GPS-Tracking von Schulkindern
Die Medienpädagogin Iren Schulz kann nachvollziehen, dass viele Eltern gern immer wissen wollen, wo ihre Kinder sind. Sie betont aber, dass Tracking-Tools nur vermeintliche Sicherheit bieten - und die Kinder um wichtige Erfolgserlebnisse bringen.
rbb|24: Frau Schulz, hier in Berlin und Brandenburg ist die Schule wieder losgegangen. Viele Schulanfänger absolvieren also ab jetzt ihre ersten Wege allein. Mithilfe von GPS-Trackern (im Smartphone, der Smartwatch oder als Airtag an der Schultasche) können die Eltern heute theoretisch stets sehen, wo ihre Kinder sind. Ist das eine gute Idee?
Iren Schulz: Das kann man aus unterschiedlichen Perspektiven beantworten. Und ich würde mich da zuerst einmal auf die Seite der Eltern stellen und sagen, dass ich sehr gut verstehen kann, was da für Ängste und Sorgen sind. Die Kinder machen die ersten Schritte allein und das ist auch aufregend für die Eltern. Gerade vor dem Hintergrund der komplexen Welt, in der wir leben, schwingen da eine Menge Unsicherheiten mit. Es gibt viel Verkehr, viel Durcheinander und insgesamt erreichen uns viele Hiobsbotschaften. Sodass solche Tools da, ich sage es gleich zugespitzt, eine vermeintliche Sicherheit zu bieten scheinen. Weil ich ja immer sehen kann, wo mein Kind ist.
Also ist es schon irgendwie eine gute Sache?
Das hat zwei Seiten. Aus entwicklungspsychologischer Perspektive und einer Datenschutz- und Privatsphäre-Perspektive kann man durchaus Bedenken äußern. Entwicklungspsychologisch gesehen muss man sagen, dass Kinder ja auch sehr stolz sind und buchstäblich große Schritte machen, wenn sie dann mal Wege allein gehen. Wenn sie dann unterwegs sind und sich auch selbst helfen können, wenn der Bus mal später oder gar nicht kommt. Sie versuchen sich dann zu organisieren, versuchen vielleicht zu verstehen, wie ein Fahrplan funktioniert.
Wenn wir aber als Eltern unseren Kindern die ganze Zeit im Nacken sitzen und versuchen, ihnen die bestmögliche Szenerie zu schaffen, berauben wir die Kinder auch um Entwicklungsmöglichkeiten und Erfolgserlebnisse. Und auch das Vertrauen, das wir unseren Kindern entgegenbringen wollen und sollen, hat gar keinen Raum.
Was sind die von Ihnen erwähnten Datenschutz-Probleme?
Es gibt eine unglaubliche Bandbreite von Tools auf dem Markt, mit denen man den Kindern hinterherlaufen kann und schauen kann, wo sie gerade unterwegs sind. Das sind aber immer auch Einfallstore dafür, dass nicht nur die Eltern sehen, wo das Kind ist, sondern möglicherweise auch andere, fremde Personen. Wer sich für das Tracken seines Kindes entscheidet, sollte sich gut anschauen, wie sicher das Tool, die Anwendung und die jeweiligen Schnittstellen sind.
Außerdem haben unsere Kinder auch ein Recht auf ihre Privatsphäre. Das ist in den EU-Kinderrechtskonventionen und letztlich auch im Grundgesetz festgeschrieben. Und die Eltern sollen dafür Sorge tragen, dass die Privatsphäre gewahrt wird. Eltern, die helikoptermäßig um ihre Kinder schweben, kann man aus der Perspektive auch kritisch sehen.
Gibt es Situationen, in denen ein Tracking dann nicht doch durchaus berechtigt sein kann?
Die gibt es auf jeden Fall. Es ist auch legitim, das miteinander zu besprechen. Man kann dem Kind ja erklären, dass es einen besonders langen Weg hat oder Bus fahren muss, man selbst vielleicht nicht zuhause ist oder nicht gut wegkann vom Arbeitsplatz. Da kann man ja vereinbaren, dass man nachschauen kann, wo das Kind ist. Wichtig ist, dass man es den Kindern transparent macht. Dass man ihnen nicht ohne ihr Wissen etwas in die Schuhe oder den Schulranzen klemmt.
Gibt es bei dem Thema und dem Vorgehen Unterschiede zwischen Grundschulkindern und Teenagern?
Da würde ich einen ganz großen Unterschied machen. Bei kleineren Kindern kann man da wirklich noch gut argumentieren und ihnen sagen, dass man sich wünscht, dass sie gut zurechtkommen und man selbst vielleicht unsicher ist. Bei Jugendlichen zerstört das mehr als es helfen kann. Wenn Jugendliche merken, dass man ihnen hinterherspioniert, stört das das Vertrauensverhältnis nachhaltig. Diese Teenager werden dann in Zukunft alles heimlich machen. Dann passiert genau das, was Eltern nicht wollen. Dass sie nicht erzählen, wenn irgendwas schief geht oder dass sie sich vielleicht mit jemandem treffen, den sie online kennengelernt haben. Sie hören also auf, Dinge zu erzählen und sie werden auch technisch versuchen, das Tracking zu umgehen. Das ist ein bisschen wie heimlich Tagebuch lesen.
