Gewitter in Berlin und Brandenburg
In diesem Sommer wird auffällig oft vor Gewitter und Starkregen gewarnt. Nicht immer kommt dann wirklich etwas vom Himmel. Woran das liegt und wieso die Warnungen nicht nur "gefühlt" zunehmen. Von Simon Wenzel
Geschlossene Fanmeilen, geflutete Gebäude, Blitzeinschläge, Tornado: Seit Wochen hält sich gewittriges und schwül-warmes Wetter in der Region Berlin und Brandenburg. Allein in dieser Woche wurde an gleich mehreren Tagen vor Unwettern gewarnt – und auch in den Wochen davor gab es Warnungen. Die gefühlte Wahrheit: Im Moment kommt ständig Wetter-Warnungen aufs Handy.
Die Wahrheit ist in diesem Fall aber nicht nur gefühlt: "Das ist in der Tat so", bestätigt der Leiter der Vorhersagezentrale des Deutschen Wetterdienstes (DWD), Franz Molé. Ihn und seine Kollegen ans Telefon zu kriegen, ist in diesen Tagen deshalb gar nicht so leicht. "Wir haben seit Anfang Mai eine Wetterlage, was Gewitter angeht, wie wir sie in dieser Frequenz lange nicht gehabt haben", sagt Molé. Viel zu tun also für die Fachleute des Deutschen Wetterdienstes, denn der ist für die Warnung der Bevölkerung vor extremen Wetterlagen zuständig.
Am Freitag wurde im Südosten Berlins und Brandenburgs mal wieder die dritte von vier Warnstufen ausgerufen, mit roter Farbmarkierung auf der Wetterkarte des DWD. Rot bedeutet "richtig gefährlich", wie Molé sagt. Einzige weitere Eskalationsstufe: violett. [Warnstufen des dwd.de]
Spätestens diese Färbung sollte jeder und jede ernst nehmen - denn dann handelt es sich um Warnungen vor "extremen Unwettern", verbunden mit akuter Lebensgefahr. Lokal können diese Unwetter "katastrophale" Auswirkungen haben, beschreibt Molé. So weit kam es bislang in dieser Woche nicht. Stattdessen: Stufe drei, klassische Sommergewitter.
Davon gibt es gerade extrem viele, weil aus Südwesten warme Luft aus dem Mittelmeerraum heranzieht. Warme Luft bedeutet auch: heftige Gewitter, vor allem mit viel Regen. "Die wärmere Luft kann mehr Feuchte aufnehmen, auch von den Meeren, die sich ja ebenfalls erhitzen", sagt Molé. "So kommt mehr Feuchte zu uns und deshalb schüttet es – bei der gleichen Wetterlage wie früher – heutzutage mehr", erklärt Molé.
Hintergrund sind auch die langfristigen Folgen des menschengemachten Klimawandels. Die durchschnittlichen Temperaturen steigen. Das mag sich in diesem Jahr örtlich hin und wieder anders angefühlt haben, aber auch der bisher so verregnete Juni war noch deutlich wärmer als früher einmal.
Franz Molé und seinem Team machen diese Sommergewitter den Job richtig schwer. Eine "Riesen-Herausforderung" sei das derzeitige Wetter, sagt der DWD-Mitarbeiter. Innerhalb von 15 Minuten könne sich so ein Gewitter bilden, wo vorher noch blauer Himmel war. Die Experten des Deutschen Wetterdienstes vergleichen die Lage gegenüber Laien gerne mit einem Kochtopf, in dem Wasser erhitzt wird. "Die Gewitterwolken sind wie die Blasen, die im Kochtopf aufsteigen, wenn das Wasser anfängt zu kochen. Sie bewegen sich völlig willkürlich. Wir sprechen auch davon, dass es pulsiert", so Molé.
Aber nicht alle Unwetter sind so schwer vorauszusehen: Bei Kalt- oder Warmfronten ist die Vorhersage leichter. Diese bewegen sich eher langsam, die Gewitter bilden sich stets an den Kanten - dort, wo kalte und warme Luft aufeinandertreffen.
Bei Prognosen aus dem "Kochtopf" aber geht selbst den Experten vom DWD mal was daneben. So wurde beispielsweise am Mittwoch Gewittergefahr für den Landkreis Spree-Neiße vorhergesagt - und kurz darauf dann doch wieder aufgehoben. Hier stellt sich fast zwangsläufig die Frage nach der Wirkung von solchen häufigen Unwetterwarnungen.
