Interview | Pilze in Brandenburg
Pilze sprießen jetzt besonders gut - und Pilzfluencer Norman Glatzer verrät, wo man sie am besten findet, wie man dafür sorgt, dass keine Giftpilze im Körbchen landen und wie viele man eigentlich aus dem Wald schaffen darf. Er räumt auch mit einigen Mythen auf.
rbb|24: Hallo Herr Glatzer, über welchen Pilz freuen Sie sich besonders, der in Ihrem Körbchen landet? Und nimmt man überhaupt am besten ein Körbchen?
Norman Glatzer: Ich freue mich besonders über die Totentrompete – das ist ein schwarzer, etwas Trompeten-förmiger Pilz, der wahrscheinlich demnächst wieder in den Startlöchern steht. Der Name klingt zwar nicht so appetitlich und auch sein Aussehen lässt nicht unbedingt vermuten, dass man ihn essen könnte. Doch trotz allem duftet er schon köstlich nach Aprikosen, und es ist ein sehr guter Speisepilz. Der darf gerne in meinem Körbchen landen – und ein Körbchen ist auf jeden Fall immer mit von der Partie. Pilze sollte man immer in einem luftigen Korb sammeln und keinesfalls in einer Plastiktüte.
Sie gehen gemeinsam mit Ihrer Frau seit Jahren in die Pilze. Erst in Berlin und Brandenburg, inzwischen im Schwarzwald. Aus Ihrer Begeisterung ist sogar ein Youtube-Channel entstanden. Warum ausgerechnet Pilze?
Erstmal ist das Pilze suchen an sich schon eine sehr emotionale Angelegenheit. Man sucht und weiß nie genau, ob und was man finden wird. Dieses Suchen und Finden macht einfach mega viel Spaß. Aber die Pilze sind auch für sich wirklich faszinierend. Sie sehen so spannend aus, es gibt sie in allen möglichen Farben, Formen, Gerüchen und Geschmäckern. Und auch die ökologische Komponente ist spannend. Also zu sehen, welche Bäume mit welchen Pilzen zusammen sind. Mir geht es auch gar nicht immer darum, Pilze zu sammeln, um sie zu verspeisen. Bei vielen Pilzen ist es auch eine große Freude, sie einfach nur zu finden und sie sich anzuschauen.
Wo und wann findet man in Brandenburg am besten Pilze?
Grundsätzlich kann man das ganze Jahr über Pilze finden. Es sind dann immer unterschiedliche Arten. Aber die Hauptsaison dafür ist natürlich der Herbst. Also im September, Oktober – und manchmal auch noch Anfang November. Die größte Pilzvielfalt findet sich in Wäldern. Brandenburg hat sehr viele Kiefernwälder – und unter den Kiefern kann man gut Pilze finden. Denn die Kiefer ist glücklicherweise ein Baum, der mit sehr vielen Pilzarten in Symbiose geht. Aber es gibt in Brandenburg auch schöne alte Buchen- und Eichenwälder, die definitiv auch spannend sind.
Wie viele Pilze sollte ein einzelner Pilzsucher denn pro Waldbesuch mitnehmen? So viel er tragen kann?
Man sollte es nicht übertreiben. Gesetzlich gesehen sind es etwa zwei Kilo pro Person, die erlaubt sind. Aber weniger ist auch okay. Beim Pilze sammeln sollte es nicht um den Wettbewerb gehen. Am Ende muss man die Pilze noch verarbeiten. Das unterschätzt man leicht. Wenn man den ganzen Tag im Wald war und Pilze gesammelt hat, will man sich manchmal am Abend eigentlich nur noch erschöpft aufs Sofa legen. Doch dann hat man vielleicht eine riesige Pilzansammlung, die man noch haltbar machen muss. Da steht noch ein ziemlicher Arbeitsaufwand an.
Beim Pilze sammeln schwingt immer auch die Angst vor Vergiftungen mit. Haben Sie schonmal mit einer Pilzvergiftung zu tun gehabt? Und ist es immer eine Vergiftung, wenn man nach dem Pilzverzehr mit Bauchschmerz zu kämpfen hat?
