#Wiegehtesuns? | Mitglied der Schulleitung
Steffen Hertel ist Mitglied der Schulleitung an einer Berliner Gemeinschaftsschule. Er ringt täglich darum, Strukturen für Schüler und Lehrer zu schaffen, wobei sich alles immer wieder binnen Stunden ändern kann. Er wünscht sich machbare Vorgaben. Und Planungssicherheit. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Steffen Hertel* (*Name von der Redaktion geändert) ist Mitglied der Schulleitung einer Berliner Gemeinschaftsschule, die von den Jahrgängen 1 bis 13 besucht wird. Er versucht, für das Lehrerkollegium, die anderen Mitarbeiter der Schule und Eltern und Schüler so viel Kontinuität wie möglich zu schaffen. Schwierigkeiten machen ihm vor allem die politischen Unwägbarkeiten und die fehlende Planungssicherheit. So geht es Steffen:
Ich bin Mitglied der Schulleitung an einer Berliner Gemeinschaftsschule (Jahrgänge 1 bis 13). Persönlich geht es mir ganz gut. Im Moment ist ja auch ein wenig Ruhe in die Situation reingekommen. Wobei ich nicht ausschließen will, dass sich das auch sehr schnell wieder ändern kann.
Wir versuchen als Schulleitung möglichst viel Kontinuität zu schaffen - auch wenn wir wissen, dass sich manche Sachen von einem Tag auf den anderen wieder ändern können. Grundsätzlich bin ich jeden Tag vor Ort in der Schule. Das mache ich, solange wie es nötig ist und viele Dinge noch unklar sind.
Für die Schulleitungen ist Home-Office grundsätzlich nur sehr eingeschränkt möglich. Von extern kommt man an vieles nicht heran. Das geht bei der Ausstattung los: Von zuhause aus können nur die privaten Endgeräte benutzt werden. Absprachen sind daher schwierig. Es ist auch unmöglich, auf das Sekretariat zuzugreifen - und darauf bin ich ja angewiesen. Aber wie gesagt, ich komme klar.
Schule ist insgesamt sehr heterogen. Das ist eine vielfältige Gemeinschaft. Aber auch für die Kollegen und Kolleginnen ist es ein immenser Unterschied, ob man selbst Kinder hat, die man betreuen muss und gleichzeitig für eine Klasse zuständig ist. Erzieher und Erzieherinnen hingegen können sich nicht um die eigenen Kinder kümmern, weil sie dauerhaft in der Notbetreuung sein müssen, die sie abdecken.
Für das Lehrerkollegium sind sowohl die Anforderungen als auch die Möglichkeiten, mit den Schülern zu arbeiten, sehr unterschiedlich. Je älter die Schüler sind, umso besser sind sie erreichbar. Mit den älteren Schülern kann man besser über die Distanz kommunizieren. Und dann ist es auch enorm abhängig von der Unterstützung und Ausstattung, die die Schüler von zuhause bekommen. Es gibt Schüler, die kommen überhaupt nicht klar, weil sie sich mit vier Geschwistern den Computer teilen – wenn es einen gibt.
Fakt ist: je schwieriger ein Schüler in der Schule zu erreichen ist, umso schwieriger ist er auch zuhause zu erreichen. Auch die Eltern sind sehr unterschiedlich – auch was Herkunft und Bildungsstand betrifft. Ich muss sagen, ich erlebe da insgesamt eine große Bereitschaft zur Kooperation, viel Sachlichkeit und viel Verständnis. Letztendlich geht es auf all diesen Ebenen um gute Kommunikation. Wir, von der Schule aus, müssen immer wieder bereitstehen für Verständnisfragen, für Nachfragen. Denn egal welche Entscheidung getroffen wird: Da läuft nichts völlig reibungslos.
Natürlich gibt es auch schwierige Momente. Ich erlebe eine enorme Diskrepanz zwischen der Arbeit vor Ort und der Struktur, in die wir eingebunden sind. Damit meine ich die Politik. In dem guten dreiviertel Jahr, in dem diese Pandemie inzwischen besteht, sind noch immer keine guten und verlässlichen Strukturen geschaffen worden. Und es fehlt auch noch immer an Ressourcen. So können wir uns nicht die Kernaufgabe von Schule - nämlich der Bildung und Erziehung von Schülern - konzentrieren. Sondern wir - und das gilt für die Leitung und das Lehrerkollegium - sind mit ganz vielen anderen Vorbereitungen beschäftigt. Damit ist nicht die Unterrichtsvorbereitung gemeint, sondern es geht um Strukturvorbereitungen. Da reden wir zum Beispiel von der Computer-Administration oder dem Datenschutz. Das machen die Kollegen alles nebenher und zwar bei laufendem Betrieb, ohne dass sie da irgendeine Ausbildung oder Unterstützung hätten.
