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Waldbrände in Brandenburg
In den letzten Jahren wurden in Brandenburg offenbar Hunderte Waldbrände vorsätzlich gelegt. Die verheerenden Folgen - hektarweise zerstörte Natur und wochenlange Löscheinsätze - sind weithin bekannt. Doch wer sind die Täter? Von Roberto Jurkschat
Als Stefan S. und Roman B.* am 11. Juni 2022 in den Wald fahren, liegt Sommer in der Luft. Seit Wochen hat es nicht geregnet, die Böden in den Kiefernwäldern im Brandenburger Norden sind ausgetrocknet. Um 18 Uhr halten sich die Temperaturen noch bei sommerlichen 26 Grad.
An diesem Sonnabend legen Stefan S. und Roman B., beide Mitte Zwanzig, ihren vierten Waldbrand. Den vierten von insgesamt 13 - eine Brandserie, die das Landgericht Neuruppin ein knappes Jahr später in seinem Urteil detailliert nachzeichnet.
Den Geständnissen der Beschuldigten zufolge spielten sich die Taten immer nach einem ähnlichen Muster ab: B. und S. tranken Bier, nahmen Kokain, rauchten Cannabis, dazu kamen manchmal Schmerztabletten und Beruhigungsmittel, wie Tilidin und Xanax. Zum Zeitpunkt der Tatserie lebt B. bei seiner Großmutter, ihr Haus und die nähere Umgebung dienen den beiden als Treffpunkt.
B. kämpft in dieser Zeit mit einem Drogenproblem: "Der Angeklagte nahm täglich sechs bis acht Gramm Cannabis, Bier, nicht mehr genau ermittelbare Mengen Tilidin und Xanax zu sich. Dazu kamen etwa acht bis zehn Gramm Kokain im Monat." Auch S. soll im Tatzeitraum unter prekären Bedingungen gelebt haben und notgedrungen bei seiner Schwester untergekommen sein.
Mit einem Cocktail aus Alkohol und Drogen sollen beide versucht haben, "ihre Ängste, die sie (...) durch ihre jeweiligen persönlichen Probleme aufgebaut hatten, zu blockieren". Die Brände, so geht es aus dem Urteil hervor, sollten von Existenzsorgen ablenken.
Am Sonnabend des 11. Juni halten B. und S. nahe einer Bundesstraße auf einem Weg, gehen nacheinander in den Wald und entfachen ein Feuer auf dem ausgetrockneten Waldboden. Die Feuerwehr löscht wenig später den Brand, der sich auf 530 Quadratmeter ausgebreitet hat. Monate später erfährt die Polizei durch einen Glückstreffer, wer die Brandstifter waren - dazu später mehr.
Das eigentlich Bemerkenswerte an dieser Serie von Brandstiftungen im Löwenburger Land ist nicht wie sie sich abspielte - sondern dass sie aufgeklärt wurde.
Laut Statistiken des Landesforstbetriebs gibt es bei rund 400 von etwa 1.800 Waldbränden seit 2019 in Brandenburg Hinweise darauf, dass die Feuer mit Absicht gelegt wurden. "Im Schnitt liegt dieser Anteil bei rund 20 bis 25 Prozent aller Waldbrände pro Jahr", erklärt Brandenburgs Waldbrandschutzbeauftragter Raimund Engel im Gespräch mit rbb|24. In vielen Fällen liefen demnach seit Jahren Ermittlungen der Polizei.
Dabei sei es wahrscheinlich, dass einige Brandstiftungen gar nicht als solche in die Statistik einfließen, sagt Engel. "Nur wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine Brandstiftung gibt, geben wir 'Verdacht auf Vorsatz' an." Zeugenaussagen oder verdächtige Gegenstände, die Kriminaltechniker am Ausbruchsort finden, können den Ausschlag geben. Laut Engel haben Feuerwehrleute und Kriminaltechniker schon Haarspray-Dosen, Streichhölzer oder verdächtig platzierte Grillanzünder auf den Brandflächen gefunden. Ohne solche Spuren verschwinden die Fälle oft in der Kategorie "unbekannte Ursache" – seit 2019 immerhin 650 Fälle.
Wie oft es gelingt, Brandstifter in Wäldern zu fassen und anzuklagen, lässt sich nach Angaben der Brandenburger Polizei kaum sagen. Solche Informationen ließen sich nicht einzeln abfragen, da Brandstiftungen in Wäldern nicht getrennt von anderen Brandstiftungen erfasst werden würden, hieß es.
Ein Hotspot mutmaßlicher Brandstiftungen lag in den vergangenen Jahren in den Wäldern nahe Jüterbog. Die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg, der die betroffenen Waldareale gehören, bestätigte rbb|24 die laufenden Ermittlungen der Polizei.
Wie der Waldbrandschutzbeauftragte Raimund Engel sagt, registrierte der Landesforstbetrieb in den vergangenen Jahren Waldbrandserien mit Verdacht auf Vorsatz außerdem bei Kyritz (Ostprignitz-Ruppin), Krangen (Ostprignitz-Ruppin), Jerischke (Spree-Neiße) oder Herzberg (Elbe-Elster). In all diesen Fällen liefen die Ermittlungen noch.
Der Kriminalist und frühere Brandenburger Kriminalhauptkommissar Harry Jäkel erforscht Brandstifter und deren Motive seit Jahrzehnten. Er kennt die Schwierigkeiten, mit denen Ermittler örtlicher Polizeiinspektionen konfrontiert sein können. "In den meisten Fällen werden keine Spuren aufgefunden, weil diese durch den Brand oft vernichtet werden", sagt Jäkel. Überreste von Kleidungsstücken oder Kohleanzündern, die als Brandbeschleuniger dienen könnten, seien äußerst seltene Funstücke, Zeugen gebe fast nie.
