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Zentrale Leitstelle gefordert
Schwerkranke Menschen können zwar oft noch zuhause leben, müssen aber in regelmäßigen Abständen zur Behandlung zum Arzt oder ins Krankenhaus. Der Weg dorthin ist manchmal ein Hürdenlauf. Das hat finanzielle und strukturelle Gründe. Von Wolf Siebert
Die Mutter von Christin Bauer ist schwerkrank. Einmal im Monat muss sie deshalb zur Behandlung in eine Spezialklinik. Während der Fahrt muss sie mit Sauerstoff versorgt werden. Der Arzt hatte dafür eine Verordnung geschrieben und die Kasse den Transport bewilligt. Die Strecke zwischen Wohnung und Klinik ist rund 21 Kilometer lang.
Christin Bauer setzte sich also ans Telefon, rief fünfunddreißig private Transportunternehmen an. Ohne Erfolg: "Es wurde mir gesagt, dass dieser Weg sehr weit ist und dass ich deshalb für diese Strecke wohl niemand finden werde. Ich habe das so verstanden, dass die Kassen zu wenig bezahlen und sich das deshalb für die Firma nicht lohnt. Außerdem hat man mir gesagt, dass ich mir ein anderes Krankenhaus suchen soll, was nicht so weit weg liegt. Aber das ist für meine Mutter keine Option."
Auch die Krankenkassen bestätigen auf rbb-Anfrage, dass viele der rund neunzig privaten Krankentransportunternehmen Anfragen ablehnen, wenn ihnen die Fahrt unwirtschaftlich erscheint - obwohl sie eine Leistungspflicht haben. Das bedeutet: Sie dürften eigentlich keine Transporte ablehnen.
Dahinter steckt ein Streit ums Geld. Die Krankenkassen zahlen den Krankentransportunternehmen für eine fünf Kilometer lange Strecke eine Grundpauschale von rund 100 Euro, bei längeren Strecken gibt es kleine Aufschläge – für je 5 weitere Kilometer 1,50 Euro mehr. Damit sind viele Firmen unzufrieden, deshalb hat nur die Hälfte der Unternehmen diese Pauschale akzeptiert. Eine lange Strecke ist weniger attraktiv als mehrere Kurzstreckenfahrten. Auch deshalb findet Christin Bauer keinen Krankentransportwagen.
Matthias Rack ist Vorsitzender des Berliner Verbands privater Rettungsdienste. In Lichtenrade hat er eine eigene Transportfirma. Mit anderen Firmen teilt er sich eine private Leitstelle. An diesem Morgen gibt es schon zahlreiche Anfragen von Kliniken, Pflegeheimen und Privatpersonen.
Täglich gebe es bis zu siebenhundert Einsätze, aber gut siebzig Anfragen müsse man ablehnen, sagt Rack, er nennt aber einen anderen Grund als die Krankenkassen - Personalmangel: "Im Land Brandenburg – das sind 500 Meter von hier – wird ein Rettungssanitäter durchschnittlich mit 1.000 Euro mehr bezahlt als bei uns im Land Berlin. Und da kann man sich vorstellen, wo Menschen lieber arbeiten gehen. Und das ist unser Hauptproblem."
Racks Firma hat vierzehn Krankentransportwagen, rund die Hälfte kann er aufgrund von fehlendem Personal nicht besetzen. Aus Sicht der Krankenkassen gibt es in Berlin auch noch ein systemisches Problem: Ärzte in Krankenhäusern und Praxen würden zu häufig einen Krankentransportwagen mit Sanitätern bestellen, obwohl die Patienten auch mit Taxi oder Mietwagen fahren könnten. Für die Kassen wäre das deutlich billiger. Und schwerkranke Patienten wie die Mutter von Frau Bauer hätten dann größere Chancen, einen Krankentransport zu bekommen.
Laut einer Erhebung der Kassen finden in Deutschland 20 Prozent aller Fahrten mit Krankentransportwagen in Berlin statt. Noch deutlicher ist der Vergleich mit Brandenburg: 2023 wurden in Berlin 60 Prozent der medizinischen Fahrten mit einem Krankentransportwagen gemacht, in Brandenburg nur 2 Prozent.
Die Kassen wünschen sich für Berlin deshalb auch eine zentrale Leistelle, wie es sie in Brandenburg bereits gibt. Diese Vermittlungsstelle könnte dann alle Anfragen disponieren, und Menschen wie Frau Bauer müssten nicht mehr dutzende Transportunternehmen anrufen. Mit dem Senat gibt es aber nach wie vor Streit, wer diese Reform bezahlen soll.
Konkrete Lösungsvorschläge von der Senatsverwaltung für Inneres, die für das Thema zuständig ist, gab es auf eine rbb-Anfrage nicht. Zurzeit werde im Abgeordnetenhaus der erste Entwurf einer Reform des Rettungsdienstgesetzes diskutiert, und man wolle dem parlamentarischen Verfahren nicht vorgreifen.
Eine grundsätzliche Anmerkung gab es dann aber doch: "Der Bereich des Krankentransportes befindet sich in dem Spannungsfeld zwischen dem Wunsch des Personals nach einer höheren Vergütung einerseits und dem Wirtschaftlichkeitsgebot für solche Leistungen andererseits. Steigende Ausgaben im Gesundheitswesen und der Kostendruck für die Krankenkassen führen dabei zu schwer lösbaren Zielkonflikten."
Zu wenig Geld, zu wenig Personal und offene strukturelle Fragen: Christin Bauer und ihre Mutter können nicht warten, bis all diese Probleme gelöst sind. Für die Transporte bis zum Jahresende hat Frau Bauer eine Lösung gefunden, ein "Freundschaftsdienst" wie sie erzählt.
Wie es im neuen Jahr weitergeht, ist offen: "Das weiß ich nicht. Ich will jetzt auch noch gar nicht darüber nachdenken, weil uns das alle überfordert. Wir versuchen, das von meiner Mama fernzuhalten und sagen ihr, dass wir irgendeine Lösung finden werden."
Sendung: rbb24 Abendschau, 7.11.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Wolf Siebert
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