Welt-Frühgeborenen-Tag
Ungefähr acht Prozent aller Kinder in Deutschland werden zu früh geboren. Sie kommen noch vor der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Viele müssen medizinisch speziell betreut werden - keine leichte Aufgabe für Ärzte, Pflegende und Eltern.
Zurückgelehnt sitzt Franziska Abt auf ihrem Stuhl und hält die kleine Rosalie in ihren Armen. Sie wirkt zufrieden, senkt den Blick oft liebevoll auf ihre Tochter, die - passend zum Namen - heute ganz in Rosa und Schleifchen gekleidet ist.
Dass die beiden heute so hier sitzen können, war vor einiger Zeit noch gar nicht so klar. Denn Rosalie kam auf die Welt, als Franziska Abt gerade mal in der 26. Schwangerschaftswoche war. Extrem zeitig also - üblich ist eine Geburt zwischen der 38. und 42. Woche.
"Meine Gynäkologin hat bei einer Untersuchung festgestellt, dass etwas nicht ganz so schick ausschaut", erinnert sich die Mutter. Ihre Frauenärztin habe sie dann gleich in das Cottbuser Klinikum geschickt. "Gott sei Dank", sagt Franziska Abt. Denn kurz nachdem sie angekommen war, habe sich auch gleich ihre Tocher zur Geburt angemeldet.
Die Cottbuser Kinderklinik an der Medizinischen Universität Lausitz Carl Thiem (MUL CT) beherbergt eines von vier hochspezialisierten Perinatalzentren in Brandenburg. Sie besitzen mit Level eins die höchste Versorgungsstufe, wenn es um Frühchen geht. Das Personal ist besonders geschult, es gibt spezielle Überwachungstechnik und besonders kleine Beatmungsgeräte für die früh geborenen Säuglinge.
Hierher kommen Mütter, die vor der 29. Schwangerschaftswoche entbinden oder deren Kinder bei der Geburt weniger als 1.250 Gramm wiegen. 2023 traf das auf 70 Säuglinge in ganz Brandenburg zu. Für Frühchen, die mehr wiegen oder später geboren werden, sind die niedrigeren Versorgungsstufen zuständig. Das sind in Brandenburg vor allem die Kliniken mit perinatalem Schwerpunkt, weniger spezialisierte Perinatalzentren auf Level zwei gibt es im Flächenland nicht.
Franziska Abt und ihre Tocher Rosalie waren ein klarer Fall für ein hochspezialisiertes Perinatalzentrum. Das kleine Mädchen wog bei ihrer Geburt nämlich gerade mal 900 Gramm. Fünf Tage konnte das Klinikpersonal die Entbindung herauszögern, dann war es soweit. "Man erschrickt im ersten Moment," erzählt Mutter Franziska, "wenn man so ein unfertiges menschliches Wesen sieht und auf die Brust gelegt bekommt."
Babys werden als Frühgeborene bezeichnet, wenn sie vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen. Doch Frühchen ist nicht gleich Frühchen. Rosalie zum Beispiel ist besonders zeitig geboren worden und war damit auch auf medizinische Hilfe angewiesen.
"Es ist ein Unterschied, ob ein Frühgeborenes in Terminnähe geboren wird oder ob ein Frühgeborenes an der Grenze der medizinischen Überlebensfähigkeit geboren werden muss", erklärt der Kinderarzt Albrecht Grunske. Er leitet seit fast sieben Jahren die Neonatalogie an der MUL CT und damit auch das Cottbuser Perinatalzentrum.
Mit der Behandlung hat er bei den meisten seiner kleinen Patienten Erfolg. Sie überstehen die kritische Phase, werden langfristig gesund. Manchmal müssen Eltern aber auch lernen, mit einer chronischen Krankheit des Kindes umzugehen. Oder sie müssen Abschied nehmen.
In diesen Momenten möchte der Kinderarzt den Eltern tröstend zur Seite stehen, auch mit der Sicherheit, vorher alles versucht zu haben. Das ist nicht nur für die Eltern, sondern auch für den Kinderarzt oft nicht leicht zu ertragen. "Mir gehen hier sehr viele Dinge sehr nahe", sagt Grunske. Mit Kollegen über das Erlebte zu sprechen, kann dann helfen, so der 53-Jährige.
Damit Säuglinge in Cottbus auf höchster Versorgungstufe behandelt werden können, muss das hochspezialisierte Perinatalzentrum, das Grunske leitet, jährlich gewisse Zahlen erreichen. Andernfalls könnte der Versorgungsstatus hinabgestuft werden.
Seit diesem Jahr müssen mindestens 25 Frühchen unter 1.250 Gramm beziehungsweise vor der 29. Schwangerschaftswoche geboren werden. Zuvor war die Grenze bei 20 Frühchen festgesetzt worden.
"Diese sehr starre Regelung ist im Einzelfall schwierig zu handhaben", sagt Grunske. Und sie sei teilweise auch paradox mit Blick auf seine Hauptaufgabe: dem Verhindern und Hinauszögern von Frühgeburten. Man könne sich vorstellen, so Grunske, das daraus auch Interessenkonflikte entstehen könnten.
Sein Haus sei den Zahlen zwar bisher gerecht geworden - die Frage nach dem Versorgungsstatus stehe jedoch immer wieder im Raum - und damit auch die personelle und medizinische Ausstattung. Grunske hält es darum für sinnvoller, die Gewichtsgrenze aufzuweichen oder seltener den Versorgungsstatus zu überprüfen. Vor allem, damit die Kinderklinik langfristig planen kann.
Auch die Perinatalzentren der Ernst von Bergmann Gruppe in Potsdam und Brandenburg an der Havel sind zuversichtlich, die Fallzahlen auch dieses Mal wieder erreichen zu können. Das sagte David Szekessy, Departmentleiter der Neonatologie in Potsdam, gegenüber rbb24.
Anders sieht die Lage in Frankfurt (Oder) aus. Dort wurden die erforderlichen Fallzahlen bereits 2023 nicht mehr erreicht. Um die Versorgung im Osten Brandenburg jedoch sicherstellen zu können, wurde dem Frankfurter Perinatalzentrum eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Ob die auch für andere Häuser, die die Zahlen zukünftig nicht erreichen können, zur Debatte steht, ist unklar.
Rosalie, geboren mit 900 Gramm im Perinatalzentrum in Cottbus, ist heute fast vier Monate alt und bringt mittlerweile gut 3.400 Gramm auf die Waage. Ein paar Probleme, etwa mit der Verdauung, gibt es zwar noch, aber sonst sei alles gut, so Franziska Abt.
Das Perinatalzentrum besuchen Mutter und Tochter nach wie vor. Für Nachsorgeuntersuchungen, aber auch bei Fragen gebe es hier immer ein offenes Ohr: "Ich hatte nie das Gefühl, dass ich allein gelassen wurde mit meinen Sorgen, Schmerzen oder Ängsten", erzählt Franziska Abt.
Sie sei einfach nur glücklich, dass alles gut gegangen ist. "Und der kleinen Motte gehts ja auch gut", fügt sie lächelnd hinzu.
Sendung: Antenne Brandenburg, 14.11.2024, 15:10 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen