Verdacht von Eigentümer
Seit Jahren steht Brandenburg an der Spitze der bundesweiten Waldbrandstatistik. Verantwortlich dafür sind vor allem zwei Flächen: Die Wildnisgebiete bei Jüterbog und Lieberose, die immer wieder brennen. An Zufall glaubt kaum noch einer. Von André Kartschall
Raimund Engel betritt die Waldbrandzentrale im brandenburgischen Wünsdorf (Teltow-Fläming) und schaut auf eine Monitorwand. "Wie sieht es denn aus heute?", fragt Brandenburgs Brandschutzbeauftragter in den Raum. "Heute ist es ruhig, keine Vorkommnisse", heißt die Antwort. Eine einzige Rauchsäule ist zu sehen. "Die Bundeswehr auf den Heidelandflächen, die flämmt heute wieder ab", erzählt der Mitarbeiter.
"Abflämmen", sprich: die Heide von ungewünschtem Bewuchs befreien - durch ein gezieltes Feuer. Das dient auch dem Brandschutz. "Na gut, ist ja angemeldet, das ist ja kein Problem", sagt Engel. Für Mitte Juli herrscht heute eine ungewöhnlich entspannte Lage, keine Waldbrände nirgends.
In Wünsdorf laufen die Signale von mehr als 100 Kameras zusammen. Algorithmen werten automatisch aus, welche Dampf- oder Rauchentwicklung auf einen Brand zurückzuführen sein könnte. Ist ein Brand identifiziert, kann die Ortung bis auf 20 Meter Umkreis genau erfolgen.
Brandenburg hat aufgerüstet. Kein anderes Bundesland ist so gut ausgestattet in Sachen Waldbrandbekämpfung. Und kein anderes Bundesland ist von so vielen Waldbränden betroffen. Neben der Zahl der Brände ist es vor allem die Größe der jährlich verbrennenden Gesamtfläche, die Brandenburg abhebt. 765 Hektar waren es im vergangenen Jahr - der Spitzenplatz. Auf Platz zwei folgte Mecklenburg-Vorpommern mit 192 Hektar.
Dabei waren es in den vergangenen Jahren gerade einmal zwei Waldgebiete, die Brandenburg den Titel als Brandland Nummer 1 garantierten: die Wildnisgebiete Jüterbog (Teltow-Fläming) und Lieberose (Dahme-Spreewald). Wenn dort eine Rauchsäule aufsteigt, ist Großalarm.
Beide Gebiete sind ehemalige Truppenübungsplätze, also munitionsbelastet. Löscharbeiten sind daher aus Sicherheitsgründen sehr schwierig. Deshalb brennen hier auch regelmäßig so große Flächen ab - die Feuer dürfen oft schlicht nicht effektiv bekämpft werden.
Die Munition selbst galt jahrelang als mögliche Ursache dafür, dass hier überhaupt Feuer ausbrechen. Phosphorhaltige Leuchtspurgeschosse etwa, die sich bei großer Hitze und Trockenheit selbst entzünden - und dann den Wald in Brand setzen.
Davon geht Engel schon länger nicht mehr aus. Die schiere Anzahl der größeren Brände spreche dagegen. Seit 2017 zählte er zehn größere Feuer in Jüterbog und 14 in der Lieberoser Heide.
"Wir haben natürlich auch viel mehr ehemalige Übungsplätze im Land Brandenburg", sagt Engel. Doch nur Jüterbog und Lieberose ragten aus der Statistik hervor. "Es hat bei weitem nicht so oft in der Wittstocker Heide gebrannt, in der Uckermark, in Wünsdorf auf den Übungsplätzen."
Damit beginnt Engel seine Aufzählung der Auffälligkeiten. Ein Brand würde sich gewissermaßen an den anderen reihen. Wie bei einem Puzzle seien nach und nach jeweils benachbarte Flächen betroffen gewesen - als ob jemand systematisch die einzelnen Parzellen der Wildnisgebiete abbrennen wollte.
Außerdem brennt es besonders häufig zu Wochenbeginn. Fast 40 Prozent aller Großbrände in Jüterbog und Lieberose begannen an einem Montag. "Auffällig", sagt Engel mit Blick auf die langjährige Waldbrandstatistik seiner Behörde. Normalerweise verteilen sich Brände recht gleichmäßig über alle Wochentage. Auffällig sei es auch, "wenn wir Brandereignisse haben, die kurz nach Beendigung der Überwachungszeit auftreten", so Engel.
Die Waldbrandzentrale mache bei Gefahrenstufe 4 um 19 Uhr Feierabend. Es stellten sich Fragen, wenn "Brände dann um 19:10 Uhr ausbrechen und das wiederholt auftritt". Engels Liste der Merkwürdigkeiten ist lang. Vieles davon will er nicht zitiert sehen. Einige Informationen könnten leicht als "Anleitung zum Wald anzünden" missbraucht werden.
Unter dem Strich ist er sich sicher: Selbst entzündete Munition könne vielleicht ein oder maximal zwei Brände erklären. Engel formuliert vorsichtig: "Es gibt genügend Hinweise, dass vorsätzliche Brandstiftung zu manch einem Brandereignis in diesen Regionen geführt hat." Da steht die Frage im Raum, wer in jedem Sommer immer dieselben Gebiete anzündet.
