Plädoyers erwartet
Im Mai 2023 stirbt Carolin G. auf dem Standstreifen der A9 in ihrem Auto. Seit acht Monaten stehen ihr Ex-Partner und sein Schulfreund vor Gericht. Der Prozess beruht auf Indizien. Es gibt keine eindeutigen Beweise. Nun werden die Plädoyers verlesen. Von Jacqueline Piwon
"Der Benni, der kann das nicht gewesen sein", sagt ein Familienangehöriger des Angeklagten. Er steht in der langen Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle zum Landgericht Potsdam. Und doch sitzt Benjamin K. an diesem Tag und vielen weiteren Tagen auf der Anklagebank - zusammen mit Björn R., seinem Bekannten aus Schultagen.
Am Abend des 10. Mai 2023 wird auf der A9, zwischen den Anschlussstellen Brück und Beelitz (Potsdam-Mittelmark), ein Auto auf dem Standstreifen entdeckt. Darin liegt die 40-jährige Mutter und Lehrerin Carolin G. aus Niemegk (Potsdam-Mittelmark). Ein Auto soll ihr Auto gerammt und von der Fahrbahn gedrängt haben. Aus nächster Nähe wurde G. erschossen. Seit Mitte Januar wird ihrem Ex-Freund und dessen Schulfreund deswegen der Prozess gemacht. Das Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall ist von Anfang an groß.
Laut Anklage der Staatsanwaltschaft soll Björn R. wegen eines Sorgerechtsstreits um das gemeinsame Kind den Mord geplant und seinen Freund Benjamin K. beauftragt haben, Carolin G. zu töten.
Im Januar 2024 betreten schließlich die zwei Angeklagten erstmals den Saal am Potsdamer Landgericht. Zuerst kommt Björn R., ein großer dunkelhaariger Mann. Er ist unauffällig, aber ordentlich gekleidet, trägt ein beiges Hemd und einen Pullover. Der Ex-Partner des Opfers strahlt eine gewisse Sachlichkeit aus. Im Laufe des Prozesses wird er sich akribisch Notizen machen, dem Geschehen ohne große Gefühlregungen folgen und lange Schweigen.
Dann betritt Benjamin K. den Saal. Währenddessen geht ein Raunen durch die Zuschauerreihen. Er wirkt nervös, trägt eine dunkle Sonnenbrille, eine schwarze Mütze hat er sich tief ins Gesicht gezogen. Zudem hält er sich zitternd eine Akte vor sein Gesicht.
Benjamin K. überrascht das Gericht am ersten Verhandlungstag mit einer ausführlichen Aussage. Mehrere Stunden lang erzählt er von seiner Beziehung zu Björn R., die mehr eine Bekanntschaft als eine tiefe Freundschaft zu sein scheint. Er erzählt auch von einer langen gesundheitlichen Leidensgeschichte und verschiedenen Krankheiten. Sie führten dazu, dass er Berufsausbildungen immer wieder abbrechen musste. Mit den Krankheiten begründet er auch das Zittern.
Er zeichnet das Bild eines körperlich kranken Mannes, der scheinbar viele Rückschläge im Leben hinnehmen musste und stellt sich als gutgläubig und mitunter naiv dar. Die Tat streitet er ab. Er gibt jedoch zu, das Opfer im Auftrag von Björn R. unter anderem bespitzelt zu haben - gegen Geld. Detailliert schildert er seine Sicht der Dinge und beantwortet die Fragen des Gerichts.
Björn R. sagt an diesem ersten Verhandlungstag nur einen einzigen Satz: "Ich habe mit dem Tod von Carolin G. nichts zu tun." Danach schweigt er.
In den achten Monaten danach werden rund 160 Zeugen gehört und unzählige private Whatsapp-Nachrichten vorgelesen. Die Mitglieder beider Familien haben im Rahmen des Prozesses fast nur Schlechtes übereinander zu sagen. Die Mutter von Björn R. soll sich demnach stark in die Beziehung und die Erziehung des Enkelkindes eingemischt und Carolin G. abwertend behandelt haben. Der Vater des Opfers habe eine gute Beziehung zu seiner Tochter gehabt und sei ihre Vertrauensperson gewesen. Die Mutter des Opfers habe dagegen an der psychischen Stabilität ihrer Tochter und daran, dass sie gut für ihren kleinen Sohn sorgen konnte, gezweifelt. Sie habe nach der Trennung von ihrem Mann erst ein schwieriges und schließlich gar kein Verhältnis mehr zu ihrer Tochter gehabt. Im Prozess sagt sie zugunsten von Björn R. aus. Eine Schwägerin bezeichnet Björn R. als eiskalt und einen Kontrollfreak.
