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Audio: rbb|24 | 15.11.2024 | O-Ton aus dem Gespräch mit Stefan Röpke | Quelle: IMAGO/Shotshop

Interview | Facharzt für Psychiatrie

"Mit einem Narzissten ist an guten Tagen alles super"

Narzissten finden sich selbst so richtig geil. Andere Menschen brauchen sie vor allem, um genau das auszuleben. Wie erkennt man Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung? Stefan Röpke von der Charité gibt Antworten.

rbb|24: Hallo Herr Röpke. Wie kommt man zu der Diagnose "Narzissmus"?

Stefan Röpke: Narzissmus ist erst einmal ein umgangssprachlicher Begriff, der so in der Medizin oder Psychologie nicht definiert ist. Wenn man von einer Erkrankung spricht, geht es um die "Narzisstische Persönlichkeitsstörung". Mit Narzissmus gemeint sind meist narzisstische Merkmale. Also bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die unter die Überschrift "narzisstisch" fallen.

Zur Person

Stefan Röpke

Was macht einen Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung aus – was sind typische Anzeichen?

Bei narzisstischen Merkmalen unterscheidet man zwischen grandiosen und vulnerablen Merkmalen. Es gibt Anteile, die sehr offen gezeigt werden und welche, die eher verdeckt sind. Die offen gezeigten grandiosen Anteile sind am eindrücklichsten. Da geht es um Menschen, die sich selbst überhöhen, sich als besonders und einzigartig sehen, die sich von anderen abgrenzen und für die andere Regeln und Ausnahmen gelten sollen. Die Menschen haben sehr wenig Mitgefühl, sind auf ihr eigenes Fortkommen fokussiert und werden wütend bei Kritik. Sie gehen auch davon aus, dass andere neidisch auf sie sind.

Das klingt tatsächlich grandios. Wie sind vulnerable Typen?

Das sind nicht zwei verschiedene Typen, sondern meist geht es um Phasen im Leben eines Menschen. Es gibt Phasen, die sind eher grandios und es gibt vulnerable Phasen. Es gibt natürlich Menschen, die häufiger grandiose Phasen haben. Einige, die nie klinisch krank werden, haben nur ganz selten vulnerable Phasen. Andere wiederum haben viel mehr und längere vulnerable Phasen. Vulnerabel bedeutet beispielsweise, dass jemand Sinnlosigkeit und Leere empfindet. Es geht auch um innere Unsicherheit und Selbstzweifel, chronische Depressivität und Suizidgedanken. Eine leichte Kränkbarkeit gehört auch dazu. Scham und Angst vor Ablehnung sind weitere wichtige Emotionen bei Narzissmus.

Erbt man eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder ist sie erlernt?

Es gibt einen hohen genetischen Anteil. Vergleichende Untersuchungen an ein- und zweieiigen Zwillingen zeigen, dass über die Hälfte der Erkrankung genetisch erklärbar ist. Den anderen Teil machen Umweltfaktoren aus. Es handelt sich also um eine Mischung aus umweltbedingten und genetischen Faktoren.

Was begünstigt die Ausbildung von Narzissmus?

Da haben wir Erkenntnisse aus einer ganzen Reihe von Studien. In kulturvergleichenden Untersuchungen hat man unsere westliche, eher individualistische Gesellschaft mit kollektivistischen, ursprünglich asiatischen, Gesellschaften verglichen. Es finden sich Unterschiede - nämlich eine höhere Ausprägung von Narzissmus in den individualistischen Gesellschaften.

Studien aus China, ein Land, in dem vor Jahren abrupt die Ein-Kind-Politik eingeführt wurde, zeigen, dass in der Generation, in der es noch Kinder mit Geschwistern gab, weniger Narzissmus vorkam. Der Fakt, Geschwister zu haben, kann also vor Narzissmus schützen. Wenn man in der Stadt aufwächst, ist man narzisstischer, als wenn man auf dem Land aufwächst. Herausgefunden hat man auch, dass wer während des Jugendeintritts in einem Land lebt, dem es ökonomisch sehr gut geht, eher narzisstische Persönlichkeitsmerkmale ausprägt, als wer in einem Land lebt, das sich in einer Phase von Rezession und Depression befindet.

