Kirchenimmobilien
Schwindende Mitgliederzahlen und Steuereinnahmen: Die beiden großen Kirchen in der Region haben ein Problem. Gemeinsam besitzen sie rund 7.500 Immobilien. Aber was tun mit ungenutzten Gottes- und Gemeindehäusern? Von Carmen Gräf
Die Dorfkirche Rieben (Potsdam-Mittelmark) ist heute der ganze Stolz des Ortes. Vor über 20 Jahren war das anders. In dem schmucken Dorf war die Kirche zum Schönheitsfehler geworden. Der Dachstuhl kaputt, das Mauerwerk angegriffen. Die Dorfkirche wurde gesperrt. Zum Ärger der Riebener, obwohl hier nicht mal jeder Neunte zur Kirchengemeinde gehört. Holger Isecke lebt schon seit 30 Jahren direkt neben der Kirche und ist eng mit ihr verbunden. "Die Kirche ist das älteste Gebäude im Dorf", sagt er. "Alle, ob Kind oder Rentner, kennen sie. Und sie würde fehlen, wenn sie nicht mehr hier ist."
Deshalb taten sich Kirchengemeinde und Kommune zusammen, um ihre Dorfkirche zu retten - als erstes Dorf in Brandenburg. Mit viel Eigeninitiative sowie Geld von Land und EU wurde die Dorfkirche für knapp eine Million Euro saniert und umgebaut - zu einer Art Wohngemeinschaft. Der vordere Teil des Kirchenschiffes gehört der Kirchengemeinde und bietet Platz für Gottesdienste, Hochzeiten, Taufen und Trauerfeiern. Der hintere Teil gehört der Kommune Rieben. Hier kommt zum Beispiel der Gemeinderat zusammen und die Rentnergruppe zum Kaffeetrinken.
Frank Röger ist stolz auf das Vorzeigeprojekt in Rieben. Er leitet das Bauamt der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Diese besitzt insgesamt 6.000 Immobilien, darunter allein 1.800 Kirchen, außerdem Gemeindezentren, Pfarrhäuser, Schulen und Kitas. Von etwa einem Drittel dieser Immobilien muss sich die Landeskirche nach und nach trennen. "Eine Dorfkirche kann man nicht so ohne Weiteres verkaufen", sagt Frank Röger. "Pfarrhäuser kann man deutlich besser abgeben. Das sind Wohnhäuser. Dort gehe ich davon aus, dass das mehr als 30 Prozent sein werden." Auch Gemeindehäuser könnten deutlich besser umgenutzt werden, etwa als Veranstaltungsort. Außerdem sind Kirchen oft mit großen Emotionen verbunden. Viele Menschen hängen an ihnen, weil sie dort getauft, konfirmiert oder getraut wurden.
Die Immobilien der beiden großen christlichen Kirchen, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und dem Erzbistum Berlin, verteilen sich auf rund 1.000 Hektar. Eine Fläche, die etwa dreimal so groß ist wie das Tempelhofer Feld. Dazu zählen nicht nur Kirchengebäude, sondern auch Gemeindezentren, Schulen, Kitas, Wohnungen, Friedhöfe und Kapellen. Wie viel all diese Immobilien wert sind, weiß jedoch nur der liebe Gott.
"Wie wollen Sie eine Dorfkirche in der Prignitz bewerten?", sagt Frank Röger. "Vom Bodenwert her, vom Gebäudewert her sind das schöne Objekte, oft mit wertvoller Kunst im Innenraum." Doch Erhalt und Sanierung dieser Gebäude seien oft mit erheblichen Kosten verbunden.
Kosten, die die Kirchen durch Mitgliederschwund und weniger Einnahmen durch die Kirchensteuer nicht mehr allein bewältigen können.
Dem katholischen Erzbistum Berlin geht es ähnlich. Es besitzt 200 Kirchen, 300 Pfarr- und Gemeindehäuser, dazu Kitas, Schulen und Friedhöfe und Wohnungen. Insgesamt sind es etwa 1.500 Immobilien. Stefan Förner von der Pressestelle schätzt, dass das Erzbistum in Berlin bis 2060 etwa ein Drittel davon loswerden muss. Allerdings gelte das nicht für Brandenburg oder Vorpommern, die auch zum Erzbistum Berlin gehören. Die sind zum einen viel dünner besiedelt und zum anderen leben dort auch weniger Katholik:innen als in Berlin.
Zugleich wolle die Kirche verantwortungsvoll umgehen mit den Gebäuden, die sie hat. Dass etwa ein Gruppenraum nur einmal die Woche zwei Stunden von jemandem genutzt werde und ansonsten überhaupt nicht, sei nicht mehr haltbar, meint Stefan Förner. Das gelte auch für kircheneigene Wohnungen, wie etwa Dienstwohnungen für Pfarrer und Kirchenpersonal. Sie könnten verkauft oder vermietet werden.
Zwischen 7 und knapp 9 Euro kosten Mietwohnungen pro Quadratmeter der evangelischen Landeskirche, zwischen 5,50 und 6 Euro pro Quadratmeter zahlen Mieter beim Erzbistum Berlin. Das ist weniger als die aktuelle Durchschnittsmiete in der Stadt. Man wolle vor allem sozialverträglich vermieten, ansonsten gebe es keine Einschränkungen, betont Stefan Förner vom Erzbistum Berlin. Es gelte das, "was nach dem Menschenverstand und nach ethischen Kriterien sinnvoll ist."
Durch weitere Vermietungen könnte die Kirche dazu beitragen, das Berliner Wohnungsproblem ein Stück weit zu lösen. Noch ist jedoch völlig unklar, wie viele kircheneigene Wohnungen dafür in Frage kommen. Weder in der evangelischen Landeskirche noch im Erzbistum Berlin gibt es dafür konkrete Pläne.
Für die Umnutzung von Kirchen legt Stefan Förner engere Kriterien an als bei der Vermietung und Umnutzung von Wohnungen: Eine ehemalige Kirche als Diskothek kann er sich nicht vorstellen. Frank Röger von der evangelischen Landeskirche meint dagegen: "Das müsste man ausprobieren. Da bin ich grundsätzlich offen." In Berlin habe es in letzter Zeit zwei größere Veranstaltungen in Kirchen gegeben, die die Kirchengemeinden "allerdings selbst auf die Beine gestellt hatten: ein großer Rave in der Wunderblutkirche in Bad Wilsnack und in der Dreifaltigkeitskirche in Lankwitz", erklärt Röger.
Grundsätzlich bevorzugt jedoch sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche eine öffentliche Umnutzung von Kirchen: etwa als Bibliotheken, Museen, Dorfläden zur Selbstversorgung, als Musikschule oder Treffpunkt für einen gemeinnützigen Verein. "Da könnten Kirchengemeinden und Bezirke besser kooperieren", meint Frank Röger von der evangelischen Landeskirche. Man müsse das Ganze als gesamtgesellschaftlichen Prozess angehen.
Vor allem gelte aber: Die Kirchen müssten jetzt handeln, um in Zukunft handlungsfähig zu bleiben. Das bedeutet: Bei ihren Immobilien ein gutes Verhältnis zu finden zwischen dem, was sie brauchen und dem, was sie sich leisten können.
In Rieben sind die Menschen erleichtert, dass ihre Kirche im Dorf bleiben konnte. "Wir sind stolz darauf, dass sich unser Kämpfen um die Kirche gelohnt hat", meint der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates Bodo Gensicke. Vielleicht ein Zukunftsmodell für andere Kirchen in der Region?
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.08.2024, 07:45 Uhr
Beitrag von Carmen Gräf
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