Das Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg ist Party-Hotspot und Wohngebiet. Aber auch ein Ort von Armut, Drogen und Gewalt. Der Bau einer neuen Polizeiwache sollte die hohe Kriminalitätsrate eindämmen. Mit Erfolg? Von Johanna Sagmeister
Das "Café Kotti" ist eine Art Kreuzberger Institution. Es liegt im ersten Stock vom "Zentrum Kreuzberg", einem Hochhauskomplex direkt am Kottbusser Tor. Dass man von hier aus mal aus nächster Nähe erleben kann, wie Polizeibeamte mehrmals täglich mutmaßliche Drogendealer in Handschellen abführen, hätte Café-Inhaber Ercan Yaşaroğlu vor zwei Jahren noch nicht geglaubt. Doch seit eineinhalb Jahren hat Yaşaroğlu einen neuen Nachbarn. Es ist die Polizei Berlin, die Tür an Tür zu seinem Café eine Nebenwache eröffnet hat.
Yaşaroğlu erlebt nun täglich die Möglichkeiten und Grenzen von polizeilichem Handeln. "Der Mann wurde gestern auch schon festgenommen", sagt er gelassen. "In einer halben Stunde ist der Dealer wieder auf freiem Fuß", sagt er, als die Tür hinter den Beamten zu fällt.
Am Kottbusser Tor in Kreuzberg wird am Mittwoch eine neue Polizeiwache eröffnet. Lange wurde gestritten: Ist sie wichtig, weil die Kriminalitätsrate hier besonders hoch ist - oder wird damit Steuergeld verschwendet Matthias Bartsch hat sich im Kiez umgehört.
"Angst beherrschte das Kottbusser Tor"
Das Kottbusser Tor ist eines der Zentren des türkischen Lebens in Berlin. Es ist Wohngebiet und Party-Spot. Aber auch ein Ort von Armut, Drogen und Gewalt. Körperverletzungen, sexuelle Übergriffe und Raubtaten sind an der Tagesordnung.
Als Yaşaroğlu von den Plänen einer Polizeiwache nebenan hörte, dachte er, das bedeute das Aus für sein Café. Er befürchtete, dass sein traditionell linkes und migrantisches Publikum abgeschreckt werde, dass die Wache der Anfang einer Kommerzialisierung der Gegend sei.
Diese Befürchtungen sind nicht eingetreten. Yaşaroğlu hat sich mit der Wache arrangiert, nennt sein Café scherzhaft das "sicherste Café in Berlin". "Früher beherrschte Angst das Kottbusser Tor", sagt er. "Heute spielen draußen bis spät abends die Kinder."
Festnahmen auf "frischer Tat"
Vor allem Menschen mit Einwanderungsgeschichte würden sich durch die Polizeipräsenz gesehen fühlen. "Die Politik hat uns jahrelang mit der Kriminalität allein gelassen", sagt er. In den Aufgängen und Aufzügen zu den Wohnungen würden sich nicht mehr so viele Drogenabhängige aufhalten, es käme zu weniger sexuellen Gewalttaten und nach Diebstählen oder Gewalterfahrungen fänden Opfer in der Wache einen direkten Ansprechpartner.
So sieht es auch Karsten Stephan, der Polizeidirektor und Abschnittsleiter der "Kotti-Wache". Er führt stolz durch die modernen Räume, nennt sie ein "Erfolgsmodell". Jeweils drei bis vier Polizeibeamte arbeiten hier im Schichtbetrieb. Der Vorteil seien die kurzen Wege. So viele Festnahmen auf "frischer Tat" habe er noch nicht erlebt, so der Polizist.
Das Kottbusser Tor ist einer von sieben sogenannten "kriminalitätsbelasteten Orten" in Berlin. Beamte dürfen dort unter anderem ohne bestimmten Anlass Kontrollen durchführen. Dass die Zahl der Straftaten im ersten Jahr der neuen Wache gestiegen ist, sei zu erwarten gewesen, sagt Stephan. "Wir erhellen das Dunkelfeld und erreichen Menschen, die mit der Polizei bisher nicht so viel Kontakt hatten." Das Ziel, die subjektive Sicherheit der Menschen zu erhöhen, sei erreicht worden. "Im Sichtfeld der Wache", sagt Karsten Stephan, sehe alles "tipptopp" aus.
Panoramablick auf das Kottbusser Tor während der blauen Stunde. Bild: picture alliance/NurPhoto | Quelle: picture alliance/NurPhoto/E.Contini
Polizeiwache nach wie vor umstritten
Doch das reicht einigen Anwohnern und Gewerbetreibenden nicht. Viel habe sich nicht verändert, sagt einer, der in einem der Restaurants auf dem Platz arbeitet. Diebstähle und Gewalt würden sich zwar nicht mehr direkt vor seinem Restaurant abspielen, dafür jetzt in den Nebenstraßen. Als "Geldverschwendung" bezeichnet er die Polizeiwache deswegen. "Es ist immer noch dreckig und stinkt überall nach Urin, weil es nur eine öffentliche Toilette am Platz gibt", sagt er.
Umstritten war die Wache vor allem wegen der Baukosten von dreieinhalb Millionen Euro, während der Berliner Senat bei sozialen Projekten den Rotstift ansetzt. "Wenn diese Summe für soziale Maßnahmen ausgegeben worden wäre, dann wären wir viel weiter", sagt Wolfgang Moser, der im Gebäudekomplex wohnt und gewähltes Mitglied im Mieterrat ist. Dass es vom Senat für soziale Projekte einmalig 250.000 Euro gibt, ist für ihn eine "ungleiche Gewichtung".
Leopoldplatz, Görli, Kotti – es gibt viele Orte in Berlin, die für Drogenkonsum bekannt sind. Anwohner sind oft gestresst von Müll und Menschen, die offen auf der Straße Drogen nehmen. Doch für die Abhängigen gibt es kaum Rückzugsorte. Von Anna Hanke
Zu wenige Toiletten, zu wenig Licht
"Die Anzahl der Anzeigen ist für die Lebensqualität der Anwohner nicht relevant", so Moser. Die Polizei sei ein Baustein, jetzt müssten weitere folgen. Er zählt auf, was es unter anderem noch brauche: Mehr Übernachtungs- und Aufenthaltsangebote für Drogenabhängige, mehr öffentliche Toiletten, Licht in den verschachtelten Gängen des Gebäudes.
Die Notwendigkeit dafür sehen auch die zuständigen Stellen in Senat und Bezirk, doch an der Planung und Umsetzung dieses "ganzheitlichen Konzepts" arbeitet man auch eineinhalb Jahre nach Eröffnung der Wache noch. Vor allem die Finanzierung von bestimmten Maßnahmen ist noch unklar.
Café-Besitzer Ercan Yaşaroğlu hofft, dass die Politik eine Einigung findet, um das Kottbusser Tor, die Gewerbetreibenden und seine Anwohner weiter zu unterstützen. Das würde auch helfen, Vorurteile abzubauen, sagt er. "Viel zu häufig wird Kriminalität in migrantischen Vierteln von der Politik einfach so hingenommen", sagt er. "Dabei wollen auch wir in Sicherheit leben." Das Kottbusser Tor sei der Beweis dafür.