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Quelle: dpa/EB

Interview | Behindertenfeindlichkeit

"Die Enthemmung hat längst stattgefunden - dieser Podcast ist kein Einzelfall"

Zwei Podcast-Hosts und ein prominenter Gast diffamieren offen Menschen mit Behinderung. Die Aktion Mensch reagiert bestürzt – und verweist auf alarmierende Zahlen einer Jugendstudie. Fragen an Aktion-Mensch-Sprecherin Christina Marx.

rbb|24: Frau Marx, seit Tagen wird diskutiert über die behindertenfeindlichen Aussagen in dem Podcast "Die Deutschen". Der Host des Podcasts äfft körperlich beeinträchtigte Menschen nach, Gast Luke Mockridge erzählt Witze über Menschen ohne Gliedmaße, die beiden Gastgeber klopfen sich auf die Schenkel und können sich kaum bremsen. Was ist in Ihnen vorgegangen, als Sie die Ausschnitte gehört oder auch gesehen haben?

Christina Marx: Ich war fassungslos, weil ich direkt gesehen habe: Da werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Da sitzen drei Leute wie an einem Stammtisch, kloppen Parolen und machen Witze über Menschen, die keine Arme haben, ins Wasser geworfen werden und ertrinken. Da habe ich gedacht, das kann nicht sein. Und tatsächlich musste ich direkt an unsere Jugendstudie denken, in der ja das Thema Diskriminierungserfahrungen eine große Rolle spielt. Daran sieht man, wie einfach es ist, Menschen zu diffamieren und zu diskriminieren.

Was halten Sie von der Schutzbehauptung von Luke Mockridge, er habe das alles im Vorfeld mit dem ehemaligen Paralympics-Teilnehmer Mathias Mester besprochen und wolle damit nur ausdrücken, man könne auch über Menschen mit Behinderungen lachen, das wäre schon okay?

Das ist absoluter Quatsch. Ich kenne Mathias Mester gut und ich weiß, dass er über sich selbst lachen kann – und andere Sportler haben ja auch gesagt, es ist total okay, dass man auch Dingen mit Humor begegnet, aber das ist etwas ganz anderes. Im Podcast werden Menschenrechte verletzt, weil auf Kosten von Menschen mit Behinderung Witze gemacht werden. Hier werden Menschen an den Rand gedrängt, und diese Schutzbehauptung von Mockridge ist absolut inakzeptabel.

Christina Marx, Sprecherin und Mitglied der Geschäftsleitung der Aktion Mensch. | Quelle: Aktion Mensch

Vor wenigen Tagen hat die Aktion Mensch erstmals das "Inklusionsbarometer Jugend" [aktion-mensch.de] vorgestellt. Wie Sie schon sagten, geht es dabei auch und vor allem um Diskriminierungserfahrungen, denen die Protagonisten dieses Podcasts einen Bärendienst erwiesen haben. Zu welchen Ergebnissen ist hier Ihre Studie gekommen?

Wir haben rund 1.500 Jugendliche mit und ohne Beeinträchtigung befragt. Dabei wurden nicht einfach Online-Fragebögen ausgefüllt, sondern wir sind mit ihnen ins Gespräch gegangen. Wir haben festgestellt, dass junge Menschen zwischen 14 und 27 Jahren insgesamt wirklich belastet sind. 60 Prozent aller Befragten sagen, sie hätten schon einmal Diskriminierungserfahrungen gemacht, egal ob mit oder ohne Beeinträchtigung. Viele junge Leute fühlen einen starken Optimierungs- und Perfektionsdrang, gerade durch die sozialen Medien. Und wir sehen, dass junge Menschen – vermutlich auch durch Corona und diverse Krisen - Zukunftsängste haben.

Beunruhigend ist aber, dass gerade junge Menschen mit Beeinträchtigung noch mal viel stärker betroffen sind, also das Negative verstärkt sich hier noch. Von ihnen haben 85 Prozent Diskriminierungen schon mal erlebt, meist aufgrund ihres Äußeren und wegen Dingen, die sie nicht machen können. Und da kommt dieser Podcast wieder ins Spiel, weil hier genau diese Art der Diskriminierung stattfindet. Das ist ein schlimmer Befund.

Wo zeigen sich in Ihrer Studie noch große Unterschiede zwischen jungen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung?