Was sagt das über die Eltern-Kind-Beziehung? Dass da was nicht stimmt?
Ich versuche immer, auch dafür Verständnis zu haben. Ich bin selbst Mutter einer 14-jährigen Tochter. Und ich kann mich noch gut erinnern, wie das war, als sie die ersten Wege alleine gemacht hat. Auch jetzt sitzt mir die Angst manchmal auf der Schulter, wenn sie allein oder mit Freunden loszieht. Die meisten Eltern agieren da aus Angst und Sorge – sie wollen ihren Kindern ja nichts Schlechtes. Umso wichtiger ist es, das zu reflektieren. Damit man auch signalisieren kann, dass man dem Kind vertraut und es gehen lässt.
Wenn sich ein Kind wiederholt nicht an Regeln gehalten hat und nicht dann nach Hause kam, wann es sollte oder auf einer Party war, obwohl es bei einer Freundin sein solle, dann muss das sicherlich Konsequenzen haben. Aber da muss es andere Lösungen geben als eine – im Zweifelsfall auch noch heimliche - Überwachung.
Was sollten Eltern tun, die sehr viel Angst um die Sicherheit Ihrer Kinder haben?
Erst einmal sollte man sich grundsätzlich vor Augen führen, wovor man Angst hat und was das Schlimmste wäre, was passieren kann. Sorge ich mich, dass das Kind nicht ankommt oder dass jemand es überfällt? Dann sollte man sich fragen, ob das Tracking diese Situation auflöst. Was es wahrscheinlich nicht tut. Besser ist es, den Kindern Selbstwirksamkeit mitzugeben. Dazu gehört auch, mit dem Kind zu besprechen, was einem Sorge bereitet. Damit es versteht, dass man ihm nicht hinterherspionieren oder es gängeln will. Dann kann man versuchen, einen Kompromiss zu finden. Das Kind könnte zum Beispiel Bescheid sagen, wenn es losgeht oder angekommen ist. Da gibt es ja sehr viele Möglichkeiten, die ja auch jahrzehntelang funktioniert haben.
Heimliche Überwachung, das haben Sie bereits gesagt, ist also keine gute Idee. Gibt es noch mehr Dinge, die man in dem Zusammenhang als Eltern nicht tun sollte? In einigen Geräten kann man ja sogar Gebiete festlegen, sogenannte "digital fences", die die Kinder nicht überschreiten dürfen in der Realität. Tun sie es doch, gibt’s bei den Eltern einen Alarm.
Ich persönlich, aber auch aus der medienpädagogischen Perspektive, finde schon das Bild – dass sich ein Kind also in einem eingezäunten Bereich bewegt und ein Alarm angeht – schwierig. Mit erzieherischer Kommunikation kann man viel mehr erreichen als mit solchen technischen Lösungen. Sie können Erziehung sowieso nie ersetzen, sondern nur maximal ein zusätzlicher Baustein sein. Da muss man sich als Familie gut überlegen, was überhaupt der Mehrwert und was die Kehrseite ist. Kinder merken, wenn sie überwacht und eingesperrt sind – und sie buchstäblich keine weiteren Schritte machen können. So etwas ist also insgesamt nicht entwicklungsförderlich. Wobei es eben Ausnahmen geben kann, wo es vorübergehend sinnvoll sein kann.
Die Eltern, die heute ihre Kinder tracken, hatten ja eine ganz andere Kindheit. Ohne Überwachung, ohne Erreichbarkeit. Warum ist es gerade diesen Eltern so wichtig, immer zu wissen, wo Ihre Kinder sind? Einfach, weil es eben technisch möglich ist?
Ja, ich denke, dass die technische Entwicklung da eine große Rolle spielt. Der Markt bedient genau diese Ängste und Sorgen. Die waren schon immer da – aber jetzt wird passgenau die technische Lösung dazu geliefert. Das weckt bei manchen Eltern auch erst das Bedürfnis. Die technischen Lösungen versprechen ja auch eine – vermeintliche – Sicherheit.
Aber auch eine immer komplexer werdende Welt trägt dazu bei. Ich bin noch teils in der DDR groß geworden. Da gab es nicht einmal ein Festnetztelefon. Da kannte man sich noch mehr in der Nachbarschaft und wusste insgesamt noch mehr voneinander. Jetzt wohnen viele Familienmitglieder in ganz anderen Städten und der Familienalltag ist insgesamt hochdurchorganisiert. Und moderne Tools schaffen durchaus die Möglichkeit, Beziehungen auch über größere Entfernungen hinweg lebendig zu halten. Insbesondere via Smartphone. Und die dort enthaltenen Tracking-Möglichkeiten gehören dazu – auch wenn ich diese negativer Bewerten würde.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: Fritz, 02.09.2024, 08:30 Uhr
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