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Audio: Antenne Brandenburg vom rbb | 08.11.2024 | Martin Klopf / Christian Matthée | Quelle: Imago

Interview | Martin Klopf

Wie ein politischer Häftling Freilassung und Mauerfall an einem Tag erlebte

Für Martin Klopf öffneten sich am 9. November 1989 gleich zwei Türen - in Berlin fiel die Mauer, nur Stunden zuvor wurde er aus dem Zuchthaus Cottbus entlassen. Heute ist er Arzt in Schleswig-Holstein. Ein Interview.

rbb|24: Herr Klopf, der 9. November 1989 ist ein historisches Datum. Es ist das Datum des Mauerfalls und markiert damit das Ende der DDR. Für Sie persönlich war der 9. November noch aus einem anderen Grund bedeutend. Erzählen Sie bitte von diesem Tag.

Martin Klopf: Es ist eigentlich ein rein zufälliges Ereignis. Es gab zum Ende der DDR eine Amnestie. Nach den wochenlangen Protesten auf der Straße in der ganzen DDR gab es dann doch irgendwann den Beschluss, politisch Inhaftierte freizulassen. Am 27. Oktober '89 gab es einen Amnestiebeschluss, woraufhin alle politisch Inhaftierten freigelassen werden sollten. Es wurden nicht gleich am ersten Tag alle gleichzeitig freigelassen. Einige wurden am 8. November entlassen, einige, so wie ich, wurden am 9. November entlassen und andere erst im Dezember.

Es war am Tag selbst noch gar nicht vorstellbar, wie sich die Ereignisse überschlagen würden, sodass wir abends fassungslos vor dem Fernseher saßen und die Nachricht hörten, die Grenze ist möglicherweise zum sofortigen Zeitpunkt geöffnet. Insofern ist es für die Welt ein besonderer Tag, für mich war es einfach Zufall. Es hätte genauso ein Tag früher oder später sein können.

Menschenrechtszentrum

Cottbuser Dauerausstellung zeigt Schicksale von Inhaftierten der NS-Diktatur

12 Jahre lang wurden im Cottbuser Zuchthaus Menschen während der Nazi-Diktatur inhaftiert. So auch Traute Lafrenz, eine Widerstandskämpferin der Weißen Rose. Ihre Kinder haben nun die neu eröffnete Daueraustellung zum Thema besucht.

Sie haben sich also nach Ihrer Entlassung zunächst mit Ihrer Familie vor den Fernseher gesetzt?

Ja. Meine Eltern hatten mich abgeholt, das war auch eine Überraschung. Ich wusste eine Woche vorher, dass ich entlassen werde und die Gefängnisleitung meinte, es wäre zu spät meine Verwandten, meine Eltern zu informieren, damit sie mich abholen. Um kein Aufsehen zu erregen, wurden wir meistens in der Nacht entlassen.

Ich bin morgens um vier Uhr aus dem Gefängnis entlassen worden, stand vor dem Tor und glücklicherweise wussten meine Eltern doch, wann der Entlassungszeitpunkt war, und sie konnten mich dann vor dem Tor empfangen. Wir sind dann gemeinsam in meine Heimatstadt zurückgefahren. Dass dann abends diese verhängnisvolle Aussage von Günter Schabowski getätigt wurde, dass zum sofortigen Zeitpunkt die Grenzen offen sind, war für alle eine Überraschung. Damit hatte keiner gerechnet.

Warum sind Sie überhaupt in Cottbus inhaftiert gewesen?

Das hat eine längere Vorgeschichte. Es ging in der Schule los, dass wir als Elftklässler mehr oder weniger erpresst wurden. Um einen Studienplatz zu bekommen, mussten wir uns für einen längeren Zeitraum für den Unteroffiziersdienst verpflichten. Nach der Studienplatzerteilung gab es bei der darauffolgenden Musterung Meinungsverschiedenheiten über den Sinn und Zweck, ohne das politisch werten zu wollen. Es war aus ethisch-religiösen Gründen - ich stamme aus einem christlichen Elternhaus - für mich nicht vereinbar, dass, wenn ich Arzt werden will, ich auch längere Zeit in der Armee dienen sollte.

