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Quelle: rbb

Jüdisches Leben in Brandenburg

"Ich bin so viel mehr als der Hass, der mir entgegenschlägt"

Tanya Raab schreibt über unangenehme Dates, koscheres Gleitgel und Antisemitismus. Die Brandenburgerin ist jüdische Aktivistin und Influencerin. Dafür bekommt sie Anerkennung, aber auch Hass und Morddrohungen. Von Margarethe Neubauer

Tanya Raab steht im Scheinwerferlicht auf der Bühne im Haus der Offiziere in Brandenburg an der Havel. Sie trägt ein leuchtend pinkes T-Shirt, dazu eine leuchtend pinke Kippa. Die traditionelle Kopfbedeckung ist im Judentum ein Zeichen für die Ehrfurcht vor Gott und wird zumeist von Männern getragen. Für die 24-jährige Tanya ist sie auch ein Zeichen der Emanzipation.

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"Junge Juden und Jüdinnen auf dem Land sind oft einsam"

"Ich hatte lange das Gefühl, dass es nur einen Weg gibt, jüdisch zu sein. Wenn wir jüdische Menschen in den Medien darstellen, sind das meistens orthodoxe jüdische Männer. Und das war das Bild, was ich auch immer hatte," sagt Tanya Raab, die in der Ukraine zur Welt kam und in Frankfurt (Oder) aufgewachsen ist. Ihr Eindruck: Gerade junge Juden und Jüdinnen, die nicht in der Großstadt leben, fühlen sich oft unverstanden und allein.

Erst als Teenager beginnt sie, sich mit ihrer jüdischen Herkunft und dem jüdischen Glauben zu identifizieren. Trag das nicht so nach außen, mahnen die Eltern, als Tanya ihre erste Kette mit Davidstern kauft. Mitschüler starren, machen Witze beim KZ-Besuch. Heute geht die junge Frau selbstbewusst mit ihrer Religiosität um, will mit Vorurteilen aufräumen und über Antisemitismus aufklären. Deshalb schreibt sie darüber Texte für die Bühne und postet ihre Erlebnisse auf Instagram.

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Wenn das Date nur über Auschwitz reden will

"Mich machen viele Kleinigkeiten wütend", sagt sie bei ihrem Poetry Slam-Auftritt in Brandenburg ins Mikrofon. "Wie der eine Typ, der mir beim ersten Date sagte, ich sähe gar nicht so jüdisch aus. Und der meinte das wirklich als fucking Kompliment". Absurde Dating-Geschichten, davon kann Tanya, die sich als bi-sexuell identifiziert, einige erzählen: "Ich habe mich zum Beispiel mal mit einer Frau verabredet, die dann erst nur über Auschwitz reden wollte".

Solche, wie sie es nennt, "Dating-Fails", teilt Tanya auf ihrem Instagram-Profil. Und auch andere Einblicke in ihren Alltag als Lehramtsstudentin und junge Mutter, die ein liberales Judentum praktiziert. Zum Beispiel den Shabbat, den sie mit ihrem Partner und ihrer dreijährigen Tochter ganz unkonventionell begeht: Pizzaabend statt Challa-Brot, Gebete zu Hause statt in der Synagoge.

"Ich habe dem Postboten nicht mehr die Tür aufgemacht"

"Für mich war immer ein wichtiger Punkt, dass ich zeigen wollte, dass jüdische Menschen nicht anders sind", sagt sie. "Ich bekomme auch sehr viel positives Feedback. Viele Menschen schreiben mir, dass sie solche Perspektiven einfach sehr wertschätzen. Aber natürlich bekomme ich auch viel Antisemitismus im Netz".

Schon zu Coronazeiten habe sie Anfeindungen erhalten. Etwa durch den Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten Attila Hildmann. "Er hat ein Foto von mir und meinen vollständigen Namen und Wohnort in seiner Telegram-Gruppe veröffentlicht und wollte seine Followerschaft auf mich hetzen", erzählt Tanya. "Kurz danach bin ich sehr paranoid geworden, habe dem Postboten nicht mehr die Tür aufgemacht".

Antisemitismus – auch in linken Kreisen

Seit dem 7. Oktober 2023 habe sich die Lage nochmal verschärft. Selbst in linken Kreisen erfahre sie nun Antisemitismus. "Dabei bin ich nicht einmal Israelin", sagt Tanya. Die Kritik an der israelischen Regierung könne sie verstehen. "Aber Kritik an einem gesamten Staat – das finde ich schwierig. Und wenn ein Kommilitone einen Pin mit einem durchgestrichenen Davidstern am Rucksack trägt, dann betrifft mich das". Eine Kippa in der Uni zu tragen, das kommt für die Studentin mittlerweile nicht mehr infrage.

In schwierigen Situationen findet sie Halt bei ihren jüdischen Freundinnen, die ähnliche Erfahrungen machen. Und bei ihrem Partner Max, der selbst keinen jüdischen Hintergrund hat. "Wir teilen zum Beispiel immer unseren Standort, damit er weiß, wo ich bin", erzählt Tanya. Außerdem trainieren die beiden zusammen im Fitnessstudio, machen Kraftsport. Das stärke das Selbstbewusstsein – für Konfrontationen im realen Leben oder den nächsten Shitstorm im Netz.

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Aufklärungsarbeit für ihr Kind

"Fast jedes Telefonat, das ich mit meiner Mutter führe, beginnt damit, dass sie sagt: Musst du das machen mit Instagram?. Natürlich mache ich mir Gedanken, ob ich nicht zu viel teile. Aber ganz klischeehaft ist der Grund, warum ich weitermache, tatsächlich mein Kind. Ich versuche, durch meine Aufklärungsarbeit dafür zu sorgen, dass jüdische Menschen die Ängste, die meine Eltern hatten, irgendwann nicht mehr haben müssen."

Im Haus der Offiziere in Brandenburg an der Havel bekommt Tanyas Text viel Applaus. Schreiben, das war schon immer ein Ventil für ihre Wut, ihren Frust. Aber auch ein Mittel, um die Themen sichtbar zu machen, die ihr am Herzen liegen. Aktuell arbeitet sie sogar an einem Sachbuch für einen großen Verlag.

"Es nervt mich schon manchmal, ein 'Erklärbär' zu sein. Andererseits merke ich aber, dass es was bringt, weil gewisse Sachen aus einer Unwissenheit heraus geteilt oder verbalisiert werden. Und ich finde, wenn man darüber aufklärt, kann man wirklich viel erreichen". Deshalb schreibt Tanya Raab weiter – an ihrem Buch, an wütenden Poetry Slam-Texten und an ihren Beiträgen auf Instagram.

Beitrag von Margarethe Neubauer

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