Teltow-Fläming
Rings um Berlin sind zahlreiche Wochenendsiedlungen entstanden. Viele sind beliebte Domizile zur Erholung. Für die Bewohner der Radelandsiedlung in Baruth/Mark ist aber von Erholung nicht mehr die Rede: Ihnen wird mit Abriss gedroht. Von Alexander Goligowski
Stefan Bleyer steht wütend und Achsel zuckend im ehemaligen Gastraum des Waldkaters, dem einstigen Treffpunkt der Radelandsiedlung. Sein Vater baute die Gaststätte zum Wohnhaus um – nur wohnen darf da neuerdings niemand mehr. Behördliche Entscheidung, weil dort fünf Jahre kein Hauptwohnsitz angemeldet war. "Ich weiß nicht, wie ich das hätte wissen können. Vielleicht, wenn ich meine Zeit auf dem Amt verbringen würde."
Jetzt sitzt Stefan Bleyer auf fünf geerbten Wohnungen, drei im Waldkater und zwei in kleinen Bungalows, und kann sie nicht vermieten, obwohl der Bedarf da wäre. "Das ist bestimmt rechtlich alles sauber, aber verstehen muss das kein Mensch", fügt er kopfschüttelnd hinzu.
Stefan Bleyer wusste schlicht nicht, dass es diese Regelung für die Radelandsiedlung gibt. Sie gehört zur Stadt Baruth/Mark (Teltow-Fläming), befindet sich aber im sogenannten Außenbereich, gehört nicht zum Stadtgebiet. Einen Bebauungsplan gibt es nicht und damit für die Radelandsiedler auch keine Rechtssicherheit. Im Außenbereich gelten besondere Bestimmungen. Probleme mit der zuständigen Behörde der Kreisverwaltung Teltow-Fläming haben seit einigen Jahren viele der 150 Grundstückseigentümer in der Siedlung.
Vor 100 Jahren als Wochenendsiedlung von Berlinern gegründet, sind über die Jahrzehnte vom Bungalow bis zum richtigen Wohnhaus mit Garage ganz verschiedene Gebäude hier mitten im Wald entstanden. Vieles ist bestandsgeschützt, aber wehe es muss etwas repariert werden. Und nach Jahren im Wald muss der ein oder andere Holzbau erneuert werden.
Das ist auch Familie Schäfer zum Verhängnis geworden. In vierter Generation verbringen die Thüringer ihre Wochenenden, Ferien oder ihren Rentner-Sommer auf dem Grundstück mit dem 28-Quadratmeter-Bungalow in der Radelandsiedlung. Vor Jahren haben sie einen maroden Schuppen abgerissen und auf den Fundamenten einen neuen errichtet. Das hätten sie nicht gedurft, ist die Bauaufsicht des Landkreises der Ansicht. Auch ein Holzverschlag, ein Außenbad und ein Baumhaus seien nicht genehmigt.
Nur ein Beispiel von vielen bei 150 Grundstücken. Es hagelt Abrissverfügungen inklusive Verwaltungsgebühren. Bei den Schäfers summiere sich das auf mittlerweile 1.600 Euro. Die Kommunikation mit dem Amt läuft nur schriftlich, wie die Bewohner berichten. "Ich habe Verständnis, wenn es Paragraphen gibt, aber es wird nicht einmal der Kontakt mit den Leuten gesucht. Und wir haben auch keinen Kontakt zu den Entscheidern im Kreis bekommen. Unsere Argumente, warum die Bauten bestandgeschützt sind, werden einfach ignoriert."
Als unerhört empfinde sie das, sagt Monika Schäfer. Die Rentnerin ist sichtlich verzweifelt, zeigt sich aber auch kämpferisch. Abreißen will sie mit ihrem Mann Siegmar jedenfalls nichts. Sie klagt jetzt gegen das Vorgehen und gegen die hohen Gebühren der Bescheide. Über die Mitarbeiter der Bauaufsicht sagt sie: "Es fehlt einfach das Augenmaß und dass Entscheidungsspielräume auch zugunsten der Bürger ausgeschöpft werden."
Einen ähnlichen Ton schlägt auch Baruths Bürgermeister Peter Ilk (parteilos) an. Er verweist darauf, dass zwischen Stadt und Bauaufsicht des Landkreis seit 2010 eigentlich eine Art Gentleman‘s Agreement bestanden habe. Darin heiße es, dass man Verfahren gegen die Radelandsiedler wegen der unübersichtlichen rechtlichen Lage ruhen ließe.
Von einer solchen "Verwaltungsnotiz" scheint die Bauaufsicht nichts mehr wissen zu wollen. Bitten der Stadt, vorerst nicht gegen die Siedler vorzugehen, lehnte die Bauaufsicht mehrfach ab und begründet das mit gesetzlichen Vorgaben. Die Bauaufsicht verweist darauf, dass die Stadt mit einem Bebauungsplan für Rechtssicherheit sorgen müsse. Der ist laut Bürgermeister Peter Ilk derzeit in Arbeit und könnte noch etwa ein Jahr Zeit beanspruchen. Von den Zuständigen im Landkreis wünscht er sich noch einmal: "Dass sie sehen, dass die Stadt ihre Arbeit macht, dass die Siedler dabei sind und dass sie die Verfahren jetzt erstmal ruhen lassen."
Auf Anfrage des rbb teilt die Bauaufsicht schriftlich mit: "Auch wenn eine Ordnungsverfügung bestandskräftig und damit vollziehbar ist, kann die Behörde beim Vorliegen sachlicher Gründe zumindest temporär vom Vollzug absehen. [...] Das verschafft dem Betroffenen Zeit, ohne etwas abreißen zu müssen und später eventuell die Möglichkeit, die bauliche Anlage mittels Bebauungsplan legalisieren zu können."
Das heißt wohl im Klartext, dass sich die Radelandsiedler wie Familie Schäfer weiter auf "böse" Briefe von der Bauaufsicht einstellen müssen, aber keine Angst vor Abriss zu haben bräuchten. Für Monika Schäfer ist das etwas viel verlangt: "Wie soll man einen Brief auf diese Art ignorieren, wenn hohe Zahlungen enthalten sind und Fristen für den Abriss gesetzt werden?"
Fährt man durch die Radelandsiedlung, dann erscheint es so, als sei in den Jahren der rechtlichen Grauzone einiges an "Wildwuchs" entstanden. Schwer zu entscheiden, was davon Bestandsschutz genießt und was nicht. Einmal geht es ums Wohnrecht, ein anderes Mal um einen Schuppen oder vielleicht ein erneuertes Dach. So lange es keinen Bebauungsplan für die alte Wochenendsiedlung im Wald gibt, gibt es auch keine Rechtssicherheit und dann könnte sogar eine Schaukel für die Kinder zum illegal abgestellten Gegenstand im Wald werden.
Sendung: rbb24 Antenne Brandenburg, 16.07.2024, 16:12 Uhr
Beitrag von Alexander Goligowski
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