Charité-Psychiater zu steigenden Attacken
In Berlin geraten derzeit Messerattacken in den Fokus der Politik. Der Psychiater Andreas Heinz spricht im Interview darüber, wie sich Messerattacken eindämmen lassen und welche Hilfe die Opfer brauchen.
rbb|24: Herr Heinz, in Berlin gab es ziemlich viele Messerangriffe in letzter Zeit. Was macht das mit dem Sicherheitsempfinden der Menschen?
Andreas Heinz: Ich denke, es kommt darauf an, wie es aufgearbeitet wird und größere Bevölkerungsgruppen reagieren. Wenn sie in die USA gucken, gibt es die Tendenz, dass sich nach jedem Angriff mit Schusswaffen in der Regel noch mehr Menschen bewaffnen. Dort steigt mit der Bewaffnung aber wieder das Risiko, dass die Waffen auch eingesetzt werden.
Also eine Gewaltspirale?
Das ist ein schwieriger Vorgang. Da sind Soziologen gefragt. Aber es sinken Hemmschwellen. Mehr Leute tragen Messer mit sich herum. Mehr Leute fürchten, dass etwas passieren könnte. So eine Messerattacke ist auch nicht immer geplant, sondern häufig eine Reaktion. Dann nützt die Bewaffnung weniger, wenn sie in der Bevölkerung breiter wird, sondern führt eher dazu, dass die Waffen eingesetzt werden.
Jetzt fordert die Berliner Innensenatorin Iris Spranger, dass Messer strenger reguliert und etwa Springmesser verboten werden sollen. Wie effektiv ist so etwas?
Bestimmte Messer zu verbieten, finde ich sehr nachvollziehbar. Aber leider können Sie mit jedem Küchenmesser jemanden angreifen. Ein Verbot ist also schwer zu kontrollieren und durchzuführen. Den Ansatz finde ich aber erst einmal richtig.
Was könnte man noch tun, um Messerattacken einzudämmen?
Es gibt meines Wissens nach wenig Gewaltprävention in den Schulen und Aufklärung darüber. Reden über Formen der Auseinandersetzung, Trainings – da gibt es einiges, was man machen könnte. Wir haben zudem ein großes Problem mit der Berliner Forensik, also dem Maßregelvollzug, wo Menschen untergebracht werden, die aus psychischen Problemen heraus Gewalttaten begehen. Das ist unterausgestattet trotz Überbelegung, der Leiter ist zurückgetreten, die Psychiatriebeauftragte ist zurückgetreten.
Kann man denn bei Messerattacken sagen, dass die Täter eher Menschen sind, die psychische Erkrankungen haben?
Nein, da muss man sehr aufpassen. Menschen mit psychischen Erkrankungen machen in der Regel weniger und nicht mehr Gewalttaten als andere, weil sie häufig Angst haben und eher Opfer werden. Aber als Psychiater muss ich sagen: Der Bereich, der mit dem Spektrum von Menschen umgeht, die dann doch mal gewalttätig werden, der ist gerade sehr schlecht in Berlin.
Gibt es eine Möglichkeit, sich vor Messerattacken zu schützen?
Ach Gott, ich glaube, man muss das im Verhältnis sehen: Wir haben in Deutschland eine relativ niedrige Rate an Gewaltkriminalität im Vergleich zu anderen Industrieländern. Allerdings gibt es offenbar ansteigende Gewaltkriminalitätszahlen, gerade mit Messern. Gewaltpräventionskurse oder mehr Aufklärung in Schulen wäre eine Möglichkeit. Ebenso ein Verbot von bestimmten Messern, was dazu führen könnte, dass weniger Menschen die mit sich führen und die in einem Streit zur Hand haben. Das gilt besonders für Männer, denn neun von zehn Gewalttaten werden durch Männer begangen.
Und wir müssen auch daran denken, dass in Deutschland ungefähr die Hälfte aller Gewalttaten unter Alkoholeinfluss verübt wird. Da kann man auch gucken, ob man das besser regulieren könnte. Es gibt jetzt zum Beispiel Ansätze, das Trinkalter wenigstens mit dem begleiteten Trinken nach oben zu schieben.
Gibt es nach Messerattacken bestimmte Reaktionen, dass man sich etwa bewaffnet oder Pfefferspray trägt?
Das ist eigentlich bei Menschen, die Opfer werden, nicht anders als bei allen anderen. Es gibt dann oft eine Tendenz, dass Menschen mehr Waffen mit sich rumtragen, was leider dann auch dazu führen kann, dass insgesamt mehr passiert.
Welche Folgen haben Messerattacken auf der Straße für die Opfer?
Menschen, die individuell angegriffen werden, sind in aller Regel hinterher traumatisiert. Das Erlebte kann wieder auftreten in Erinnerungen oder Albträumen. Das kann auch dazu führen, dass man bestimmte Situationen meidet, weil man große Angst bekommt.
Wie kann man den Opfern dann helfen?
Die brauchen soziale und gesellschaftliche Unterstützung. Je vereinsamter Menschen sind, desto schwieriger ist die Bewältigung. Es gibt dazu direkte Hilfsangebote, etwa im Hedwig-Krankenhaus. Dort können sie nach Gewaltangriffen direkt hingehen und erhalten unkompliziert Sitzungen zum Umgang mit Traumatisierung. Es gibt aber auch andere Gesundheits-Rettungsstellen und Ämter, um nach Hilfe zu fragen.
Warum ist gerade gesellschaftliche Unterstützung wichtig?
Generell ist es so, dass Traumatisierungen desto stärker stattfinden, je individueller die Belastung ist. Wenn Sie eine Naturkatastrophe erleiden – alle sind von einem Tsunami betroffen und viele Menschen ertrinken – dann ist furchtbar. Aber die Gemeinde hält zusammen und die Überlebenden haben wenigstens Unterstützung. Dann sind die Traumatisierungsraten niedriger, als wenn sie individuell Opfer einer Gewalttat werden. Aber natürlich ist es auch abhängig von den einzelnen Personen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Marie Steffens für die rbb24 Abendschau.
Sendung: rbb24 Abendschau, 11.08.2024, 19.30 Uhr
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