Wir haben im Rahmen einer Studie auch Menschen, die in der DDR groß geworden sind, mit Menschen verglichen, die in den alten Bundesländern groß wurden. Man kann grob formuliert sagen, dass die Menschen, die noch vor der Teilung sozialisiert wurden, keine Unterschiede in der Ausprägung narzisstischer Merkmale zeigten. Doch die Menschen, die in der DDR aufwuchsen, hatten weniger narzisstische Merkmale als die aus der Bundesrepublik. Und die junge Generation, die im vereinten Deutschland groß wurde und wird, zeigt wieder keine Unterschiede.

Es scheint auch in Mode zu sein, Menschen zu unterstellen, sie seien oder verhielten sich narzisstisch. Beobachten Sie das auch so?

Ja.

Das kam schnell. Können Sie beschreiben, was jemanden mit einer echten narzisstischen Persönlichkeitsstörung von jemandem mit einem schlicht großen Ego unterscheidet?

Es geht hierbei um zwei Begriffe, die gern durcheinandergebracht werden. Der eine ist Selbstbewusstsein oder Selbstwert, der andere ist Narzissmus. Um anhand eines Beispiels den Unterschied zu skizzieren: Landet ein Mensch auf einer einsamen Insel, kann sich derjenige mit großem Selbstbewusstsein immer noch auf das Problem fokussieren, Lösungen suchen und davon ausgehen, dass er das hinkriegt. Narzissmus hingegen funktioniert nur in Verbindung mit anderen Menschen. Es ist eine Persönlichkeitsstörung, die sich in der Interaktion mit anderen zeigt. Der narzisstische Mensch braucht die Reaktion eines anderen Menschen, sei es auch nur in der eigenen Vorstellung.

Wer selbstbewusst ist, kann aus eigenem Antrieb heraus agieren und auch Erfolg haben. Also ist nicht jeder Mensch, der Erfolg hat, gern Verantwortung übernimmt und das in den Vordergrund stellt, narzisstisch. Die Theorie beim Narzissmus ist, dass der Selbstwert eigentlich niedrig ist. Die Betroffenen wenden narzisstische Strategien an, um den Selbstwert zu steigern. Indem beispielsweise andere abgewertet werden oder die Menschen sich Traumwelten bauen. Klappt das nicht, kommen die vulnerablen Anteile hervor.

Gerade beim Dating gilt ja: Bloß nicht an einen Narzissten geraten. Wie könnte man in diesem Fall relativ zügig merken, dass da jemand krankhaft betroffen ist?

Der Krankheitsbegriff ist so definiert, dass das Entscheidende der Leidensdruck des betroffenen Menschen ist. Erst wenn eigenes Leid und Beeinträchtigung vorliegen, spricht man bei stark ausgeprägten Persönlichkeitsmerkmalen von einer Störung. Solange jemand damit gut durchs Leben kommt, kann man nicht von einer Krankheit sprechen. So lange geht es nur um Persönlichkeitsmerkmale.

Was das Dating betrifft, ist es so, dass es narzisstische Merkmale gibt, die die Betroffenen in Partnerschaften erst einmal deutlich gewinnender wirken lassen als jemanden, der diese Eigenschaften nicht hat. Dazu gibt es Untersuchungen. Deshalb fällt Mann oder Frau leichter auf so jemanden rein. Alles scheint erst einmal großartig, der neue Partner wirkt unheimlich mitreißend, emotional und enthusiastisch. Doch es geht wenig um die andere Person, es gibt wenig Mitgefühl. Derjenige ist viel bei sich selbst, berichtet von seiner eigenen Größe. Die Emotionslage des anderen interessiert ihn wenig. Er oder sie hat wenig Gespür für die andere Person, nimmt nicht wahr, wenn es der anderen Person mal schlecht geht. Mit einem Narzissten ist an guten Tagen alles super. Aber wenn es jemandem schlecht geht, geht der Narzisst gar nicht darauf ein.

