#Wiegehtesuns? | Autor und Sänger Thorsten Nagelschmidt
Mitten im Lockdown veröffentlicht Nagel, alias Thorsten Nagelschmidt, seinen neuen Roman. Der Autor und Sänger von Muff Potter ist auf Live-Auftritte angewiesen. Das fällt mehr oder weniger flach. Trotzdem ist er ganz zufrieden mit 2020. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Der Wahlberliner Thorsten Nagelschmidt, Jahrgang 1976, seiner Fangemeinde bestens bekannt als "Nagel", ist Autor, Sänger und Gitarrist der jüngst wiedervereinten Band Muff Potter. Im April erschien mitten im ersten Lockdown sein vierter Roman "Arbeit". So geht es Nagel:
Einen Monat vor der geplanten Veröffentlichung von "Arbeit" hat mich mein Verlag angerufen und gefragt, ob wir um ein halbes oder ein ganzes Jahr verschieben wollen. Weil klar war, dass die ganzen dazugehörigen Veranstaltungen nicht so stattfinden werden. Dann habe ich zwei, drei Tage drüber nachgedacht und mich dann dagegen entschieden, weil mich dieser Gedanke echt fertig gemacht hat. Ich habe dreieinhalb Jahre an diesem Buch gearbeitet. Und ich kenne mich: Wenn ich jetzt noch mehr Zeit gehabt hätte, daran zu arbeiten, dann hätte ich das nie loslassen können. Ich wollte das aber loslassen. Und zum anderen war ja auch die Frage: Was wird in einem halben oder einem Jahr sein? Das wusste keiner.
Kurz danach haben mehrere große Verlage entschieden, ihr gesamtes Frühjahrsprogramm zu verschieben. Da hatte ich echt einen Zusammenbruch.
Ich dachte, ich bin der einzige Idiot, der jetzt mitten in die Krise hinein ein Buch veröffentlicht. Aber das hat sich relativ schnell geändert, weil ein paar Sachen doch gingen. Wir haben dann eine Online-Buchpremiere im Festsaal-Kreuzberg gemacht, die viel gesehen wurde. Da haben wir einen ganz schönen Aufriss gemacht, weil mir das wichtig war. Ich wollte nicht aus meinem Wohnzimmer streamen, sondern mit einer schönen Bühne, gutem Licht. Die Zuschauer konnten live anrufen, und das hat wahnsinnig Spaß gemacht. Man konnte spenden, und ich habe damit sogar noch ein bisschen was verdient.
Im Mai und Juni wäre dann eine lange Lesetour gewesen mit 20 Terminen. Das wollten mein Booker und ich dieses Mal am Stück machen, und nicht so zerfleddert. Damit man dann wieder Zeit hat, sich auf was anderes zu konzentrieren. Aber genau so hat es eben nicht stattgefunden. Es ist wahnsinnig viel ausgefallen. Man musste ständig verschieben und dann doch wieder vorziehen, und es waren viel weniger Zuschauer erlaubt. Das waren schon widrige Bedingungen, und es war stressig. Aber ich habe mich über alles sehr gefreut, was doch noch geklappt hat. Immerhin habe ich trotz Corona 25 Lesungen vor Publikum in diesem Jahr gehabt.
Es kann natürlich bereichernd sein, wenn man gezwungen ist, die Dinge mal anders machen zu müssen. Ich persönlich bin relativ hart im Nehmen. Aber es tut mir für viele andere wahnsinnig leid. Für meinen Booker ist das zum Beispiel einfach nur schlimm.
So ein Buch hat auch eine längere Halbwertzeit als zum Beispiel ein Musikalbum. Das ist ein paar Monate lang die neue Platte, und dann interessiert das keinen mehr. Das ist bei einem Buch anders. Klar hätte ich gerne noch die Lesungen in Köln, Hamburg und Münster gemacht. Das sind für mich auf Tour die wichtigsten Städte [Nagelschmidt kommt aus der Nähe von Münster und hat lange dort gelebt, Anm.d.Red.]. Aber das ist jetzt halt so.
Eigentlich ist alles in Ordnung. Natürlich habe ich deutlich weniger verdient in diesem Jahr, weil es weniger Auftritte gab. Aber dafür habe ich andere Sachen gemacht, zum Beispiel was fürs Theater geschrieben. Und ich hatte Glück, dass wir mit meiner Band Muff Potter in 2019 eine Re-Union Tour gespielt haben. Gut, dass wir die nicht für 2020 geplant hatten. Und die Tour lief sehr gut, da war auch noch ein Finanzpolster übrig, von daher mache ich mir finanziell gerade keine Sorgen.
Als Fan fehlen mir Theater und Livekonzerte natürlich sehr. Aber als Autor muss ich sagen, als dann im November der "Lockdown Light" kam, dachte ich: Wir haben jetzt alles gemacht, und vielleicht ist es für mich jetzt auch ok gezwungen zu sein, mir nichts mehr ausdenken zu müssen, was man noch alles auf die Beine stellen könnte, und dass es das jetzt erst mal war für 2020. Ich will jetzt erstmal andere Sachen machen, was für mich bedeutet, einen neuen Roman anzugehen. Das tut manchmal ganz gut, wenn man so von außen dazu gezwungen wird.
Gesprächsprotokoll: Hendrik Schröder
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