Überhaupt hätten es die zuständigen Ermittler der örtlichen Polileiinspektionen mit einem Spezialgebiet zu tun, das naturwissenschaftlich-technische aber auch psychologische Kenntnisse voraussetze. "Tatsächlich erscheinen mir die Ermittlungen für die Kollegen in den örtlichen Polizeiinspektionen erschwert, weil die erforderlichen Spezialisierungen dort in der Regel nicht vorliegen", erklärte Jäkel rbb|24. "Das erschwert es, Brandstifter in den Waldgebieten zu überführen."
In einem Forschungsprojekt der Polizeihochschule in Oranienburg hat Jäkel über zehn Jahre eine Datenbank Unterlagen aus mehr als 1.400 Brandstiftungsverfahren im gesamten Bundesgebiet durchgearbeitet. Eine akribische Suche nach einer Antwort auf zwei Fragen: Welche Menschen werden zu Brandstiftern - und warum?
Laut Jäkel sind die Täter in der Regel männlich. Ihre Hintergründe und Motive seien vielfältig, allerdings gebe es eine Auffälligkeit. Die Zahl freiwilliger Feuerwehrleute sei unter Brandstiftern "signifikant erhöht".
Beispielhaft ist laut Jäkel eine inzwischen aufgeklärte Brandserie bei Wandlitz (Barnim). Der Baumaschinenführer Peter W.* soll sich laut einem Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) jahrelang als Pressesprecher und Ausbilder bei einer Freiwilligen Feuerwehr engagiert haben. 2018 fing er an, im Wald Brände zu legen. Das Landgericht wies ihm sieben Brandstiftungen in der Zeit bis 2019 nach. Teils hatte W. demnach Holz im Wald angezündet, teils aufgestapelte Baumstämme an Waldwegen in Brand geteckt.
Das Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr soll W. dem Gerichtsurteil zufolge ein "starkes Gefühl der Kameradschaft und der Bindung" verschafft haben. Er habe sich "gebraucht gefühlt", so das Urteil. Daher soll W. der drei Taten mit einem zweiten Beschuldigten begangen hat, beschlossen haben, dass "die Zahl der Einsätze erhöht werden musste". Das Urteil: Zwei Jahre Freiheitsstrafe.
"In der dörflichen Gemeinde sind Freiwillige Feuerwehren oft ein kulturelles Zentrum, da wollen sich junge Menschen oft beweisen", erläutert Harry Jäkel. Mit dem Wissen, wo und was genau brenne, könnten sich Feuerwehr-Brandstifter in den Einsätzen besonders kompetent einbringen. "Wenn sie der Feuerwehrchef hinterher bei der Einsatzauswertung auf der Wache belobigt und sagt, sie hätten einen guten Job gemacht, fühlen sie sich wichtig und wertgeschätzt."
Ginge es nach Jäkel, würde gerade Brandenburg als das Bundesland mit den bundesweit meisten Waldbränden bei der Vorbeugung stärker auf kriminalistische Expertise setzen. Unverständnis äußert der Kriminalist etwa mit Blick auf das geplante Waldbrand-Kompetenzzentrum bei Wünsdorf, wo künftige Einsätze unter Federführung des Innenministeriums künftig besser geplant werden, Vorbeugungs- und Abwehrmaßnahmen besser koordiniert werden sollen.
Die Landesregierung hatte das Projekt insbesondere als Reaktion auf die zunehmende Waldbrandgefahr aufgrund des Klimawandels und der besonderen Herausforderungen durch munitionsbelastete Gebiete ins Leben gerufen. Laut Jäkel wurde hier allerdings kaum ein Augenmerk auf die Untersuchung der Ursachen von vorsätzlich gelegten Waldbränden gelegt.
"Aus meiner Sicht hätte man die Ursachenermittlung bereits beim Aufbau des Waldbrandkompetenzzentrums berücksichtigen müssen, schon weil die Ursache jedes zweiten Waldbrandes unbekannt ist", erklärt Jäkel, der inzwischen in einem Pilotprojekt der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege in Güstrow arbeitet. "Wir versuchen möglichst viele Informationen zu den Brandstiftungen zu erfassen und zu systematisieren, um eine Ermittlungshilfe für Kripo-Beamte vor Ort zu gestalten."
Eine Besonderheit der Brandserie im Löwenburger Land ist, dass die Ermittler am Ende ein Zufall auf die Spur von Stefan S. und Roman B. brachte. Sechs Monate nachdem sie insgesamt mehr als drei Fußballfelder Wald zerstört und Kosten in Höhe von etwa 185.000 Euro verursacht hatten, war es im November zuerst B., der gefasst wurde.
Laut Urteil wurde B. von der Polizei wegen Betäubungsmitteldelikten verhört. Dass die Polizei einen gesuchten Brandstifter erwischt hatte, stellt sich erst später heraus, als ein Kriminalbeamter B. im Verhör auf die Waldbrände in der Umgebung angesprochen hatte. Der Beamte, der in dem Urteil als Zeuge genannt wird, habe dann den Eindruck gehabt, B. wolle "reinen Tisch" machen. In der Vernehmung soll er verschiedene Brandstiftungen bestätigt und seinen Freund S. als Beteiligten benannt haben - woraufhin beide letztlich zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt werden konnten. Laut dem Kriminalbeamten seien Ermittlungen zu den Brandstiftungen zuvor "nahezu aussichtslos" gewesen.
* Namen von der Redaktion geändert
Sendung: Antenne Brandenburg, 17.11.2024, 10:00 Uhr
Beitrag von Roberto Jurkschat
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