Nimmt die Bevölkerung es noch ernst, wenn zum wiederholten Male vor Gewittern gewarnt wird und dann gar keines kommt? "Das ist ein ernsthaftes Thema, mit dem wir uns schon seit Jahrzehnten beschäftigen", sagt Molé. "Permanent" werde deshalb ausgewertet, ob die Prognosen eintrafen oder nicht.
Insgesamt liegt die Trefferquote der kurzfristigen Vorhersagen nach Angaben des DWD inzwischen bei rund 90 Prozent. Das bezieht sich aber vor allem auf die Temperatur oder Windgeschwindigkeit. Bei Regen liegt die Trefferquote niedriger, etwa bei 85 Prozent. Bei der Temperatur gibt es aber auch einen – aus Perspektive der Prognose-Nutzer betrachtet – durchaus relevanten Toleranzbereich von 2,5 Grad in beide Richtungen.
Aus Fehlern wolle man lernen beim DWD, sagt Molé - betont aber auch: "Wir werden nicht sagen, wir warnen erst, wenn da drei Gewitter angezeigt sind, damit die Trefferquote besser ist." Schließlich gehe es darum, vor Gefahren zu warnen. In komplizierten Wetterlagen wie derzeit würden sie im Zweifel eher die Warnung erweitern, wenn die Vorhersagen nicht präzise einzugrenzen sind. Dazu werden zwangsläufig Fehler in Kauf genommen. Molé findet aber: "Das ist allemal besser, als wenn ein Gewitter ohne Warnung überraschend Schäden hinterlässt." Denn das kann es.
Spätestens seit der Flutkatastrophe im Ahrtal dürfte das vielen klar sein. Damals starben Menschen, weil nicht alle Warnungen ausreichend verbreitet und ernst genommen wurden. Auch von den Medien. Eine Sache, die heute besser wäre: "Cell Broadcast" wird verstärkt eingesetzt. Menschen bekommen Warnmeldungen direkt auf ihr Handy, wenn wirklich der Katastrophenfall droht. Der DWD initiiert sie "mit einem Häkchen", wie Molé erklärt.
Damit die Warnungen des DWD im Kontext der allgemeinen Wetter-Entwicklungen noch ernst genommen werden, passt dieser die Maßstäbe für die einzelnen Kategorien immer wieder an. Die Schwelle zur ersten Warnstufe gelb bei Niederschlägen sei beispielsweise inzwischen etwas höher als früher, sagt Molé.
Bald könnten sie nochmal angepasst werden: Der DWD arbeitet derzeit an einem neuen Warnsystem. Dadurch soll die Frequenz der Warnungen im niedrigen Bereich sinken - oder zumindest nicht weiter steigen. Auf der anderen Seite der Skala wird in der höchsten Stufe nun auch vor Folgen gewarnt, die früher so selten waren, dass sie rausgelassen wurden.
Im Jahr 2023 warnte der Deutsche Wetterdienst bundesweit rund 200.000 Mal vor Wetterereignissen. Über 5.000 dieser Warnungen fielen in die Kategorien drei und vier, warnten also vor Unwettern oder extremen Unwettern. Einen Vergleich mit früheren Jahren gibt es allerdings nicht, die Kategorisierung der Statistik wurde im Laufe der Zeit zu sehr verändert. Molé verweist auch auf die Wetterschwankungen von Jahr zu Jahr.
Ähnlich ist die Lage bei der Blitz-Statistik: Im Mai und Juni gab es zwar im Vergleich der letzten Jahre außergewöhnlich viele in Brandenburg. Schaut man 20 Jahre zurück, gab es allerdings auch acht Frühsommer, in denen noch mehr Blitze vom Himmel schossen. Molé erinnert außerdem daran, dass der DWD noch vor nicht allzu langer Zeit von Rekord-Dürren berichtete. Jetzt plötzlich erlebe Deutschland die nassesten zwölf Monaten seit Beginn der Aufzeichnungen, so der Experte.
Zumindest eines belegt das: Extremwetter-Ereignisse (dazu zählen auch Hitzeperioden) nehmen zu. Und dementsprechend auch die Warnungen vor diesen. Ernst nehmen sollte man sie trotzdem.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 12.07.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Simon Wenzel
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