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Wann bricht sich der Narzissmus im Regelfall Bahn?

Narzissmus bildet sich, auch wenn es erste Anzeichen bei Kindern geben kann, mit der Pubertät heraus. Aber wer als Jugendlicher auffällig ist, hat immer noch gute Chancen, das als junger Erwachsener wieder zu verlieren. Erste Anzeichen können weniger Angst und Furcht und eine vermehrte Selbstorientierung sein.

Welchen Einfluss haben Eltern dahingehend überhaupt auf Ihre Kinder?

Dazu gibt es insgesamt wenige Untersuchungen, aber eine recht spannende Studie. Lange hat man kalte und indifferente Eltern für Narzissmus verantwortlich gemacht. Andere hingegen gingen davon aus, dass Kinder, wenn sie für Selbstverständlichkeiten überschwänglich gelobt werden, narzisstische Merkmale ausbilden können. Die besagte Studie hat das untersucht und herausgefunden, dass kalte und indifferente Eltern gar nicht die Ursache sind. Sondern dass das zu viel für Kleinigkeiten loben problematisch ist. Wenn beispielsweise eine kleine selbstgebastelte Knetfigur in die Vitrine gelegt und das Kind als künftiger Picasso gehandelt wird.

Warme Eltern, die auch von ihren Kindern als solche wahrgenommen werden, stärken den Selbstwert. Wer für Kleinigkeiten lobt, stärkt Narzissmus.

Ist eine narzisstische Persönlichkeitsstörung therapier- beziehungsweise heilbar?

Bei uns melden sich oft Angehörige. Doch wenn ein Betroffener selbst keine Motivation für eine Therapie hat, kann man nicht viel erreichen. Wenn sich aber jemand mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung selbst dafür entscheidet, eine Therapie zu machen, was meist in der vulnerablen Phase passiert, kann das sehr hilfreich sein.

Es gibt zwar kaum Studien, die belegen, dass die Psychotherapie wirklich wirksam ist. Doch aus Einzelfallbeschreibungen und Verlaufsbeobachtungen sehen wir, dass eine Psychotherapie zur Besserung beitragen kann.

In der Regel werden narzisstische Merkmale aber auch ohne Therapie mit dem Alter weniger. Es hilft, wenn man es schafft, eine stabile Beziehung zu haben. Auch, wer zur Introspektion fähig ist – also Dinge an sich erkennt – wird im Zeitverlauf weniger narzisstisch sein. Und wer es schafft, stabile soziale Netzwerke auf Augenhöhe über längere Zeit aufrecht zu erhalten, schafft auch positive Faktoren.

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Wenn man sich jetzt anschaut, wo sich viele Selbstdarsteller tummeln, landet man schnell in den sozialen Kanälen wie Instagram und Co. Ist es wirklich so, dass es durch die entsprechenden Plattformen mehr Narzissten gibt, oder sind sie nur besser sichtbar?

Bei Untersuchungen, die auf kulturelle Veränderungen schauen, schaut man unter anderem, wie oft in Songtexten das Wort "ich" im Vergleich zu "wir" vorkommt. Dieser Hinweis auf vermehrte Ausprägung von Narzissmus ist häufiger geworden. Selbstdarstellung in sozialen Medien kann ähnlich betrachtet werden. Soziale Medien können Menschen mit narzisstischen Merkmalen eine Plattform bieten und dazu beitragen, dass sich narzisstische Merkmale vermehrt ausbilden. Insgesamt nimmt Narzissmus jedoch nicht stetig zu, sondern schwankt, beeinflusst durch die genannten Faktoren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess.

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