Wenn man sich rund um die beiden Wildnisgebiete umhört, findet man viele Menschen, die die Feuer umtreiben: Politiker, Mitarbeiter von Ermittlungsbehörden, Feuerwehrleute, Anwohner. An die These von der selbst zündenden Munition glaubt kaum jemand, an Brandstiftung hingegen fast jeder. Doch Interviews will niemand geben.
Fast jeder hat eine Theorie, was in Jüterbog und Lieberose los ist. Gesucht werde eine oder mehrere Personen, die sich in den Gebieten extrem gut auskennen, wissen, wie man Feuer so legt, dass sie sehr schnell sehr groß werden und von der Tat quasi keine Spuren zurückblieben. Zudem würden sie über eine geradezu intime Ortskenntnis verfügen. Diese sei so ausgeprägt, dass es den Tätern sogar gelinge, die in den Wäldern aufgehängten Wildtierkameras zu umgehen.
Irgendwann kommt der Hinweis, dass beide Wildnisgebiete demselben Eigentümer gehören: der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg. Diese hat das Ziel, aus den ehemaligen Truppenübungsplätzen echte Wildnis zu machen: große Reservate, die möglichst komplett sich selbst überlassen werden und wo sich die Natur entwickeln kann - ungestört von Autos, Holzwirtschaft oder Jägern.
All das führt zu einer bemerkenswerte Hypothese, unterfüttert durch zahlreiche einzelne Indizien und das beschriebene Täterprofil. Sie lautet: Die Wildnis werde ausgerechnet durch Naturschützer angesteckt. Der Grund dafür sei einfach: Auf den Gebieten stünden noch ausgedehnte Kiefernwälder, eine bei Ökofreunden unbeliebte Monokultur, die Biodiversität verhindere - und damit echte Wildnis.
Eine "Altlast" sozusagen, aus den Zeiten der Truppenübungsplätze. Der stets hinter vorgehaltener Hand geäußerte Vorwurf: Naturfreunde würden die Kiefernwälder sozusagen "abflämmen", damit anschließend eine vielfältige Wildnis entstehen könne.
An einem warmen Sommertag steht Andreas Meißner mitten auf einer Ödnisfläche im Wildnisgebiet Jüterbog. Der Chef der Stiftung Naturlandschaften ist umgeben von verkohlten Baumstämmen und jeder Menge Sand. Er kennt die Gerüchte und Verdächtigungen zur Genüge.
Meißner schüttelt mit dem Kopf und deutet auf die Landschaft: "Hier gibt es nicht mal mehr Asche, die ist weggeflogen. Und darunter ist alles vernichtet, die ganze Humusauflage ist verbrannt. Wir haben jetzt reinen Sandboden." Die These von der Wildnis, die nach einem Feuer entsteht, weist er entschieden zurück. Hier sei die Natur auf Jahrzehnte vernichtet worden: "Wir sind zurückgeworfen auf eine Situation wie nach der Eiszeit."
Dabei geht Meißner selbst von Brandstiftung aus. In der Lieberoser Heide "zu 100 Prozent", wie er sagt. Und in Jüterbog, in Anbetracht der Häufung, zunehmend. Auch er hat eine eigene Statistik angelegt. Ein Brand reiht sich an den anderen, besonders in den Jahren seit 2017. Immer öfter hat er dahinter in roter Farbe vermerkt: "Brandstiftung?"
Meißner berichtet, dass selbst ökologisch wertvolle Flächen wie Moore den Flammen zum Opfer gefallen sind. Zudem seien durch die Gebiete große Brandschutzschneisen gezogen worden. Nichts, was eine Stiftung, die ein möglichst unberührtes Wildnisreservat schaffen will, erfreuen könne.
In der Vergangenheit gab es eine Durchsuchung in Räumen der Stiftung. Eine konkrete Anklage aber gab es nie.
Meißner betont, dass er sich seinen Job auch anders vorstellen könne. Statt um die einzigartigen Wildnisflächen mit ihrer Artenvielfalt - es gibt hier nicht nur Wölfe, sondern sogar extrem selten vorkommende Wildkatze - gehe es immer nur um die Feuer. Medienanfragen, Fachbesprechungen, Vorträge: Meißner ist Waldbrandexperte wider Willen, wie er betont.
Der Stiftungschef führt stundenlang weiter durch das Wildnisgebiet, vorbei an Löschbrunnen, verbrannten Flächen und neu gewachsenen Birkenwäldchen. Auch Meißner hält sich bei den Details zu den Brandfragen bedeckt. Herauszuhören ist, dass er es nicht für ausgeschlossen hält, dass jemand der Stiftung Naturlandschaften ganz gezielt schaden will.
An diejenigen, die die Naturschützer verdächtigen, appelliert er, "dass es schön wäre, wenn man diese Menschen durch Argumente überzeugen könnte, dass sie auf dem falschen Dampfer sind". Die Vorwürfe gegen die Stiftung seien völlig unhaltbar. Meißner und seine Mitarbeiter wollten natürlich keine Feuer auf den Flächen - im Gegenteil. Man habe auch sonst genug zu tun und die Feuer seien eine riesige Belastung. "Wir würden uns über Unterstützung freuen und nicht über kritische Nachfragen von der Seite."
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 24.07.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von André Kartschall
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