Weder meine Frau noch ich hatten je eine Pilzvergiftung. Bei dem ganzen Thema gibt es einiges, was man beachten sollte. Wer Symptome bekommt, könnte zu alte Pilze gesammelt haben. Das ist der Fehler, der am häufigsten beim Pilze sammeln gemacht wird. Diese Menschen haben dann eine Lebensmittelvergiftung – und keine klassische Pilzvergiftung. Möglich ist es auch, dass jemand eine individuelle Unverträglichkeit für eine bestimmte Pilzart hat. Wenn man eine Pilzart zum ersten Mal ist, sollte man daher nicht zu viel auf einmal essen. So kann man erstmal schauen, ob man sie überhaupt verträgt. Wenn Symptome auftreten, kann es sich aber auch tatsächlich um eine Vergiftung handeln. Dann sollte man auf jeden Fall den Giftnotruf anrufen. Im Idealfall hat man dann Infos oder sogar Fotos zu den verzehrten Pilzen parat.
Helfen Apps inzwischen zuverlässig bei der Pilzbestimmung?
Apps können hilfreich sein. Sie können in eine ungefähre Richtung lenken. Aber manchmal liegen sie auch völlig daneben. Das gilt insbesondere für Scanner-Apps, bei denen man den Pilz mit der Kamera einscannt. Man sollte beim Pilze sammeln niemals einer App vertrauen. Pilze sollte man immer Merkmal für Merkmal mit einem Bestimmungsbuch vergleichen. Im Zweifelsfall gibt es Pilzberatungsstellen, an die man sich wenden kann.
Jetzt haben wir über die ungesunde Wirkung von Pilzen gesprochen – sind Pilze denn auch in irgendeiner Form förderlich für die Gesundheit?
Pilze sind tatsächlich sehr gesund. Sie können große Mengen Vitamin D enthalten und darüber hinaus enthalten sie die sogenannten Beta-Glucane. Letztere, das hat man in Studien herausgefunden, wirken Immunmodulierend – das heißt, sie können das Immunsystem unterstützen. Aber Pilze enthalten noch viele weitere antioxidative Stoffe, die die Körpergesundheit und möglicherweise sogar die kognitive Gesundheit fördern und unterstützen können. Im Internet ist viel darüber zu lesen, welche Wunder Pilze vollbringen können sollen. Da muss man aber vorsichtig sein. Die Studienlage ist oft relativ dünn und die meisten der vorliegenden Studien wurden im Reagenzglas oder mit Tieren gemacht und sind nicht auf Menschen übertragbar.
Bedenken muss man beim Pilze sammeln aber auch immer, dass Pilze sehr gut Schwermetalle anreichern können. Deshalb sollte man lieber nicht in Schwermetallbelasteten Gebieten – wie alten Berg-oder Tagebau-Arealen - sammeln. Auch zu Straßenrändern sollte man einen großen Abstand halten, denn sie sind durch den Reifenabrieb und die Abgase oft mit Schwermetallen belastet.
Apropos Pilze mit bestimmten Wirkungen. Gibt es hier auch halluzinogene Pilze?
Es gibt auch in Brandenburg die sogenannten Zauberpilze. Hauptsächlich findet man zwei Arten. Nämlich den Spitzkegeligen Kahlkopf, der vor allem auf extensiv genutzten Weiden wächst. Allein die muss man erst einmal finden. Dann gibt’s noch den Blauenden Kahlkopf. Den haben meine Frau und ich mal auf einem Friedhof gefunden. Da wuchs er direkt auf einem Grab im Rindenmulch.
Das sind total spannende Pilzarten. Das in ihnen enthaltene Psylocybin und sein Einsatz in der Therapie bei beispielsweise Depressionen, Traumata oder Suchterkrankungen wird immer mehr erforscht.
Doch der Konsum dieser Pilze bringt auch Gefahren mit sich – er ist außerdem illegal. Man darf diese Pilze nicht sammeln, denn sie stehen im Betäubungsmittelgesetz.
