Psychologin zu Vergewaltigungsprozess
Dass es im Vergewaltigungsprozess Pelicot in Frankreich keine Freisprüche und eine lange Haftstrafe für den Haupttäter gab, sei ein starkes Signal auch an Frauen hierzulande, sagt die Psychologin Charlotte Hirz. Sie berät Betroffene in Berlin.
rbb|24: Hallo Frau Hirz. Heute wurde das Urteil im Vergewaltigungsprozess in Frankreich gesprochen: 20 Jahre Haft für den Ex-Mann von Gisèle Pelicot. Für wen ist das ein Signal?
Charlotte Hirz: Das Urteil [tagesschau.de] hat gesamtgesellschaftlich eine große Signalwirkung. Nicht nur das gegen den Ex-Mann von Giselle Picot, sondern auch die Urteile gegen alle anderen Angeklagten. Dass es keinen einzigen Freispruch gab, hat eine Signalmacht. Für Betroffene von Gewalt ist das sicherlich ein Hoffnungsschimmer und etwas, was Mut machen kann, den eigenen Fall weiter verfolgen zu lassen. Die Verurteilungsquote bei Vergewaltigungen liegt hierzulande bei nur geringen acht Prozent.
Auch für Personen, die potenziell Gewalt ausüben, ist das ein starkes Signal. Sie sehen, dass sie nicht einfach durchkommen mit Gewalttaten. Sowohl im Fall Pelicot als auch in dem Fall, der gerade in Erfurt [mdr.de] verhandelt wurde, wurde deutlich, dass sich die Täter sehr in Sicherheit gewogen haben. Sie waren sicherlich der Überzeugung, dass ihnen nichts passieren kann.
Die von Ihnen angesprochenen acht Prozent Verurteilungsquote bezieht sich auf die zur Anzeige gebrachten Fälle. Da gibt es doch vermutlich eine hohe Dunkelziffer?
Ja. Die meisten von sexualisierter Gewalt Betroffenen entscheiden sich, gar keine Anzeige zu machen. Die Dunkelziffer ist also noch sehr sehr viel höher. Und daraus wird ja oft eine Frage oder gar ein Vorwurf konstruiert: Warum denn nicht mehr Taten angezeigt werden? Aber es ist für die Frauen eine extreme Belastung, sich für diesen Weg zu entscheiden. Wenn eine Frau eine solche Tat bei der Polizei anzeigt, muss sie sich auf Gespräche einlassen, die über Stunden gehen. Da muss man detailliert über die Tat berichten und häufig treffen die Frauen auf – im Zweifelsfall mehrere - Personen, die weder gewalt- noch traumasensibel sind. Das ist psychisch extrem belastend. Und mitunter werden die Frauen über Jahre immer wieder verhört. Das heißt, sie können über Jahre nicht zur Ruhe kommen. Und wenn sie dann noch wissen, dass es sehr wahrscheinlich nicht einmal zu einer Verurteilung kommt, überlegen viele Betroffene, ob sie sich das überhaupt antun.
Hat Sie der ganze Fall und das Ausmaß im Fall Pelicot überrascht?
Tatsächlich nicht.
Kommen in Ihrer Arbeit derartige Fälle – also das Frauen auch bewusstlos missbraucht werden -regelmäßig vor?
Ja. Was im Fall Pelicot besonders ist, ist dass der Täter geschnappt wurde und alles herauskam. Aber gerade in Fällen mit KO-Tropfen oder generell sedierenden Mitteln – was häufiger vorkommt, als man denkt – ist Einordnung in Zahlen schwierig. In meinem Arbeitsalltag bei Lara sind das nicht die überwiegenden Fälle, aber acht bis zehn Prozent der jährlichen Fälle sind das durchaus. Da geht es um den Verdacht oder die Gewissheit.
Sind die Täter hier auch oft nahestehende Männer?
Es ist tatsächlich in den seltensten Fällen so – sowohl mit als auch ohne KO-Tropfen –, dass die Person der Betroffenen gar nicht bekannt ist. Er kommt entweder aus dem Bekannten-, Freundeskreis oder aus dem Arbeitsumfeld oder der Uni. Oder über die verschiedensten Dating-Portale. Oft kennt man sich ein bisschen und es gibt ein gewisses Vertrauensverhältnis. Selten ist der Täter – der Fremde an der Bar ist da eher ein Mythos und ein Stereotyp – gar nicht bekannt.
Rechnen Sie damit, dass durch die mediale Aufmerksamkeit im Fall Pelicot jetzt mehr solche Missbrauchsfälle zutage kommen? Weil betroffene Mädchen oder Frauen vielleicht sensibler und auch mutiger werden?
Ich hoffe es. Denn mit so einer Vermutung oder dem Wissen zu leben, dass einem so etwas passiert ist, kann eine extreme Belastung sein. Ich hoffe, dass diese Aufmerksamkeit dazu führt, dass mehr Betroffene sich Unterstützung suchen.
Gibt es Mädchen oder Frauen in bestimmten Konstellationen, die besonders gefährdet hinsichtlich solcher Taten sind?
Nein. Auch bei dem Gedanken spielen gesellschaftliche Stereotypen eine Rolle. Dass manche Frauen denken, ihnen passiere das nicht. Oder älteren oder ganz jungen Frauen passiere das nicht. Oder Frauen eines bestimmten Körpertyps passiere das nicht. Welche Schablonen oder Stereotypen man auch immer darüberlegt: es ist ein gesellschaftlich überall gegenwärtiges Problem.
Haben Sie Tipps für Frauen, die Sorge haben, Opfer eines solchen Übergriffs zu werden?
Nicht wirklich. Das wäre ja auch eine Verantwortungsumkehr oder auch eine Täter-Opfer-Umkehr. Eigentlich wäre ja der Ansatz nicht zu fragen, wie sich Frauen besser schützen können – auch wenn das natürlich ein legitimes Thema ist, sondern man sollte präventiv dafür sorgen, dass Männer nicht zu Tätern werden.
Dass jetzt durch eine Recherche von STRG_F [tagesschau.de] noch eine riesige Telegram-Chatgruppe aufgeflogen ist, in der sich mehrere tausend Männer über KO-Mittel und Vergewaltigungen austauschen, hat sie vermutlich auch nicht wirklich überrascht?
Bei der großen Gewalt gegen Frauen und dem Frauenhass, der ja immer mehr zunimmt – fast jeden Tag wird derzeit in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner ermordet – ist so ein Ort des Austauschs leider keine Überraschung. Dass Männer stolz darauf sind, dass sie Gewalt und Macht ausüben und vor anderen damit prahlen und kokettieren, sieht man überall. Es ist gesellschaftsfähig geworden. Das fängt an mit kleinen verbalen Übergriffen, mit Blicken, Catcalling und so weiter. Die Spitze des Eisbergs ist dann ein Femizid – aber die Übergänge sind fließen.
Ist das Netz da ein unglückseeliger Verstärker?
Das kann man so einfach nicht sagen, auch wenn es Nahe liegt, diesen Schluss zu ziehen. Das Internet ist eine Erfindung, die viele Menschen zusammenbringt und die auch ganz viel Positives zutage bringt. Metoo wäre ja so ohne das Netz auch nicht passiert. Die Bewegung geht in beide Richtung. Aber natürlich können Personen, die sich radikalisieren oder Gewalt ausüben wollen, sich da leicht vernetzen. Aber es wäre ein Trugschluss zu sagen, wenn es das Internet nicht gäbe oder es zensiert würde, gäbe es das Problem der Gewalt gegen Frauen nicht mehr.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: Radioeins, 19.12.2024, 15 Uhr
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