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Quelle: dpa-Zentralbild/Jens Büttner

Facebook-Gruppe "Ossis in der Schweiz"

Wie Ostdeutsche in der Schweiz ihre Herkunft pflegen

Seit der Wiedervereinigung ist die Einwohnerzahl auf dem Gebiet der ehemaligen DDR um mehr als drei Millionen Menschen gesunken. Viele von ihnen sind in die Schweiz gegangen. Und vermissen dort ihre Heimat. Warum eigentlich, fragt sich Ilja Behnisch.

Würde man alle deutschen Staatsbürger, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, in eine Stadt sperren, käme Mannheim heraus. 315.960 Deutsche hatten Anfang 2023 ihren Wohnsitz in der Eidgenossenschaft gemeldet, teilte unlängst das Statistische Bundesamt [destatis.de] mit. In keinem Land der Welt sind es mehr. Österreich (225.000 Deutsche) und Spanien (126.000 Deutsche) auf den weiteren Plätzen fallen deutlich ab.

Wieviele Ostdeutsche es unter den Deutschen in der Schweiz sind, ist leider nicht bekannt. Dass es nicht gerade wenige sein werden, zeigt ein Blick in die sozialen Netzwerke. So hat allein die Facebook-Gruppe "Ossis in der Schweiz" [facebook.com] 6.252 Mitglieder. Für manche mag der Gruppenname nach Ostalgie und DDR-Verklärung klingen. Deshalb stellt sich die Frage: Warum diese Distinktion? Warum diese explizite Betonung des Ostdeutschen?

Trabi-Jubiläum

Eine Welt aus vier Gängen und zwei Aschenbechern

Vor 50 Jahren lief der millionste Trabant vom Band. Unser Autor Max Ulrich ist 1987 geboren und hat sich mit Mitte 20 einen Trabi gekauft. Was fasziniert ihn noch heute an diesem Auto, das langsam, eng und oft kaputt ist? Eine emotionale Annäherung.

Wer sich integrieren will, hat es schwer

Für Chris Wik, 44, gebürtig aus Strausberg (Märkisch-Oderland), ist die Sache recht schnell erklärt. Es gehe "um das Regionale: den Bautzner Senf, die Thüringer Wurst, das ostdeutsche Bier." Wik ist 2005 in die Schweiz gekommen. Der ausgebildete Maler und Immobilienmakler war in Deutschland zuletzt selbstständig gewesen. Es lief nicht sonderlich gut, wie er berichtet. Dann kam ein Angebot aus der Schweiz. Dort hat er seither seine Frau kennengelernt. 2019 haben sie ein Haus gekauft. In der Gruppe "Ossis in der Schweiz" ist er seit rund vier Jahren. Auch, weil es "gar nicht so einfach ist, Anschluss zu finden".

Unterhält man sich mit Mitgliedern der Gruppe, hört man das immer wieder. Schweizer, so der Tenor, blieben lieber unter sich. Ihre Freundschaften bestünden seit dem Kindesalter und hielten auch deshalb, weil die Wege in der Schweiz kurz seien. Deutschen gegenüber herrsche häufig Skepsis.

Es beginne schon bei der Sprache, sagt Kathrin Jachmann. Die 49-Jährige kommt ursprünglich aus Elsterwerda (Elbe-Elster). Sie zog im Alter von 20 Jahren nach Berlin und lernte dort ihren Mann kennen - einen Schweizer. Nach einer Zwischenstation in Lörrach, nahe der Schweizer Grenze, leben sie seit sechs Jahren in Bern.

Jachmann leitet das Ticketing am dortigen Theater. Sie sagt: "Die Ostdeutschen sind den Schweizern sehr ähnlich: sehr höflich und sehr zurückhaltend." Wenn nur die Sache mit der Sprache nicht wäre. "Man fällt sofort auf", so die gebürtige Brandenburgerin. "Ich habe ganz oft erlebt, wenn ich angefangen habe zu reden, dass die Leute Hemmungen bekommen. Weil sie dann denken: 'Oh nein, jetzt muss ich hochdeutsch reden.' Sie haben das Gefühl, sie können das nicht gut. Dabei stimmt das gar nicht."

Jachmann ist "seit Corona" in der Facebook-Gruppe, die die ostdeutsche Herkunft so sehr betont. "Wahrscheinlich, weil ich Heimweh hatte, weil ich dachte, vielleicht findet man da Leute, die auch aus der Gegend kommen." Dabei sei sie wenig aktiv, poste oder kommentiere kaum, lese eher mit.

