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Brennpunkt-Jugendklub von Kürzungen bedroht
Der Jugendklub Soko116 liegt im berüchtigten Soldiner Kiez. Die Jugendlichen, die hierher kommen, haben nicht viele Optionen. Doch im Soko gibts Unterhaltung und Betreuung. Der Klub sieht sich von den Sparmaßnahmen des Senats bedroht. Ein Ortsbesuch.
Der Herbstnachmittag liegt trist über der Soldiner Straße. An der Ecke zur Koloniestraße ein leuchtender Späti, gegenüber ein auch in der Dämmerung noch gut besuchter Spielplatz. Gleich nebenan, Ecke Koloniestraße, steht ein Altbau aus der Gründerzeit – mit offener Haustür. "Soko116" steht dran und drinnen ist alles bunt. Denn im von Neonlicht beschienenen Flurbereich stehen haufenweise selbstgemachte Protestschilder im Graffiti-Style. "Unkürzbar" ist auf vielen zu lesen, aber auch die Kinderrechte und Angebote des Jugendklubs sind darauf.
Halbe Treppe rauf, im Eingang, warten Pavel, Isaia und Amos. Alle drei wohnen in Laufnähe, sie kommen jeden Tag hierher in den Jugendclub und treffen ihre Freunde. Manchmal machen sie auch ihre Hausaufgaben im Soko. Denn zuhause, das vereint sie, nerven die kleinen Geschwister und es droht die große Langeweile. Und auf der Straße rumhängen wollen sie dann auch nicht wirklich. Schon gar nicht jetzt im Winter.
Der Soldiner Kiez in Berlin-Gesundbrunnen, wo der Jugendklub liegt, ist auch über Berlins Stadtgrenzen hinaus berüchtigt. Bekannt ist er für seine internationale Bewohnerschaft und teils noch bezahlbare Mieten. Es ist eine Art Anti-Prenzlauer Berg. Mütter mit veganen Strick-Mützen und Väter mit dem Baby im Tragetuch vor der Brust sucht man vergeblich, auch Touristen verirren sich selten hierher. Zwar gilt die Gegend längst als aufstrebend - inzwischen ziehen durchaus auch Studierende her - doch immer wieder gibt es auch Nachrichten über Gewalttaten und Clan-Kriminalität. Zuletzt wurde im August in der Soldiner Straße auf einen 25-jährigen geschossen.
Auf den Straßen müssen die Jugendlichen in diesem Kiez ihre Nachmittage nicht verbringen, denn schließlich gibt es das Soko.
Mit allem, was Teenager – und davon haben sich an diesem Nachmittag einige eingefunden - so brauchen: einem Box- und Fitness-Keller, Tischkicker, Tischtennisplatte und Spielkonsole samt Sofa im ersten Stock. Hier zocken Isaia und Pavel gern Fifa, wie sie berichten. Büros für Sozialarbeiterin Juli, ihre Chefin Mandy Dewald und auch noch weitere Räume für die Jugendlichen stehen im zweiten und dritten Stockwerk zur Verfügung. Im Kreativraum werden zuweilen T-Shirts geprintet. Ihr Lieblingsmotiv sei "CR7", der Fußballer Christiano Ronaldo, erzählen die Jungs.
Außerdem gibt es ein Tonstudio, einen Bewegungsraum, einen Chill-Raum und im dritten Stock eine große, sonnengelb möblierte Küche. "Hier kochen wir immer mal wieder alle zusammen". Auf der Speisekarte stehen an solchen Abenden dann ausschließlich halale Speisen, sagt Sozialarbeiterin Juli. Neben türkisch-arabischen Gerichten hätten die Kids schon afrikanisch gekocht, selbst Pizza und auch Sushi gemacht. "Wenn man das Sushi selbst macht, ist es gar nicht so teuer und macht echt Spaß".
Klingt alles schick und schön. Schön ist es auch – vor allem für die Jugendlichen, die hier einen Ort gefunden haben, an dem sie sich wohl und willkommen fühlen. Aber von schick ist die Situation im Haus weit entfernt. Die Einrichtung, obwohl vieles vorhanden, ist abgewohnt und angeschrammt, für das Haus gilt dasselbe. Auch die Sofalandschaft und der Fitness-Keller strahlen nicht den Charme einer Luxusherberge aus.
Und doch ist der Ort eine Art Zuhause. "Second Home" steht folgerichtig auf einem der Protestplakate im Eingangsbereich. Das gelte es zu erhalten. Dafür demonstriere man derzeit eben auch, so Sozialarbeiterin Juli. Sie ist die Projektverantwortliche im Klub. "Ich finde es ganz dramatisch, was gerade passiert. Die Jugendlichen, die zu uns kommen, leben hier in einer Gegend, in der das Geld sowieso nicht auf der Straße liegt. Gerade hier zu kürzen hat ja Folgen. Es wird doch noch mehr kosten, wenn noch mehr junge Menschen später Unterstützung brauchen. Seit Corona haben gerade sie doch zudem noch weniger Anschluss und die Shell-Studie hat ihnen ja auch psychische Schräglagen attestiert. Man kann hier nicht kürzen – da muss eher noch was draufgepackt werden."
