Knapper Wohnraum in Berlin
Kein Bundesland bringt so wenige seiner Studierenden in Wohnheimen unter wie Berlin. Die Plätze sind belegt, die Wartelisten lang. Gerade für Neue wird so der Uni-Start schwierig. Denn auch die Angebote auf dem privaten Markt sind knapp - und teuer. Von Sylvia Tiegs
Eske Woltmer eilt in diesen Tagen von einer Erstsemesterveranstaltung zur nächsten. Sie arbeitet ehrenamtlich für den Asta – den Allgemeinen Studierendenausschuss – der Humboldt Uni, und aktuell wird sie immer wieder auf ein Thema angesprochen: das Wohnen. "Studierende erzählen uns, dass sie gerade noch in Brandenburg wohnen, weil sie es nicht geschafft haben, eine Wohnung in Berlin zu finden. Dass sie die Ersti-Woche aus einem Hostel heraus machen, weil sie keinen festen Wohnsitz in Berlin haben."
Vor allem Neuankömmlinge würden fragen, ob der Asta helfen könne oder Tipps habe. "Es gibt wirklich viele Studierende, die gerade total verzweifelt sind", berichtet Eske. Es fehle einfach bezahlbarer Wohnraum, ist ihr Eindruck schon seit Jahren.
Das Studierendenwerk Berlin kann das nur bestätigen – als großer Vermittler von Wohnraum verwaltet man hier schon lange den Mangel. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht.
Auf seiner Webseite wirbt das Studierendenwerk Berlin mit dem Slogan "Wir machen es Dir bequem". Man habe "bestimmt das Richtige für dich". Tatsächlich verfügt das Werk stadtweit über rund 9.200 Wohnheimplätze. In Alt- und Neubauten, zu unterschiedlichen Größen und Preisen. Im Schnitt sind die Zimmer oder Apartments viel günstiger als auf dem freien Markt. Schon ab 250 Euro wäre etwas zu haben – theoretisch. "Derzeit, wie seit Jahren, sind alle unsere Wohnheimplätze komplett belegt", teilt das Werk auf Anfrage von rbb|24 mit. Die Zahl der Wartenden ist demnach sogar nochmal gestiegen: Vor einem Jahr standen 4.900 Studierende auf den Listen, inzwischen sind es rund 5.200. Wartezeit für einen Wohnheimplatz: im Schnitt über ein Jahr, so das Studierendenwerk.
Bei anderen Anbietern sieht es nicht besser aus. Die beiden landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Berlinovo oder Gesobau beispielsweise melden in ihren Studentenunterkünften volle Auslastung. Beide Unternehmen planen oder bauen derzeit zwar neue Unterkünfte, vor allem die Berlinovo. 3.550 zusätzliche Plätze sollen entstehen – aber erst in den nächsten Jahren.
Sie werden jetzt schon dringend gebraucht: Laut einer Erhebung wohnten 2023 in Berlin nur etwa sieben Prozent der Studierenden in speziell für sie gebauten Unterkünften. Bundesweit waren es mit 14 Prozent doppelt so viele, in Potsdam sogar 24 Prozent. Damit bleibt in Berlin vielen Studierenden entweder das Elternhaus – oder, wenn man zugezogen ist, nur der freie Wohnungsmarkt.
Paolo hat hier Glück gehabt. Der 24-Jährige ist zum Masterstudium aus Heidelberg nach Berlin umgezogen und hat über Anzeigen auf einem Suchportal ein WG-Zimmer gefunden: "Es hat besser geklappt als gedacht. Von daher bin ich glücklich. Aber es ist auch nur befristet, bis Ende März", erzählt Paolo. Dann kommt der eigentliche Mieter vom Auslandspraktikum zurück, und die Suche beginne für ihn von Neuem.
Immerhin liegt das Zimmer in Paolos Budget: 500 Euro zahle er pro Monat, mehr wolle und könne er eigentlich nicht bezahlen. Paolo bekommt Bafög, etwas Unterstützung von den Eltern, und er verdient Geld mit einem Nebenjob. Für das Zimmer in Schöneweide nimmt er eine Stunde Pendeln in Kauf: so lang braucht er mit den Öffis von dort zu seiner neuen Uni, der FU. Ihm sei klar, sagt er, wie angespannt der Berliner Wohnungsmarkt ist. Er bleibe aber optimistisch. Auch wenn er weiterhin nur befristete Zimmer finden sollte, würde er das Studium in Berlin deshalb nicht schmeißen: "Das ist im schlimmsten Fall einfach der Preis, den man zu zahlen hat, wenn man hier studieren möchte."
Matthias Anbuhl sieht das auch so – und es regt ihn auf. Anbuhl ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks, er hat den Überblick über die Mieten aller Universitätsstädte. Die Lage in Berlin sieht er sehr kritisch: "Wir erleben hier eine neue Form der sozialen Auslese. Die Frage, ob ich an einer Berliner Hochschule studieren kann oder nicht, hängt mehr und mehr davon ab, ob ich mir die Miete in dieser Stadt überhaupt leisten kann." Anbuhl spricht wörtlich von einem "bildungspolitischen Skandal": Ein durchschnittliches WG-Zimmer koste in Berlin mittlerweile 650 Euro. Aber ein Drittel der Studierenden habe nach eigenen Untersuchungen überhaupt nur 800 Euro im Monat zur Verfügung.
Anbuhl fordert, dass der Bund die Wohnkostenpauschale bei der Ausbildungsförderung Bafög anhebt. Die liegt aktuell nur bei 380 Euro - damit komme man auf dem privaten Wohnungsmarkt nicht weit. Außerdem bräuchten die Studierendenwerke günstige Grundstücke in den Städten, sagt er, damit sie mehr bezahlbare Wohnheimplätze bauen könnten.
Das Berliner Studierendenwerk plant derzeit nach eigenen Angaben eine Erweiterung seines Wohnheims im Aristotelessteig in Lichtenberg. 150 neue Plätze sollen dort geschaffen werden. Immerhin. Aber so, wie der Wohnungsmarkt für Studenten aussieht, wäre auch das nur der berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein.
Sendung: rbb|24, 14.10.2024, 13:00 Uhr
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Beitrag von Sylvia Tiegs
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