Interview | Umnutzung von Kirchengebäuden
Angesichts sinkender Mitgliederzahlen und leerer Kirchen appelliert die Initiative "Kirchenmanifest" für den Erhalt der Kirchenbauten. Es brauche kreative Ideen für eine Nachnutzung. Know-how gebe es zur Genüge, sagt Mit-Initiatorin Karin Berkemann.
Egal ob Kirchengebäude, Gemeinde- oder Pfarrhaus - viele Bistümer und Landeskirchen verkaufen bereits Gebäude, weil sie sie nicht mehr brauchen oder ihr Unterhalt zu teuer geworden ist. Das "Kirchenmanifest", eine nichtkirchliche Initiative von Baukulturforschern, Architekten, Kunsthistorikern und Denkmalschützern, ruft dazu auf, den Erhalt und die Nutzung von Kirchen zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu machen. Auf der Internetseite Kirchenmanifest.de und der Petitionsplattform Change.org haben bisher über 18.000 Menschen unterschrieben und sich für die Initiative "Kirchenmanifest – Kirchen sind Gemeingüter" ausgesprochen.
Die Evangelische Kirche in Deutschlands (EKD) und auch die katholische Deutsche Bischofskonferenz haben sich bereits Mitte Juni positioniert und den Vorstoß begrüßt.
Karin Berkemann, Diplomtheologin und Kunsthistorikerin, hat das Manifest mit initiiert. Warum Kirchen nicht nur für den Gottesdienst wichtig sind und was sie mit ihrem Kirchenmanifest erreichen will, erklärt sie im Interview.
rbb: Frau Berkemann, Kirchen sind Gemeingüter. So lautet die Parole Ihrer Initiative. Was meinen Sie damit?
Karin Berkemann: Kurz gesagt: Kirchen gehören allen, denn Kirchen haben ganz unterschiedliche Bedeutungen für ganz unterschiedliche Zielgruppen. Das macht sie ja so spannend und so interessant. Menschen können reingehen und sich daran freuen, dass es ein baukultureller und künstlerischer Raum ist, weil sie Barock, Gotik oder Engelsfiguren mögen.
Sie können hineingehen, weil sie einen offenen Raum haben wollen, in dem sie demokratisch und frei über Dinge diskutieren können. Sie können im Sommer reingehen, weil ihnen zu heiß ist und die Kühle genießen, die ohne Technik in einer gotischen Kathedrale herrscht. Oder sie können eine Sinnerfahrung auf ganz vielen Ebenen machen, die sie sonst in anderen stark kommerzialisierten Räumen nicht haben. Es ist also für jeden etwas dabei.
Menschen, die mit Kirche gar nichts am Hut haben, können trotzdem sagen, was geht mich das an, sollen sich die Kirchen selber darum kümmern, oder?
Zum einen schaffen das die Kirchen nicht mehr, zumindest ist das die Botschaft, die uns die beiden großen christlichen Konfessionen - die evangelische und die katholischen Kirche - senden. Das heißt, wenn es denkmalgeschützte Gebäude sind, haben wir eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, wie bei jedem Fachwerkhaus. Zum anderen hat die Gesellschaft auch etwas davon, weil sie solche Räume derzeit sucht und neu baut.
Nun ist ja nicht jede Kirche schön oder erscheint auf den ersten Blick erhaltenswert. Plädieren Sie im Prinzip dafür, jede Kirche zu erhalten?
Schönheit ist nicht das Kriterium, wenn Sie zum Beispiel an Denkmalschutz denken. Geschmack ist etwas sehr Subjektives. Es geht darum, eine Geschichte in all ihren Facetten zu erhalten, ein gemeinsames Erbe und auch ein Netzwerk, das wir haben. Es geht nicht nur um eine Kirche, das ist das, weshalb wir das Manifest angestoßen haben. Es geht um die gesamte Kirchenlandschaft.
Wir sprechen von über 40.000 Kirchengebäuden deutschlandweit, und ein Drittel bis vielleicht die Hälfte davon wird künftig zur Disposition stehen. Da würden wir quasi flächendeckend eine Infrastruktur an öffentlichen, sinnstiftenden und kulturellen Orten verlieren.