Und dann wäre da beispielsweise noch der Umgang mit den Gesundheitsämtern. Da ist immer das Gesundheitsamt zuständig, wo ein Kind oder ein Kollege oder eine Kollegin wohnt. Für die Pädagogen, die in Quarantäne mussten, gab es total unterschiedliche Entscheidungen von dort. Das führt, genau wie die Tatsache, dass es keine gesicherten Erkenntnisse darüber gibt, wie sich das Pandemie-Geschehen auf Schulen auswirkt, zu großer Verunsicherung. Wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin einen krebskranken Ehepartner hat, muss er trotzdem zur Arbeit kommen. Kinder hingegen dürfen zuhause bleiben, wenn die Angehörigen zu Risikogruppen gehören. Das ist zwar verständlich, weil sonst vermutlich zu viele Pädagogen nicht zur Verfügung ständen, aber das bringt einfach sehr viel Unruhe ins Kollegium.
Wir sitzen also hier mit einem Organisations-Chaos und versuchen, für die Schule eine Struktur reinzukriegen. Das wird dann schwierig, wenn es – wie vergangene Woche Freitag – bis 16 oder 17 Uhr heißt, die 9., 10. und 13. Klassen sollten wieder zum Unterricht kommen – auch wenn sich die Gewerkschaft und die Elternvertreter dagegen ausgesprochen haben. Wenn wir dann gegen 18 Uhr aus der Presse erfahren, dass es am Montag nun doch nicht so stattfindet, ist das enorm schwierig.
Es wird auch nicht besser dadurch, dass unsere interne Email-Kommunikation nicht vom Arbeitgeber bereitgestellt wird. Wir benutzen eine Webmailer-Plattform, um den Kollegen eine Schul-Mailadresse einzurichten, die dann von einem Tag auf den anderen von den Verwaltungsrechnern lahmgelegt werden. In der Schule kann ich also nur über mein Mobiltelefon die Mails meiner Kollegen abrufen. Von Verwaltungsrechnern wiederum kann man nicht an Videokonferenzen mit der Schulaufsicht teilnehmen. Auch hierfür benötigt man die privaten Geräte.
Leider genießen wir als Schulen offenbar auch nicht das Vertrauen der Politik, dass wir sinnvolle Lösungen vor Ort schaffen. Unser Alternativszenario beispielsweise, das wir im Spätsommer als Schule erstellen sollten, falls die Zahlen steigen würden - was sie dann taten - ist noch nie zur Anwendung gekommen.
In den Vorgaben der Politik hingegen gibt es oft Dinge, die gar nicht machbar sind. Wenn alle Grundschüler drei Stunden Schule haben sollen pro Tag und ich sie in Gruppen einteilen muss, komme ich auf 30 Unterrichtsstunden für eine Klasse. Ich habe aber nur 24 Stunden zur Verfügung. Zuvor, als noch Präsenzunterricht stattfand, sollten die Lehrer Schüler in der Schule unterrichten und sich gleichzeitig auch um die Schüler kümmern, die nicht in die Schule kommen konnten, weil sie in Quarantäne waren. Wie soll das denn gehen?
Was wir jetzt dringend bräuchten, wäre mehr Planungssicherheit. Am besten bis Ostern. Wir würden gern nicht mehr mittwochs oder freitags erfahren, wie es in der folgenden Woche läuft. Es müsste genau umgekehrt laufen. Wenn gesagt würde, dass wir uns nach derzeitigem Infektionszahlenstand darauf einrichten, bis Ostern so eingeschränkt weiterzumachen, könnten wir viel besser damit leben. Dann könnte man immer doch, wenn es sich wider Erwarten bessert, schnell zu mehr Präsenz zurückkehren. Von mir aus auch von Freitag zu Montag. Und Planungssicherheit brauchen wir ganz schnell auch, was das Abitur angeht.
Immerhin besteht im Hinblick auf die Digitalisierung durch die Pandemie jetzt so ein großer äußerer Druck, dass dem System Schule gar nichts anderes übrig bleibt, als sich dem Thema zu stellen. Soweit wie wir jetzt sind, wären wir - davon bin ich überzeugt - in 20 Jahren noch nicht gewesen. Die meisten Kollegen haben jetzt erlebt, wie förderlich und unterstützend digitales Lernen und Lehren sein kann. Das wird nicht einfach aufhören, wenn die Pandemie vorbei ist. Da erleben die Schulen einen unheimlichen Schub.
Gesprächsprotokoll: Sabine Priess
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