktober erst recht noch verstärkt haben. Einfach war es nicht, aber ich denke, dass wir dennoch ein offenes Haus konzipiert, haben: Große Fenster, durch die man in den Synagogenraum schauen kann. Ein weiter Eingangsbereich und ein Erdgeschoss, dass auch für Besucher von außen konzipiert ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Carsten Dippel.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.07.2024, 9:45 Uhr
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