Verbot oder Kompromiss?
Während in manch anderen Ländern bereits ein Handyverbot an Schulen gilt, gibt es in Deutschland dazu keine einheitliche Regelung. Auch in Berlin muss jede Schule eigene Richtlinien beschließen - ein schwieriger Prozess. Von Anna Corves
In ruhiger Stadtrandlage in Lichtenrade im Süden Berlins liegt die Theodor-Haubach-Schule, eine Integrierte Sekundarschule. Die Jugendlichen fit fürs Berufsleben zu machen, ist das Hauptziel von Schulleiter Manfred Gehrke und seinem Kollegium. Dazu dienen auch Werkstätten für Holz, Metall, Elektronik und Textilien. Mit den eigenen Händen etwas zum Anfassen zu erschaffen, sei für viele seiner Schüler:innen eine tolle und neue Erfahrung, erzählt der Direktor.
Sonst sind die Hände der Jugendlichen überwiegend mit dem Handy beschäftigt. Doch zumindest auf dem Schulgelände ist damit seit dem 1. Januar 2024 Schluss. Von Unterrichtsbeginn bis -ende, auch in Pausen und auf dem Schulhof müssen die Smartphones im Rucksack bleiben. Ein harter Einschnitt war das, erinnert sich der 14-jährige Maik: "Ich hab vorher immer mit meinen Freunden in einer Ecke gezockt. Als wir das nicht mehr durften, haben wir uns erstmal geärgert."
Inzwischen kann er dem Verbot auch etwas abgewinnen. Mit seinen Freunden schnappt sich Maik in der Pause jetzt einen Fußball oder Tischtenniskeulen. "Wir wünschen uns zwar nach wie vor das Handy zurück. Aber so zu spielen macht auch Spaß." Man sei nicht mehr so abgelenkt, ergänzt die 13-jährige Latifah. Früher habe sie selbst im Unterricht immer wieder aufs Handy geschaut. Ihre Englischlehrerin Marta Valdenebro nickt energisch: "Die Schüler können sich besser konzentrieren."
Die Wirkung von Handyverboten an Schulen wird auch wissenschaftlich untersucht. Forscher:innen vom Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität Augsburg haben jüngst Studien dazu aus Ländern, in denen ein Handyverbot gilt – Norwegen, Spanien, Tschechien, England und Schweden – verglichen und analysiert. "Die Daten zeigen bedeutende Effekte eines Verbots auf das soziale Wohlbefinden", sagt Studienautor Tobias Böttger. Das soziale Miteinander habe sich verbessert, es habe weniger Konflikte, etwa durch Cyber-Mobbing, gegeben. Nicht belegen ließ sich durch die Daten aus dem Ausland hingegen, dass sich ein Handyverbot auf die Lernleistung der Schüler auswirke. Schulpädagoge Tobias Böttger verweist aber auf eine andere Studie, an der er 2023 mitgewirkt hat. Darin wurde der sogenannte Brain-Drain-Effekt untersucht. Sein Fazit: "Allein die Anwesenheit eines Smartphones am Arbeits- oder Lernplatz reicht schon aus, um abzulenken." Allerdings: Auch die Abwesenheit ihres Handys macht manche Jugendliche an der Theodor-Haubach-Schule nervös. "Da ist schon dieser Drang, am Handy zu sein", sagt die 14-jährige Celina. Es hätten zum Schulschluss schonmal 40 Nachrichten auf sie gewartet.