Beim Fußballturnier der Facebook-Gruppe treten dann die Teams Brandenburg gegen Sachsen an (Bild: privat). | Quelle: privat

Ostalgie zwischen Arbeitskampf und Inhaltsleere

Spricht man mit den "Ossis in der Schweiz", bekommt der sonst so viel gescholtene Ostalgie-Begriff eine versöhnliche Note. Dieses Kofferwort aus Ostdeutschland und Nostalgie soll eine Sehnsucht nach der DDR beschreiben. Gerade auch in Abgrenzung zu allem Westdeutschen. Manche verstehen es auch als Sehnsucht nach der DDR als solche. Doch was, wenn die Erinnerung überhaupt nicht politisch gemeint ist? Was, wenn Ostalgie nichts weiter ist als eine wohlige Verbindung zur eigenen Biographie, zur eigenen Kindheit? Die immer verklärt wird, da nehmen sich die Menschen nichts. Ganz egal, in welchem (deutschen) Staat sie geboren wurden.

Nun gibt es sie tatsächlich, die Stimmen, die Ostdeutschland als eine Art Kampfbegriff verstehen. Die Stolz aus ihrer bloßen, örtlichen Herkunft ziehen. Chris Wik, der gebürtige Strausberger, kann damit nichts anfangen. "Die ältere Generation kann vielleicht stolz sein auf die friedliche Revolution", sagt er. Alles andere empfinde er als "ein bisschen zu plump. Das wird doch ein bisschen sehr nach vorn gebracht, mit T-Shirts zum Beispiel. Das ist ein bisschen inhaltsleer."

Glorifizierung kann befremdlich sein

Auch Michael Kayser nennt diese, allerdings wenigen Postings in der Gruppe "etwas befremdlich". Der 45-Jährige sagt: "Teilweise lese ich Sachen, wo ich dann sage: So jung wie du bist, hast du die DDR gar nicht mehr mitbekommen. Aber du glorifizierst die DDR als das Nonplusultra."

Kayser ist in Potsdam aufgewachsen, lebte dort seit seinem fünften Lebensjahr. Als seine erste Ehe 2008 in die Brüche ging, packte ihn das Fernweh. Zunächst nahm er einen Gastronomiejob in Basel an. Heute arbeitet er für eine Firma, die Dienstleistungen im Bereich Digitalisierung anbietet.

In der Gruppe "Ossis in der Schweiz" ist er seit ungefähr vierzehn Jahren. Durch sie habe er viele Menschen kennengelernt. Die beiden Administratoren der Gruppe zählt er zu seinem erweiterten Freundeskreis. Er sagt: "Die Schweiz ist mein Zuhause, aber Potsdam bleibt meine Heimat." Die Gruppe helfe ihm, den Bezug zu ihr zu bewahren.

Wer Fußball spielt, will auch Pokale gewinnen - etwa den Wanderpokal der "Ossis in der Schweiz" (Bild: privat). | Quelle: privat

Kulturlos am Herd

Ostalgie erscheint auch deshalb häufig als Kampfbegriff, weil sie mit den vermeintlich Abgehängten in Verbindung gebracht wird. Mit den sogenannten Wendeverlierern, die sich nach einem "Früher" sehnen, allein weil es ihnen da vermeintlich besser ging. Den Exil-Ossis in der Schweiz jedoch geht es zumeist gut - zumindest wirtschaftlich. Nur wenige gehen zurück. Wenn, dann nach dem Arbeitsleben. Mit Schweizer Renten lässt es sich schließlich gut leben im vergleichsweise günstigen Ostdeutschland.

Facebook-Projekt "Ost Cola"

Schnappschüsse aus einem verschwundenen Land

Junge Menschen mit den wilden Mähnen der 80er-Jahre stehen zwischen bröckelnden Fassaden: Beim Brandenburger Projekt "Ost Cola" sind die Erinnerungen an die DDR meist schwarz-weiß - aber alles andere als grau. Von Johanna Siegemund

"Die Probleme hier sind wahrscheinlich schon kleiner als dort", sagt Chris Wik, der immer noch Kontakt "zu seinen Jungs" in Strausberg habe und sie regelmäßig wiedersehe. In der "Ossis in der Schweiz"-Gruppe habe er eine Mitarbeiterin gefunden und einen Schreiner, der seine Terrasse gemacht habe. Er fahre gern zu den regelmäßigen Treffen, die aus der Gruppe heraus organisiert werden. Freundschaften seien dabei keine entstanden. Dann rede "ich ein bisschen mit den Leuten, schau mir eine Simson an, esse mein Brötchen und dann ist es auch ok".

Wik hänge an seiner Heimat, die nun einmal Ostdeutschland ist, nicht aber an der DDR. Er ist zufrieden in der Schweiz, wie er sagt. Nur eines finde er schwierig: "Die haben überhaupt keine Kochkultur." Aber vielleicht gibt es dafür ja auch eine Facebook-Gruppe.

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Beitrag von Ilja Behnisch

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