Berliner Charité registriert deutlich mehr Stichverletzungen
Charité-Mediziner schlagen Alarm: Die Zahl der Patienten mit Stichverletzungen steigt deutlich an. Anscheinend nehme die Brutalität insgesamt zu. Das habe auch psychologische Folgen für die Krankenhausmitarbeiter.
Die Berliner Charité hat im ersten Halbjahr so viele Stichverletzungen registriert wie sonst in einem ganzen Jahr. "Wir haben normalerweise etwa 50 bis 55 Messerstichverletzungen pro Jahr, aber die haben wir im ersten Halbjahr dieses Jahr schon", sagte Ulrich Stöckle, Geschäftsführender Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie der Charité am Montag der rbb24 Abendschau. Die Schussverletzungen würden noch dazu kommen. Zuerst hatte die "Berliner Morgenpost" [€] über das Thema berichtet.
Die Zahlen stimmten mit dem überein, was auch in der Kriminalstatistik der Polizei veröffentlicht werde, so Stöckle. "Wir sehen im Anstieg dieser Verletzungen einfach auch eine offensichtlich deutlich niedrigere Schwelle für diese Körperverletzungen in der Gesellschaft", sagte Stöckle und verwies auf einen Fall, bei dem Mitte Juli in Berlin ein Mann bei einem Streit um einen Parkplatz erstochen wurde.
Ein banaler Streit um eine Parklücke in Berlin-Gesundbrunnen endete am Donnerstag tödlich. Der Tatverdächtige wurde direkt festgenommen. Stunden danach kam es zu Auseinandersetzungen von Angehörigen des Opfers mit der Polizei.
Psychologische Unterstützung für Klinik-Mitarbeiter
Berlin habe "traditionell" den Höchststand an penetrierenden Verletzungen, so Stöckle. Die Krankenhausmitarbeiter behandeln im Schnitt zwei bis vier Verletzungen pro Woche. Manchmal sogar zwei Verletzungen in einem Dienst. Das sei schon eine bedrohliche Entwicklung für die Gesellschaft, aber auch für die Stadt Berlin, so Stöckle weiter.
Diese Entwicklung habe auch psychologische Folgen für die Krankenhausmitarbeiter. Keiner könne nach der Behandlung einer tödlichen Verletzung zur Routine übergehen, so Stöckle. "Das nimmt jeden mit, wenn jemand verstirbt." Vor allem jüngere Mitarbeiter bräuchten mehr psychologische Unterstützung: "Wenn wie letztes Jahr einem Taxifahrer quasi die Kehle durchgeschnitten wurde morgens um halb neun, da braucht es eine ganz andere Einstellung und auch eine ganz andere Arbeitsatmosphäre." Die Mitarbeiter bekämen dann ein Debriefing (Nachbesprechung) und psychologische Betreuung.
Anfang April wurde im beschaulichen Berlin-Grunewald ein Taxifahrer am hellichten Tag getötet. Nun wurde im Berliner Landgericht das Urteil gesprochen: Der psychisch kranke Täter muss 14 Jahre in Haft.
Stöckle fordert mehr Sicherheit für Kliniken
Die Behandlung einer Schuss- oder Messerstichverletzung dürfe nicht zur Normalität werden. "Das wir eben diese Routine nicht aufkommen lassen bei Schuss- und Stichverletzungen nach dem Motto 'schon wieder eine Stichverletzung, schon wieder eine Schussverletzung', sondern das sollte wirklich die Ausnahme bleiben. Aber momentan wird es mehr und mehr zum Normalen und das wollen wir eigentlich nicht. Weil das wollen wir in der Gesellschaft auch nicht.“
Er persönliche habe den Eindruck, dass die Brutalität insgesamt zunehme, erklärte der Charité-Mediziner. Es gebe mehrfache und tiefere Stichverletzungen, teilweise würden lange Messer verwendet.
Ein weiteres Problem sei die Sicherheitslage am Krankenhaus nach einer schweren körperlichen Auseinandersetzung. Häufig käme die Polizei mit und sichere das Krankenhaus ab. Aber manchmal werde das als Lappalie behandelt. Insgesamt müsse sich die Sicherheitslage im Krankenhaus verbessern, fordert Stöckle.