Konkret abschaffen will man diesen Ort natürlich nicht. So verrückt ist in Zeiten von Jugendgewaltgipfeln keiner. Aber faktisch steht das Soko116, wie so viele andere Jugendklubs in Berlin, vor großen Problemen. Denn was wie eine formalbürokratische Petitesse klingt, bringt den Jugendklub an den Rand seiner Existenz. Die Einsparliste des Senats sieht vor, dass die Tarifsteigerungen der Menschen, die dort arbeiten – bei den freien Trägern der Jugendarbeit - nicht weiter finanziert werden sollen. Um in Zukunft also überhaupt Mitarbeiter tarifgerecht bezahlen zu können, reicht der finanzielle Topf dann nicht mehr für alle. Soko116-Chefin Mandy Dewald sagt, die mangelnde Sicherheit in Sachen Finanzierung mache ihr insgesamt zu schaffen. Die Regelprojekte wolle der Bezirk zwar weiter finanzieren. Doch die Streichliste sorge für Unsicherheiten. Denn wenn es für freien Träger keine Tarifmittel gebe, seien dass verklausulierte Kürzungen. "Denn wir müssen dann an Sachmitteln und Honoraren kürzen. Das hat Auswirkungen auf die Angebote, die wir für die jungen Menschen hier anbieten können."
Dass der Senat, der sich eigentlich eine Jugendstrategie vorgenommen hatte, jetzt sogar seine Haushaltslöcher mit Kürzungen bei Kindern und Jugendlichen stopfen wolle, sei, so Dewald, ein harter Aufschlag auf dem Boden der Realität. "Das kann doch nicht sein. […] Wir arbeiten sowieso an unserer Belastungsgrenze". Und sie wird noch deutlicher. Sie sei es leid, sagt sie, dafür auf die Straße gehen zu müssen. Denn für sowas habe man keine Zeit, weil die Mitarbeiter dringend in den Einrichtungen von den Kindern und Jugendlichen und ihren Familien gebraucht würden. "Es stinkt mir, dass Kinder- und Jugendarbeit als Luxusangebot betrachtet wird, als Freizeitprogramm, das man mal eben so streichen kann, wenn die Haushaltskassen leer sind. Wie nachhaltig wird denn da Politik betrieben, frage ich mich."
Im Soko116 könnte von den Kürzungen Boxtrainer Viktor betroffen sein. Der große sportliche Mann im blauen Joggingzweiteiler trainiert an diesem Tag mit Dzhan, einem schon älteren Jugendlichen, im Keller des Jugendklubs. Viktor hat ein sympathisches Lächeln und dabei einen Ton, der Autorität transportiert und ihm trotzdem erlaubt, mit Dzhan, der um einiges massiger ist als er selbst, auf Augenhöhe zu bleiben. "Bleib oben", "Deckung nicht vergessen", "mehr Technik, weniger Kraft" ist zwischen den Schlägen zu hören. Immer mal wieder wird gelacht. Viktor ist seit ungefähr drei Jahren als Sport- und Musikcoach dabei. Er sagt, die Mitarbeiter im Soko116 arbeiteten schon jetzt mit sehr viel Herz für wirklich wenig Geld. Für sie seien die angedachten Kürzungen schlimm – noch viel schlimmer aber seien sie für die betroffenen "Kids". Über sich selbst will er nicht reden. Es gehe um mehr.
Zwei der Kids, um die es geht, Pavel und Isaia, die, während im Keller geboxt wurde, ihre Mannschaften in Fifa weiter gegeneinander haben antreten lassen, wissen auch, dass Ihr Zufluchtsort irgendwie um seine Existenz bangt. Traurig sei das, sagen sie. "Wenn es das Soko nicht mehr gäbe, könnte ich nirgends hin", fasst ihr Freund, der 12-jährige Amos, zusammen. Dann schweigt er lange.
An einem Freitagabend seien neulich 42 Besucher zu Besuch im Klub gewesen – und nur zwei Mitarbeiter. Wenn Fußballspiele gezeigt würden, seien es auch mitunter deutlich mehr als hundert junge Männer, die sich am späteren Abend einfänden. Wären sie nicht im Soko, wären sie alle gelangweilt auf der Straße unterwegs und kämen dabei im Zweifelsfall dabei auf nicht nur auf gute Ideen, sagt Sozialarbeiterin Juli. Da sei es ihr unbegreiflich, dass Honorarkräfte wie Viktor bangen müssten, ob sie 2025 überhaupt noch weiter im Soko116 arbeiten könnten.
Leiterin Mandy Dewald sagt, sie wünsche sich vor allem "Planungssicherheit für die Einrichtungen und Projekte und dass auch die freien Träger die Tarifsteigerungen und die Hauptstadtzulage wert sind". Sie bedaure, dass es auch jenseits von der derzeitigen Situation immer nur um die Erhaltung des Status-Quo oder um Kürzungen gehe. "Wir haben hier jeden Tag die Hütte voll. Das sind junge Menschen – und sie sind unsere Zukunft. In die müssen wir investieren."
Sendung:
Beitrag von Sabine Priess, rbb|24
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