Nun ist ein Umbau oder eine Umnutzung von Kirchen oft ziemlich teuer und kompliziert. Ist es nicht sinnvoller, leerstehende Kirchen vielleicht zum Teil abzureißen und Platz zu schaffen für dringend benötigten Wohnungsbau, Kitas, Schulen? Wäre das nicht manchmal praktikabler und billiger?
Das ist spannend, weil Sie genau die Diskussion ansprechen, die gerade auf ganz weltlicher Ebene bei den Architektinnen und Architekten, bei den Stadtplanerinnen und Stadtplanern geführt wird. Die sagen, gewachsene Räume zu erhalten und den Bestand kreativ umzubauen, ist sehr viel spannender, weil sie Reibungsflächen haben, weil sie mit Räumen arbeiten, die Geschichten erzählen.
Zum anderen ist es auch eine ökologische Frage. Wenn Sie alles durchrechnen, ist der Umbau eines bestehenden Gebäudes ressourcenschonender. Das heißt, im ersten Moment scheint es einfacher, zu planieren und was Neues zu machen. Im zweiten Moment merkt man aber, das andere ist kreativer und auf lange Sicht für die Gemeinschaft, für das Klima besser und auch günstiger, wenn wir die Kosten offenlegen.
Es gibt auch in Berlin und Brandenburg etliche Beispiele für einen sehr kreativem Umgang mit Kirchen. Es gibt in Berlin ein Kindermuseum in einer ehemaligen Kirche, es gibt in Brandenburg eine Bibliothek, es gibt Coworking Spaces und Wohnungen in Kirchen. Was wollen Sie neu initiieren?
Es gibt großartige Einzelbeispiele. Ich beobachte die Bewegung der Kirchenumnutzung für das Onlineportal "moderne-regional.de". Nicht jede Kirchengemeinde, Landeskirche oder jedes Bistum sollte das einzeln lösen müssen. Sondern wir müssen für das gesamte Bundesgebiet eine gemeinsame Lösung mit allen Akteurinnen und Akteuren finden. Das ist das Neue - nicht eine kleine kirchliche Stiftung, die sich um ihre eigenen Gebäude kümmert, sondern wir schauen uns die gesamte Situation an und sagen, da müssen alle mithelfen.
Bei Ihrer Initiative sind viele, die aus dem Dunstkreis des Denkmalschutzes kommen, aus der Theologie, Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker. Warum sind eigentlich keine kirchlichen Vertreterinnen und Vertreter dabei?
Wir haben Mitglieder, die nicht mehr im aktiven Amt stehen. Denn unsere Initiative hat sich aus der Erfahrung heraus gebildet, dass diese Nutzungsdiskussion häufig innerkirchlich auf den Leitungsebenen geführt wird, sowohl was die Landeskirchen und Bistümer angeht, als auch in den einzelnen Gemeinden. Wir wollten sagen: Es gibt ganz viel Know-how und engagierte Leute, die das Problem sehen und helfen wollen.
In einer gemeinsamen Presseerklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde erklärt, dass das Manifest eine gute Sache sei, aber man müsse nochmal reden, weil sie es sich ein bisschen anders vorgestellt haben. Aber auf einmal sind wir im Gespräch - ökumenisch und über die kirchlichen Grenzen hinweg. Das war der Effekt, den wir uns erhofft haben. Jetzt müssen wir in die Detailarbeit gehen.
Sie engagieren sich sehr, Sie stecken sehr viel Zeit und Herzblut in die Initiative. Was liegt Ihnen daran?
Es sind Räume, die mich bereichern, die ich sowieso liebe. Es macht mich wütend zu sehen, wenn ganz viel Know-how auf der Straße liegt, das man nicht nutzt. Persönlich bin ich Theologin und Kunsthistorikerin, das heißt, ich beschäftige mich mit Gott und mit Kunst. Insofern passt das sehr gut zusammen, privates und berufliches Interesse.
Ich lerne im Moment ganz viel, und wir hoffen, dieser Pool, dieses Kollektiv, diese Gemeinschaftserfahrung in die Kirchen zurückspielen zu können. Das wäre ein wunderbares Ergebnis für die Kirchen, für die Gesellschaft und für die Gebäude.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Karin Berkemann führte Ursula Voßhenrich, rbb24 Inforadio. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das komplette Gespräch ist im Audio-Player abrufbar.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.08.2024, 10:45 Uhr
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