Vor allem bei der Sorge um die Zukunft - junge Menschen mit Beeinträchtigung plagen häufiger Zukunftsängste und sie fürchten, dass sie künftig in unserer Gesellschaft noch mehr ausgegrenzt zu werden.

Ein weiterer Befund ist das Thema der sozialen Beziehungen. Junge Menschen mit Beeinträchtigung sagen viel häufiger, dass sie sich einsam fühlen und es ihnen schwerer fällt, Freunde zu finden und Freundschaften zu schließen. Das sagt mehr als ein Viertel der Befragten aus dieser Gruppe. Bei jungen Menschen ohne Beeinträchtigung sagt das nicht mal jeder Zehnte.

Sie haben ja vorhin schon die sozialen Medien mit als Grund für einen erhöhten Optimierungsdruck unter jungen Menschen genannt. Welche Erkenntnisse hat Ihr Barometer zum Thema Cybermobbing gewonnen?

Mehr als ein Drittel der jungen Menschen mit Beeinträchtigung sagt, wir haben genau das schon erlebt. Bei jungen Menschen ohne Beeinträchtigung liegt dieser Wert bei 22 Prozent. Wir haben vor etwa drei Jahren eine Kampagne zum Thema Hatespeech und Cybermobbing durchgeführt, und da gab es Kommentare, die äußerst ableistisch und behindertenfeindlich waren, das will ich an dieser Stelle gar nicht wiederholen. Cybermobbing gegenüber Menschen mit Behinderung ist leider bei uns an der Tagesordnung.

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Wird diese Entwicklung nicht noch schlimmer, gerade durch solche Podcasts? Gibt es hier eine Enthemmung bzw. eine Enttabuisierung von Diskriminierung? Oder ist die junge Generation Z stabil genug, um hier nicht in einen Sog gezogen zu werden?

Die Enthemmung hat ja längst stattgefunden, leider ist dieser Podcast kein Einzelfall. Dadurch, dass jeder jetzt zum Medienschaffenden werden kann, nimmt so etwas natürlich zu. Ob die Generation Z dagegen resistent ist, das weiß ich nicht. Im Grunde ist das auch eine politische Frage. Wenn man sich die ganzen Wahlen, zuletzt die Landtagswahlen, anschaut und analysiert, wer beispielsweise AfD wählt, muss feststellen, dass das auch die jüngere Generation ist, von der wir gedacht haben, die ist aufgeklärt. Offenbar sind viele junge Menschen offen für rechte und extreme Positionen.

Eine Position der AfD ist ja die Ablehnung von Inklusion.

Ja genau. Eigentlich setzen wir das ganze Vertrauen in die kommende Generation und sagen, die müssten für Toleranz und Vielfalt stehen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass eine große Gruppe eben nicht für inklusionsfreundliche Positionen steht – zumindest was ihre Wahlentscheidung betrifft.

Seit Jahrzehnten halten sich in der Gesellschaft Vorurteile und oft auch Fehleinschätzungen, was die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderung betrifft. Ihr Inklusionsbarometer zeigt auch Lösungsmöglichkeiten auf, wie diesen Diskrepanzen begegnet werden kann. An welchen Schrauben muss am schnellsten gedreht werden?

Es klingt vielleicht profan, aber wir brauchen am dringendsten inklusive Begegnungsräume. Wir müssen es ermöglichen, dass sich Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, Menschen aus prekären Situationen, junge Menschen mit Migrationshintergrund alltäglich treffen. Fragt man die jungen Menschen, dann sagen sie, in Freizeitaktivitäten, im Sport ist Begegnung möglich.

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Das gilt auch immer für die Themen Arbeit, Bildung und Schule. Hier muss es selbstverständlicher werden, dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen lernen und arbeiten. Und natürlich das Thema Nichtdiskriminierung – es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, mit marginalisierten Gruppen sensibel umzugehen.

Die Herstellung von Barrierefreiheit ist eine Grundvoraussetzung für Inklusion. Denn wenn ich nicht überall hinkomme in meiner Freizeit, wenn ich nicht in einen Club komme, dann nützt mir auch das schönste Angebot nichts.

Und ein letzter, wichtiger Punkt ist die Sprache. Sprache schafft Bilder und Sprache schafft Wirklichkeiten – Aussagen wie "Du bist behindert!" gehören nicht in den Wortschatz. Man muss eben auch eine Sprache benutzen, die wertschätzend ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Frank Preiss.

Infobox: Das Inklusionsbarometer Jugend

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