Über Pilze kursieren einige Mythen. Können Sie mit denen kurz ins Gericht gehen? Wie steht es zum Beispiel damit, dass man sie nicht mit Wasser waschen sollte?
Man kann Pilze mit Wasser waschen.
Es heißt oft, man solle Pilze nicht noch einmal aufwärmen?
Man kann sie aufwärmen, sollte sie aber zwischenzeitlich gekühlt aufbewahrt haben.
Pilze soll man nicht roh essen.
Das stimmt tatsächlich für die allermeisten Pilzarten. Einige sind roh sehr giftig. Wenn man den Perlpilz beispielsweise roh isst, fangen sich die roten Blutkörperchen an zu zersetzen. Isst man den Pilz gekocht, ist es ein guter Speisepilz.
Pilze soll man abschneiden und lieber nicht rausdrehen.
Eigentlich ist das egal. Doch sicherheitshalber sollte man Pilze auf jeden Fall aus dem Boden drehen. Schneidet man sie ab, bleibt das Ende des Stiels im Boden zurück. An diesem könnten wichtige Merkmale wie beispielsweise eine Knolle zu sehen sein. Insbesondere Pilze, die man noch nicht genau kennt, sollte man also keinesfalls abschneiden. Die zurückgelassenen Merkmale könnten im Zweifelsfall über Leben und Tod entscheiden.
Dann gibt’s den Spruch, es gäbe keine Pilze, wo Brombeeren und Brennnesseln wachsen.
Das stimmt auf jeden Fall. Denn dort wären viele Nährstoffe im Boden. Und viele Speisepilze wachsen nur an Orten, die nährstoffarm sind.
Noch so ein Spruch: "Wo ein Fliegenpilz im Wald ist ein Steinpilz nicht weit".
Das ist so. Fliegenpilze, Pfefferröhrlinge und Mehlräslinge wachsen besonders gern an den gleichen Standorten wie Steinpilze.
Wie steht es denn beim Sammeln von Pilzen mit dem Thema Fuchsbandwurm?
Der Fuchsbandwurm überträgt sich vor allen Dingen über den Kot des Fuchses. Und den sieht man gut. Wo Kot ist, will man ja ohnehin keine Pilze sammeln. Zudem würden durch die Erhitzung beim Kochen der Pilze auch eventuelle Eier des Fuchsbandwurms vernichtet.
Sind Pilze eher Pflanzen oder Tiere?
Sie bilden in der Natur ihr eigenes Reich. Genetisch sind sie etwas näher an Tieren als an Pflanzen.
In Brandenburg finden Pilzsammler neuerdings auch die Falsche Rotkappe. Sie soll aus dem Baltikum zu uns gekommen sein. Gibt es immer mehr neue Pilze? Und ist das nur von Vorteil?
Es gibt hin und wieder mal neue Pilzarten. Aber das passiert gar nicht so oft. Ob das problematisch ist oder nicht, weiß man meist erst einmal gar nicht so genau. Dazu fehlen Langzeitbeobachtungen. Die Falsche Rotkappe beispielsweise ist erst seit wenigen Jahren da – da muss man erst einmal schauen, wie sich alles entwickelt.
Apropos Entwicklung. Hat der Klimawandel denn Einfluss auf Pilze?
Ja, der Einfluss des Klimawandels ist auf jeden Fall zu spüren. Schon der Wintereinbruch ist mitunter viel später. Hier geht es speziell um den ersten Frost. Wenn der kommt, ist die Hauptsaison der Pilze vorbei. Danach kommen nur noch Winterpilze. Verlagert sich der erste Frost nach hinten, gibt es immer länger Pilze. Gleichzeitig gibt es ja oftmals längere Trockenperioden – da gibt’s dann gar keine Pilze. Und wenn es wärmer wird, verbreiten sich wärmeliebende Pilzarten, die kälteliebenden Arten könnten mehr und mehr verschwinden. Zudem schädigen die Auswirkungen des Klimawandels viele Baumarten – und wenn ein Baum stirbt, sterben auch die Pilze, die mit ihm in Symbiose leben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: Antenne Brandenburg, 13.09.2024, 11:30 Uhr
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