Schienenersatzverkehr
Seit Freitag wird auf der Bahnstrecke Berlin-Hamburg groß gebaut. Für Pendler und Urlauber heißt das: Umwege und mehr Fahrzeit. Nördlich von Wittenberge rollt kein Zug mehr. Am Montagmorgen hatte der Ersatzverkehr seine erste Belastungsprobe. Von Björn Haase-Wendt
Kurz nach 6 Uhr am Bahnhof in Wittenberge (Prignitz). Einige Bahnreisende holen sich im kleinen Shop noch schnell einen Kaffee und ein Brötchen, bevor es auf die Tour über die Prignitzer Dörfer geht. Wittenberge ist seit Freitagnacht zur Sackgasse für den Bahnverkehr geworden. In Richtung Norden nach Wismar, Schwerin oder Hamburg rollt hier kein Zug mehr, dafür sind Busse unterwegs. "Zurzeit wird viel gesperrt, es ist schon belastend, aber was soll man machen?", sagt Cordula aus Magdeburg. Sie ist auf der Durchreise zur Ostsee. Gemeinsam mit knapp 40 weiteren Pendlern und Urlaubern steigt Cordula in die Ersatzbusse ein.
Die gute Nachricht für viele: Pünktlich sind die beiden geplanten Busse am Montagmorgen schon mal. Sie verbinden stündlich die beiden derzeitigen Endbahnhöfe Wittenberge und Karstädt (Prignitz). Fragen an die Fahrer sollten aber eher nicht gestellt werden. "Ist das der Ersatzverkehr nach Karstädt?", will ein Mann noch vor der Abfahrt wissen. Der Fahrer zeigt nur auf seinen Plan, sehr zum Ärger des Kunden. "Die sind unfreundlich, geben keine Information", schimpft er.
Nun dauert es - gut 40 Minuten braucht der Ersatzbus von Wittenberge nach Karstädt. Der RE8 schafft das sonst in acht. An uns vorbei ziehen mit Nebel bedeckte Felder, Autos überholen uns auf der B189, die Prignitzer Dörfer wie Weisen und Premslin erwachen. Einige Pendler im Bus schauen auf die Uhr, dann geht es über eine Kopfsteinpflasterstraße. Das sichere Zeichen: Wir erreichen den Karstädter Bahnhof.
"Das lief doch ganz gut, da muss man durch", sagt Cordula. Zwei Fahrgäste haben andere Erfahrungen gemacht, Martina und Casper aus der Altmark. Schon Freitagnacht hatten sie ein einschneidendes Bahnerlebnis aufgrund der Streckensperrung zwischen Hamburg und Berlin. Auf dem Rückweg aus Ribnitz-Damgarten hatte ihr Zug Verspätung, sie verpassten den Anschluss in Richtung Prignitz und Ersatzverkehr. "Da sind wir also in Schwerin gestrandet und konnten erst am Samstag weiterfahren", sagt Casper sichtlich genervt. Und auch heute Morgen seien sie von den Einschränkungen erneut überrascht gewesen, erzählen sie.
Dabei hatte die Bahn die Sperrung langfristig angekündigt. Bis zum 14. Dezember werden auf einer der wichtigsten Städtedirektverbindungen Deutschlands über 70 Kilometer Gleise und 100 Weichen erneuert. Etwa zwischen Wittenberge und Karstädt, wo die Bahn die sogenannte "Feste Fahrbahn" der ICE-Strecke entfernen lässt. Die Gleise sollen hier wieder auf einem Schotterbett liegen und nicht auf einer festen Stahlbetonplatte, wie es seitens der zuständigen DB Infrago heißt. Die Bahnstrecke Berlin - Wittenberge - Hamburg kann deshalb abschnittsweise nur von Regionalzügen befahren werden. Der Fernverkehr wird weiträumig über Stendal, Salzwedel und Uelzen umgeleitet. Für die Fahrt Berlin-Hamburg müssen damit 45 Minuten zusätzlich eingeplant werden.
In Karstädt rollt unterdessen der gelb-grün-weiße Doppelstock-Zug der Odeg ein. Von hier aus geht es weiter in Richtung Wismar, auch für Corinna aus Wittenberge. Sie fährt sonst mit dem RE8 von der Heimatstadt aus zur Arbeit nach Ludwigslust. Jetzt nutzt die Elbstädterin teilweise wieder das Auto, parkt es in Karstädt und steigt dort in den Regio: "Ich bin noch am Testen heute, aber ich denke eine halbe Stunde werde ich trotzdem zusätzlich brauchen." Hat sie Verständnis für die Bauarbeiten? "Muss ja leider sein", sagt Corinna in der Hoffnung, dass sich die Situation für die Bahnpendler auf der vielbefahrenen Strecke nach Abschluss der Baumaßnahmen bessert.
Für uns geht es zurück in den Ersatzbus nach Wittenberge, der schon deutlich voller ist. Heidrun aus Schwerin steigt mit einer Freundin und Koffern ein. "Es ist nicht schön, dass es im Bahnhof Karstädt keinen Fahrstuhl gibt", sagt sie und ergänzt: "Wir haben beide Gehprobleme und dann ist es natürlich schwierig, die Treppen hoch- und runterzukommen." Hier wünschen sich die Schwerinerinnen eine Lösung. Auf den ersten Blick könnte es die auch geben: Wenn der Anschlusszug etwa auf der zum Ersatzverkehr zugewandten Gleisseite stoppen würde, so würden sich die Reisenden die Treppen zur Unterführung unter den Gleisen sparen.
Auch die Rückfahrt nach Wittenberge verläuft am Morgen ohne Probleme. Dort angekommen, schaut Wolfgang auf sein Handy und sucht das Gleis für den Anschluss-Regio nach Berlin. Er ist einer der Pendler, für den sich die Bauarbeiten und Sperrungen enorm auswirken. Er fährt täglich von seinem Wohnort in Nordwestmecklenburg nach Berlin zur Arbeit. Eigentlich nutzt er dafür die Fernverkehrszüge, die sonst auf der Strecke unterwegs sind und für viele eine attraktive Anbindung in die beiden Großstädte sind. "Jetzt ist das super ätzend, denn ich fahre jeden Tag viereinhalb Stunden hin und zurück", erklärt er. Sonst brauche er pro Tour etwas weniger als zwei Stunden.
"Alles, was man sonst im Büro machen könnte, wird dann im Zug gemacht. Aber es ist Lebenszeit, die vor allem bei der Familie fehlt", sagt der Mecklenburger. Trotzdem habe er Verständnis für die Bauarbeiten, hat aber eine Forderung: In die Bahnstrecken sollte künftig dauerhaft und regelmäßig investiert werden. "Wir dürfen nicht die gleichen Fehler wieder machen und nur konsumieren."
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.08.2024, 14:00 Uhr
Beitrag von Björn Haase-Wendt
Artikel im mobilen Angebot lesen