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Quelle: rbb

Kinder polnischer Migranten in Deutschland

"Das Polnische in mir drückte ich weg"

Als Teenager wollte Nastasja perfekt Deutsch sprechen und sich nur als Deutsche fühlen. Weil sie dachte, dass sie nur als Deutsche etwas erreichen kann. Sie ist eine von fast 130.000 Menschen mit polnischen Wurzeln in Berlin und Brandenburg. Von Agnieszka Hreczuk

"Deutsche Schule, deutsche Uni, deutsche Musikband. Ich habe mich überintegriert", lacht Mateusz Stach-Seiffe. Er ist Influencer, mit seinem Kanal "Polenpapa" erreicht er 2,5 Millionen User. Sein Vater kam in den 1980er Jahren nach West-Berlin, erstmal nur für kurze Zeit. Als er aber die große Kluft zwischen dem Westen und dem kommunistische Polen wahrnahm, entschied er sich zu blieben. Die Mutter reiste nach, Mateusz kam schon in Berlin zur Welt.

Beide Eltern konnten Deutsch, trotzdem sprachen sie mit ihrem Sohn Polnisch. Auch auf der Straße unterhielt sich die Mutter mit ihm immer auf Polnisch. "Ich weiß noch, als wir in der U-Bahn angesprochen wurden, hier sei Deutschland und hier werde Deutsch gesprochen", sagt Mateusz. Er verstand damals nicht, worum es geht. Der Berliner wuchs mit Polnisch als Muttersprache auf, seinen Vornamen hat er nie eingedeutscht. Polen fand er schön, das polnisches Essen gut, gerne fuhr er in den Urlaub hin. Dennoch fühlte er sich lange zu 100 Prozent Deutsch.

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Als Teenager bemühte sich Nastasja Deutsche zu werden

Nastasja Kowalewski bemerkte in der fünften Klasse, dass sie nicht Deutsche ist und dass andere sie nicht als Deutsche sehen. Sie war mit einer deutschen Freundin Inlineskaten. Plötzlich sagte diese zu ihr, dass sie nicht richtig versteht, was Nastasja ihr sagen will. "Ich habe Deutsch gesprochen und regelmäßig polnische Wörter eingefügt", schmunzelt Nastasja heute. "Das war mir komplett unbewusst und niemand zuvor hat mich darauf aufmerksam gemacht. Mir war peinlich".

Nastasja‘s Eltern kamen Ende der 1980er Jahre aus Polen, ihre Schwestern und sie werden in Deutschland geboren. Die Familie wohnte in einem kleinen Ort bei Heilbronn, wo der Migrantenanteil sehr hoch war. Bei Nastasja zu Hause wurde Polnisch gesprochen. Auf dem Spielplatz traf sie polnische, russische und türkische Kinder. Als Teenager und später an der Uni bemühte sie sich Deutsche zu werden. "Ich hatte um mich herum so viele kultivierte, gut ausgebildete Leute gesehen, die perfekt Deutsch sprachen. Ich wollte auch so sein und dachte, dazu muss ich Deutsche sein. Nur Deutsche. Das Polnische in mir drückte ich weg."

Polen sind zweitgrößte Einwanderergruppe in Deutschland

Die Zahl der Menschen mit polnischen Wurzeln wird in Deutschland auf 2,2 Millionen geschätzt. Sie sind die zweitgrößte Einwanderergruppe nach den Türken. "Die Forschung belegt: In der zweiten Generation gleichen sich die Menschen mit polnischen Wurzeln an Durchschnittsdeutsche an – was Bildung, Beruf oder Karriere betrifft. Einige fühlen sich dabei nur als Deutsche, andere wiederum entscheiden sich für eine Doppelidentität", stellt Magdalena Nowicka vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin fest. Auch sie kommt aus Polen und ist heute Abteilungsleiterin in der Forschungseinrichtung.

Nastasja arbeitet als Journalistin und lebt in Leipzig. Die Frage der Identität beschäftigt sie immer wieder. "Es war gar nicht so einfach, nur Deutsche zu sein. Sich nur für eine Identität zu entschieden. Aber ich hatte den Eindruck, diese Entscheidung wurde von mir verlangt. Umso zerrissener habe ich mich gefühlt. Unterbewusstsein lässt sich nicht so ausschalten", stellt sie fest. Die Journalistin drehte einen persönlichen Film über die Geschichte ihrer Eltern und über ihre Suche nach einer eigenen Identität. "Mein polnischen Vater und ich. Leben zwischen zwei Welten".

Der deutsch-polnische Influencer Mateusz Stach. | Quelle: privat

Weniger Polenwitze, Klischees weiterhin

Für Mateusz war die Kehrtwende einfacher, weil er sich nie von seinen Wurzeln distanziert hatte. Auch in seinem Berliner Umfeld hatte er viele Bekannte mit einer ähnlichen Vorgeschichte. Nur dass seine Wurzel ihm lange Zeit nicht so wichtig waren. Der studierte Traumata-Pädagoge brauchte eine Ablenkung von seinem Job. So wurde er zum Comedian auf TikTok und Instagram. In seinen Videos erklärt er den Usern zugespitzt, welche Eigenarten die Polen und die Deutschen haben. Tausende folgen ihm.

"Mir fällt es jetzt leichter, Pole zu sein als früher", stellt Mateusz fest. "Polen war früher immer seltsam, arm… Der Haarschnitt, vier Streifen auf der Adidas Hose – danach merkte man sofort, dass man aus Polen kam. Polen hat sich verändert, gefälschte Klamotten sind kein Wahrzeichen mehr. Wenn ich an Polen denke, dann weiß ich, dass Polen und Deutschland mindestens auf Augenhöhe sind".

Dokumentation

Das Lebensgefühl von polnischen Migranten hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren geändert. "Heutzutage sind Polen viel selbstbewusster, fühlen sich nicht mehr als arme Nachbarn", stellt Magdalena Nowicka fest. "Polen hat einen langen Weg gemacht. In manchen Bereichen, was zum Beispiel Digitalisierung betrifft, ist das Land viel weiter als Deutschland. Da wundern sich die Polen in Berlin, dass sie hier nicht alles online erledigen können", schmunzelt die Wissenschaftlerin. Anderseits ist die Diskriminierung immer noch spürbar, auch wenn es unterschwelliger passiert. "Einerseits werden Immer seltener Polenwitze über den Autoklau erzählt. Anderseits darf man immer noch nur mit einem Leihwagen einer bestimmten Klasse nach Polen und in den Osten fahren", erklärt Magdalena Nowicka.

Ein klassischer Deutschpole

Nach ihrer langen filmischen Reise findet Nastasja eine Art Ruhe und Erleichterung. "Ich habe verstanden, dass ich doch irgendwie zwischen zwei Welten bleibe und ich habe es akzeptiert. Ich muss nicht entweder oder sein – ich kann beides sein. Manchmal bin ich mehr Polnisch, manchmal mehr Deutsch. Von beiden Kulturen nehme ich das, was ich schön finde". Deshalb bleiben Weinachten bei Nastasja definitiv polnisch, mit der ganzen Familien und mit reichlich polnischem Essen.

So fühlt sich auch Mateusz Stach-Seiffe. Der Influencer bleibt bei der deutschen Staatsbürgerschaft. "So ist es ja richtig, mein Leben ist hier, in Deutschland", betont er. "Ich bin ein klassischer Deutschpole, habe sowohl deutsche als auch polnische Charakterzüge", fügt er hinzu. "Gastfreundschaft und Spontanität, aber auch Pünktlichkeit und Ordentlichkeit. Die Mischung finde ich sehr schön."

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