#Wiegehtesuns? | Nach der Herztransplantation
Christoph Schall aus Berlin-Zehlendorf hat seit einem Jahr ein neues Herz. Es geht ihm gut. Doch ein normales Leben kann der 56-Jährige nicht führen, ob mit oder ohne zusätzliche Belastungen durch Corona – ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Vor einem Jahr hatte der Zehlendorfer Christoph Schall, Vater dreier Söhne, eine Herztransplantation. Grund ist eine unheilbare Erkrankung des Herzmuskels, die zu bösartigen Herzrhythmusstörungen führte. Monate lag der Grafikdesigner im Charlottenburger Paulinenkrankenhaus und wartete auf ein Spenderorgan. Vor der Operation war sein Herz so geschwächt, dass schon das Treppensteigen auf den nahen S-Bahnsteig unmöglich war. So geht es Christoph:
Geht es um den Schutz vor Infektionskrankheiten, dann bin ich Experte. Ich musste mein Verhalten in der Coronapandemie nicht groß ändern. Denn nach der Transplantation gilt es sowieso, jegliches Infektionsrisiko zu vermeiden. Das betraf vor allem die Ernährung, aber es hatte bei meiner Rückkehr auch umfangreiche Maßnahmen zu Hause gegeben, um Infektionen auszuschließen: Grünpflanzen und alte Teppiche waren aus der Wohnung entfernt worden, Kopfkissen ausgetauscht, Vorhänge grundgereinigt.
Und natürlich war das Tragen einer Atemmaske in der Öffentlichkeit absolut unabdingbar, sogar im Familien- und Freundeskreis. Wir waren das also schon gewöhnt. Meine Familie und Freunde waren sehr sensibilisiert und haben sich viele Gedanken gemacht, was der Umgang mit mir eigentlich bedeutet: Wie machen wir das bei einer Einladung usw.? Mir scheint, sie haben sich mehr Gedanken gemacht als ich selbst.
Mein ältester Sohn zum Beispiel hat sich zweimal freiwillig in Quarantäne begeben. Als die Pandemie gerade begann, kam er aus den USA und hat sich zeitweise bei seiner Freundin einquartiert. Und als er kürzlich stark erkältet war, wohnte er nicht daheim, bis das Testergebnis da war. Schon toll. Ich bin nun mal Risikopatient hoch drei, und da ist Rücksichtnahme erforderlich. Auch meine Frau hat sich sofort ins Home-Office begeben, um vom Arbeitsplatz keine Keime mitzubringen. Das ging problemlos, der Arbeitgeber meiner Frau verhielt sich vorbildlich. Im Prinzip ist das eine Mehrbelastung, denn an ihren Anwesenheitstagen hat sie oft mehr zu tun.
Diese Rücksichtnahme hat mich sehr angerührt. Auch in meinem Freundeskreis haben sich viele Leute sehr viele Gedanken gemacht, was das eigentlich für den Umgang mit mir bedeutet. Wie machen wir das bei einer Einladung? Also die waren gut vorbereitet auf Corona.
Von Beruf bin ich Grafikdesigner, aber zurzeit nicht in Arbeit. Mir war völlig klar, dass ich nach erfolgreicher Transplantation wieder arbeiten wollte. Das wäre gesundheitlich auch gegangen. Die übliche Frühverrentung ist nichts für mich. Aber wohl auch durch einen Corona-bedingten Auftragsrückgang gab es in der kleinen Agentur, in der ich beschäftigt war, keine Perspektive. Wir haben das Arbeitsverhältnis also aufgelöst. Ich glaube aber auch, dass mein Arbeitgeber ziemlich erschrocken war, dass ich ernst machen wollte mit einem beruflichen Wiedereinstieg. Sie hatten damit wohl nicht gerechnet und während meiner Abwesenheit die Personalkosten schon gestrichen.
Glücklicherweise habe ich noch einen Lehrauftrag an der Beuth Hochschule in Berlin, im Sommersemester habe ich Vorlesungen gehalten, Corona-bedingt natürlich online. Das war jedenfalls eine gute Erfahrung
Ich bin ein eher rationaler Mensch. Natürlich habe ich mich gefreut über das neue, gesunde Herz in meinem Körper. Aber so, wie andere Organempfänger sagen, es wäre wie ein zweites Leben, empfinde ich es nicht. So ein Gefühl hat sich bei mir nicht eingestellt. Ein Freund hat mal zu mir gesagt, sieh's doch so, dass das neue Herz in Dir weiterleben darf. Damit kann ich viel mehr anfangen und aktiv dafür sorgen, dass es dem Herz bei mir gut geht. Das habe ich über Ernährung, Sport, Stressvermeidung in der Hand. Ich bin unendlich dankbar. Wie gesagt, ich bin da sehr nüchtern und habe den Alltag in den nächsten herausfordernden Monaten der Coronapandemie zu bewältigen.
Ich nehme jeden Tag sechs Medikamente zu mir, insgesamt 19 Pillen. Die wichtigsten sind die sogenannten Immunsuppressiva, die die natürliche Abstoßungsreaktion des Körpers gegen das "fremde" Organ mindern. Von der Anzahl her sind das vergleichsweise wenig Medikamente. Es gibt andere Patienten, die sehr viel mehr nehmen müssen, weil der Krankheitsverlauf nicht so günstig ist oder andere Organe durch die starken Medikamente leiden.
Die bedeutendste Einschränkung in der Coronapandemie ist die Reisebeschränkung. Nicht dass ich viel und entfernt reise, aber schon jahrelang vor der Transplantation mussten die Familienurlaube ohne mich stattfinden, da es mit meinem kranken Herzen einfach zu riskant war, sich an einen Urlaubsort ohne die notwendige medizinische Infrastruktur zu begeben. Die Familienurlaube wollten wir unbedingt nachholen, das muss nun noch warten. Leider Pech, da hat Corona eine direkte Auswirkung. Schade, das Reisen fehlt mir wirklich.
Aber zumindest Brandenburg und den ganzen Wald in Zehlendorf kann ich mir wieder anschauen, beim Kilometer-Schrubben auf dem Rennrad und auf ausgedehnten Spaziergängen mit unserem Hund. Der ist jetzt fit wie noch nie. Kneipenbesuche waren für mich nie wichtig, auf die konnte ich schon immer verzichten.
Gesprächsprotokoll: Ansgar Hocke, rbb24 Recherche
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