Es kam dann in der Folge zur Studienplatzrücknahme, die mir jegliches Studium in der DDR verwehrt hatte. Um mir eine Zukunft zu geben, war für mich klar, dass ich die DDR verlasse. Bei einem Fluchtversuch bin ich gefasst worden und nach den damaligen Gesetzen zu einer längeren Haftstrafe verurteilt worden, die ich dann in Cottbus absitzen sollte.

Heute arbeiten Sie als Arzt in Schleswig-Holstein. Mit der Grenzöffnung stand Ihnen die Welt nach Ihrer Entlassung buchstäblich offen. Wie ging es für Sie dann weiter?

Ich hatte keinen Personalausweis, das ist bei Inhaftierten nie der Fall gewesen. Man musste erst zur Polizeidienststelle und seine Ausweispapiere abholen. Sonst wäre ich noch in der Nacht in die Bundesrepublik weitergefahren. Das hat sich um einen Tag verzögert. Wir sind zur Grenze gefahren, haben uns in die riesige Schlange der Ausreisewilligen eingereiht und Verwandte haben uns in Westdeutschland in Empfang genommen. Dort konnte ich auch zunächst bleiben, um mich von dort aus um einen Studienplatz zu bemühen. Das war mit meiner Vorgeschichte auch überhaupt kein Problem. Mit einem halben Jahr Verzögerung konnte ich dann in Hamburg mit meinem Medizinstudium beginnen.

Wie oft denken Sie heute daran zurück? Ist das noch präsent in Ihrem Leben?

Nein, eigentlich gar nicht mehr. Wie Sie schon so schön sagten, uns stand die Welt offen. Wir konnten uns unser Leben aufbauen, keine Restriktionen haben mich gehindert, nach meinen Leistungen und Wünschen mein Studium fortzusetzen und später dann als Arzt zu arbeiten. Es ist eine Episode in meinem Leben, die man nicht vergessen darf, aber es bestimmt nicht mein jetziges Handeln. Es sind traurige Erinnerungen, aber man lässt sich nicht davon zerfressen. Es gab in der Zwischenzeit so viel Positives an Erlebnissen, das macht alles mehr als wett.

Zur Person

Martin Klopf

Heute ist das ehemalige Cottbuser Zuchthaus eine Gedenkstätte, das Menschenrechtszentrum Cottbus. Haben Sie sich diese schon einmal angesehen?

Ja, ich bin auch Mitglied in dem Verein. Durch eigene Recherchen bin ich darauf gekommen. Mich hatte die Geschichte interessiert, dass sich ehemalige Häftlinge bereit erklärt hatten, die Gedenkstätte in ihre Hände zu nehmen, das Gebäude zu erwerben und dort einen Gedächtnisort einzurichten. Mit der damaligen Leiterin bin ich in Kontakt getreten. Ich fand die Art und Weise, das Ganze aufzuarbeiten, gut - auch unter dem Aspekt, dass nicht nur auf die Geschichte hingewiesen wird, sondern dass gleichzeitig auch versucht wird, Jugendliche zu involvieren und zu sensibilisieren, dass nicht nur in der Geschichte Schlimmes passiert ist, sondern auch heutzutage in der Welt Ungerechtigkeiten stattfinden.

Es sind mehrere Projekte im Zusammenhang mit vom IS verfolgten Minderheiten im Irak zustande gekommen, an denen ich mich auch aktiv beteiligt habe. Es gibt auch eine Dauerausstellung, die sehenswert ist und wo auch Gefängnisakten von mir ausgestellt sind, um auch jungen Schülern zu zeigen, wofür muss man sich in seinem Leben entscheiden. Ist einem alles wert, seine politischen Überzeugungen aufzugeben oder steht man zu seinen Einstellungen? Kann man alles mitmachen, oder wie entscheidet man sich moralisch in einer Gesellschaft?

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Anja Kabisch für Antenne Brandenburg. Für die Onlinefassung wurde es gekürzt und redigiert, inhaltlich aber nicht verändert.

Sendung: Antenne Brandenburg, 08.11.2024, 18:42 Uhr

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