Freyenstein (Ostprignitz-Ruppin)
An der nördlichen Grenze Brandenburgs weigert sich ein kleiner Ort, noch kleiner zu werden. Läden schließen, Leute ziehen weg - ein Teufelskreis. Eine neue Grundschule soll dem entgegenwirken. Kann das gelingen? Von Juliane Gunser
Vergilbte Bücher liegen auf den alten Schultischen, Kritzeleien erzählen von längst vergangenen Schwärmereien, Staub tanzt in der Luft. Durch das alte Schulgebäude hallt seit über 16 Jahren kein Kinderlachen mehr. Der Geruch alter Möbel erfüllt die Luft. Der DDR-Bau versprüht seinen typischen Charme, eingerahmt von herbstlich verfärbten Bäumen. Es ist leise hier, fast still. In Freyenstein, einem von 18 Ortsteilen von Wittstock/Dosse (Ostprignitz-Ruppin) im nördlichen Brandenburg, leben aktuell 801 Einwohner. Kein Supermarkt, keine Tankstelle, dafür viel Idyll. Es wirkt, als würde sich hier nicht viel regen - aber das täuscht.
Nach einem gescheiterten Versuch, in Freyenstein endlich wieder einen Supermarkt zu eröffnen, wagen die Einwohner jetzt einen neuen Versuch, dem Ort mehr Leben einzuhauchen. Gelingen soll das mit der Neueröffnung der Grundschule. "Wir haben uns mal so umgehört, wie die Bevölkerung dazu steht. Tatsächlich war die Rückmeldung sehr positiv, da wir ja dieses Schulgebäude haben und das wieder mit Leben zu füllen, wäre toll. Die Eltern waren auch sofort begeistert. Also haben wir gesagt: ok, versuchen wir es anzupacken", erzählt die Ortsvorsteherin Christa Ziegenbein über den ersten Vorstoß.
Aus der Idee wurde Ernst, als sie einen Freien Träger finden konnten, der sich dem Projekt Neugründung annehmen will: das Jugend- und Sozialwerk Oranienburg. Der Träger betreibt mehr als 70 Kitas, hat aber auch schon Erfahrung mit Schulneugründungen. Die erste Grundschule hatte der Träger 2006 in Hohen Neuendorf gegründet, danach kamen weitere Schulen in Oranienburg und in Rosenow (Mecklenburg-Vorpommern) dazu. Auch in Freyenstein sei eine Schulgründungen gut machbar, aber auch ziemlich kompliziert, erzählt die Geschäftsführerin Renate Ulbricht. Erster Punkt: das Schulhaus. Das gehört nämlich bisher der Stadt Wittstock/Dosse.
Die dortige Stadtverordnetenversammlung hat dem Verkauf des Gebäudes an den Träger bereits zugestimmt, jetzt fehlt noch der Termin beim Notar. Nächster Punkt: Das Bildungsministerium muss die Neugründung genehmigen. Dass die noch auf sich warten lässt, bringt Renate Ulbricht nicht aus der Ruhe, wie sie sagt. Das könne erfahrungsgemäß etwas dauern, hindere sie aber nicht daran, anzufangen. Bei der Gründung eines Gymnasiums kam die Genehmigung erst wenige Tage vor der Eröffnung.
Eine große Herausforderung könnte aber auch das Bauliche werden. Die größten Faktoren seien Heizung und Elektrik, die müssen auf jeden Fall grunderneuert werden. Die Geschäftsführerin des Trägers hatte schon beim ersten Termin mit den Freyensteinern ein gutes Gefühl, sagt sie und will jetzt mit aller Kraft ein Positivbeispiel schaffen. "Es kommt etwas zurück in den Ort. Es geht nichts, es kommt. Und es ist eine Schule, die kommt." Für die Unternehmerin sei das Grund genug, um es zumindest zu versuchen.
Trotz allem soll die Schule zum kommenden Schuljahr 2025/2026 eröffnet werden. "Im Grunde genommen habe ich ein Dreivierteljahr Zeit, um das hinzukriegen. Das wird schon sportlich. Ich habe aber festgestellt, dass wir, gerade wenn wir diesen Druck haben, immer am besten arbeiten. In der Vergangenheit war das jedes Mal so", sagt Renate Ulbricht. Rund 2,5 Millionen Euro wolle der Träger in die Neugründung investieren. Ein Vorhaben, das sich wirtschaftlich erst einmal nicht rechne, so Ulbricht. "Dass wir hiermit kein Geld verdienen werden, ist klar. Schulen sind generell keine Einrichtungen, mit denen man viel Geld verdient. Darauf kommt es mir in diesem Fall aber nicht an."
So ein Projekt könne man sich nur leisten, wenn das Unternehmen insgesamt gut dastehe. Durch die Kitas und Schulen, die der Träger in den vergangenen 26 Jahren eröffnet hat, sei das also möglich. Ein Risiko bleibe es dennoch. Bei einer Freien Schule, wie diese eine werden würde, kommt hinzu, dass sie sich die ersten beiden Jahre komplett selbst finanzieren muss. Erst danach können Anträge auf staatliche Förderung gestellt werden.
Zwar kein wirtschaftliches, aber dafür ein emotionales Risiko ist die Schulneugründung für die Freyensteiner. Viele von ihnen stecken große Hoffnungen in das Projekt - würde es nicht gelingen, wäre das ein herber Rückschlag. Annika Schiller ist Freyensteinerin und will künftig als Schulsozialarbeiterin an der Schule arbeiten, sie hat sogar schon ihren Arbeitsvertrag unterschieben. "Ich habe meinen sicheren Platz im öffentlichen Dienst für die neue Stelle aufgegeben. Das zeigt einfach, wie viel Vertrauen ich in den Träger stecke und wie viel Hoffnung und Freude ich mit der Wiederbelebung der Grundschule verbinde", so Schiller. "Ich möchte dieses Projekt von Anfang an begleiten, mein Herz mit reinstecken und Fußabdrücke hinterlassen, um im nächsten Jahr mit den Kindern starten zu können."
Teil des neuen Schulkonzepts sei auch, die Grundschule eng mit den Menschen im Ort zu verbinden. Vereine könnten Arbeitsgemeinschaften anbieten, bei der Betreuung der Schülerinnen und Schüler helfen und die Lehrerinnen und Lehrer unterstützen. Ebenfalls Teil des Konzepts sei eine einheitliche Schuloberbekleidung.
Doch dafür braucht es auch entsprechendes Personal: Laut Träger haben bereits einige Lehrkräfte Interesse angemeldet, ab dem kommenden Schuljahr an der neuen Schule zu unterrichten. Das Wichtigste aber sind die Schülerinnen und Schüler, denn leere Klassenzimmer nützen nichts, auch wenn sie noch so schön saniert sind. Eine Untergrenze nennt der Träger: "Wir haben gesagt, wenn wir fünf Schüler in der Klasse haben, fangen wir an."
Inzwischen seien schon um die zehn Anmeldungen eingegangen, nicht nur für die Erste Klasse. Kämen auch für höhere Klassen genügend Schülerinnen und Schüler zusammen, würden sie auch mehrere Klassen eröffnen, so die Geschäftsführerin. Da es sich bei der neuen Grundschule in Freyenstein um eine sogenannte Ersatzschule in freier Trägerschaft handeln würde, würde auch ein Schulgeld für die Eltern anfallen. Dieses berechne sich nach dem Einkommen der Eltern und würde laut Träger maximal 200 Euro pro Monat betragen.
Bei allen Beteiligten scheinen Hoffnung und Motivation Hand in Hand zu gehen. Auch wenn es in Zukunft sicherlich einige zu bewältigen gibt: Noch will hier keiner etwas von Problemen wissen.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 23.10.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Juliane Gunser
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