Manche geben der Neugier dann doch während der Schulzeit nach. "Seit dem Verbot haben wir die Toilettenaufsicht verstärken müssen", erinnert sich Direktor Manfred Gehrke schmunzelnd. Wer mit dem Handy in der Hand erwischt wird, muss es abgeben. Im Schnitt landen drei bis fünf Geräte am Tag bei ihm im Büro. Gehrke sucht dann das Gespräch mit den Schüler:innen. "Das sind keine mahnenden, sanktionierenden Gespräche. Wir reden darüber, wie schwierig es ist, den Smartphone-Konsum zu kontrollieren." Damit hätten schließlich auch genügend Erwachsene ein Problem. Bei Wiederholungstätern müssen die Eltern das Handy abholen. Manche Eltern, sagt Gehrke, eilten in die Schule, angetrieben von ihren Kids auf Entzug. "Andere bitten mich, das Handy gleich ein paar Wochen wegzusperren", lacht er.
Vor dem Verbot war der Handykonsum aus dem Ruder gelaufen. Nicht nur zeitlich. "Wir hatten schwere Konflikte, da ging es um nicht-einvernehmliches gegenseitiges Filmen. Auf dem Schulhof wurden auch Videos abgespielt, die wollten wir nicht sehen, die wollten wir auch niemandem zumuten." Sie hätten handeln müssen. Eltern, Schülervertretung und Kollegium hätten das ausführlich diskutiert. Am Ende stimmten Lehrkräfte und Eltern für ein Verbot und überstimmten damit die Schülerschaft.
Ortswechsel: Das John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte versucht einen Mittelweg. Hier sind Handys in den Klassen und Gängen verboten, aber in den großen Pausen im Schulhof erlaubt. Noch. In der Praxis erweist sich diese Regel als zu kompliziert. Beispiel Flure: Sie sind eigentlich eine handyfreie Zone. De facto sind dort immer wieder Schüler:innen mit Handy unterwegs und viele Lehrkräfte drücken ein Auge zu. Denn tatsächlich informieren sich die Schülerinnen und Schüler über eine Schul-App auf ihren privaten Handys auch über Stunden-, Vertretungs- und Raumpläne. Schuleigene Tablets gibt es nicht.
Für mehr Klarheit soll eine Neuregelung sorgen, die in diesem Herbst noch verabschiedet werden soll. Schulleiterin Antoneta Berisha würde sich ein komplettes Handyverbot wünschen. Aber sie will die Neuregelung möglichst einstimmig von Schülern, Eltern und Lehrern aushandeln lassen, um die Akzeptanz zu erhöhen. Im Juni hat die Schule bereits einen "Detox-Monat" versucht mit einem generellen Verbot. Eine kleine, nicht repräsentative Umfrage in einer 9. Klasse ergibt: Begeistert wären die Schüler von einem kompletten Handyverbot nicht.
Wie an der Theodor-Haubach-Schule laufen die Diskussionen ums Handy auch am John-Lennon-Gymnasium schon sehr lange, in mehrstufigen Aushandlungsprozessen. Das mache viel Arbeit und sorge für Unruhe, sagt Schulleiterin Antoneta Berisha.
Würde sie sich eine einheitliche Regelung für alle Schulen wünschen, wie es sie im Ausland verschiedentlich gibt? In Deutschland ist Bildung Ländersache, aber das Land Berlin könnte eine entsprechende Regelung im Schulgesetz verankern. Berisha zögert. An sich findet sie es gut, wenn Schulen selbst entscheiden können, angepasst an ihre jeweilige Schüler- und Lehrerschaft. Aber: "Ich glaube, eine landesweite Regelung würde Ruhe schaffen. Das gilt dann einfach für alle."
Schulleiter Manfred Gehrke von der Theodor-Haubach-Schule zögert keine Sekunde: "Aus meiner persönlichen Auffassung heraus ein klares Ja. Das beliebige Herumprobieren in jeder Schule ist ein taktischer Fehler." Er würde sich ein generelles Handyverbot an Berliner Schulen wünschen.
Doch die Senatsbildungsverwaltung sieht keine Notwendigkeit, den Schulen einen solchen Rahmen zu setzen. Das Berliner Schulgesetz sehe eigenverantwortliche Schulen vor, heißt es auf rbb-Anfrage.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.09.2024, 07:30 Uhr
Beitrag von Anna Corves
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