Björn R. nimmt all das fast regungslos zur Kenntnis. Er reagiert auch nicht, als Benjamin K. ihn belastet, indem er behauptet, Björn R. habe ihn beauftragt, die Kita des Sohnes auszuspionieren, um zu wissen, wann Carolin G. den Jungen abgibt. Auch als Benjamin K. erzählt, sein Freund habe ihn beauftragt, ein Auto anzuzünden, mit dem beide vorher unterwegs waren, um einen Brand am Wohnhaus von Carolin G. zu legen, zeigt Björn R. keine Regung.
Er hört auch stoisch zu, als Familienangehörige von Carolin G. ihn als gewalttätigen Mann beschreiben, der Carolin G. vorgeworfen habe eine schlechte Mutter zu sein. Björn R. habe sie unter Druck gesetzt, hieß es. Ex-Partnerinnen stützten dieses Bild, Freundinnen der getöteten Lehrerin sprachen von einer toxischen Beziehung. Das alles nahm Björn R. ohne große Gefühlsregungen zur Kenntnis. Die Familie von Björn R. zeichnet ein Bild von Carolin G. als schlechte Mutter und psychisch instabile Frau. Sie sei übertrieben ängstlich gewesen.
Björn R. und Carolin G. lernten sich übers Internet kennen. Sie war schon lange auf der Suche nach dem Richtigen. Ein paar Mal trafen sie sich, schnell wurde Carolin G. schwanger. Es war keine innige Liebesbeziehung, sondern eine, die sich von Anfang an auf das Kind konzentrierte. Björn R. wünschte sich ein Kind, obwohl er bereits zwei Kinder mit zwei anderen Frauen hatte. Die Beziehung zwischen Carolin G. und Björn R. hielt dann nicht lange.
Auch nach acht Monaten Verhandlung gibt es aber keine eindeutigen Beweise, keine Mordwaffe und kein Geständnis.
Immer wieder geht es im Laufe des Prozesses um das gemeinsame Kind der beiden. Um eine Verbrühung mit heißem Tee und einen Sturz aus dem Hochbett im Wohnmobil. Beides sollte zeigen, dass Carolin G. eine schlechte Mutter gewesen sein soll.
Als alle Zeugen gehört sind und Staatsanwaltschaft und Verteidiger ihre Plädoyers halten wollen, entschließt sich Björn R. dann doch noch zu sprechen. Über seinen Anwalt lässt er verlesen, wie seine Sicht auf die Dinge ist. Er sei "fassungslos, wie Sachverhalte verdreht wurden". Menschen, die glauben ihn zu kennen, würden Dinge "ausschmücken und hinzuerfinden", um zu zeigen, dass er und seine Eltern eine "kranke Familie" seien. Dass er Carolin G. "runtergemacht" habe, sei nicht wahr. Im Sorgerechtsstreit habe man mit Hilfe der Familienberatung eine Lösung gefunden.
Und schließlich wendet er sich seinem Mitangeklagten zu: "Nachdem, was er (Benjamin K.) alles in der Hauptverhandlung abgezogen hat", könne er nicht mehr schweigen. Benjamin K. habe ihm gegenüber geäußert: Er habe das für das Kind gemacht. Benjamin K. soll gesagt haben, er sei selber bei einer schlechten Mutter aufgewachsen und das wollte er für das Kind von Björn R. und Carolin G. nicht. Es sei "ein Freundschaftsdienst" gewesen. Während der Anwalt diese Worte verliest, rutsch Benjamin K. entsetzt auf seinem Stuhl hin und her, verzieht ungläubig das Gesicht und bespricht sich unruhig mit seinen Anwälten. Björn R. verfolgt die fast zweistündige Verlesung seiner Ausführungen erneut mit stoischer Ruhe.
Ein weiterer Paukenschlag in dem Prozess, der sich nun dem Ende zuneigt. Sofern sich das Blatt nicht noch einmal wendet, werden ab Dienstag die Plädoyers verlesen. Bis zum Urteil wird es dann wahrscheinlich nicht mehr lange dauern.
Sendung: Antenne Brandenburg, 10.9.2024, 7:30 Uhr
Beitrag von Jacqueline Piwon
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