#Wiegehtesuns? | Gründerin einer Boulderhalle
Bettina zieht mir ihrer Familie von Berlin nach Greifswald, um dort eine Boulderhalle aufzubauen. Zum Jahresende muss sie zum zweiten Mal wegen Corona schließen. Und nun? Erfahrungen einer Geschäftsgründung zu Pandemiezeiten. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Bettina, 41, ist Mutter zweier kleiner Kinder und Geschäftsführerin einer Boulderhalle in Greifswald. Die gelernte Journalistin* zog 2020 von Berlin nach Greifswald, um sich hier mit einer Kletterhalle selbständig zu machen. Und sie stellt fest: Zwei Jahre nach ihrem letzten #Wiegehtesuns? spielt Corona immer noch eine große Rolle in ihrem Leben – privat und mittlerweile auch geschäftlich. So geht es Bettina:
Ich komme in eine leere Boulderhalle, wir haben mal wieder geschlossen, mal wieder wegen Corona. Unsere Halle in Greifswald ist eine von drei kommerziellen Boulderhallen in Mecklenburg-Vorpommern, alle zu, wie alles im Freizeitsportbereich. Nur Fitnessstudios haben eine Ausnahmegenehmigung. Warum, ist nicht nachzuvollziehen, aber ich bin müde geworden, in den Corona-Maßnahmen Gerechtigkeit zu suchen. Ich finde mich persönlich gerade damit ab, einfach mal eine Pause zu bekommen.
Wir haben die Boulderhalle Anfang 2021 fertiggestellt, doch der Corona-Stab im Landkreis untersagte unsere Öffnung im Frühjahr. Damals haben wir uns aber nicht damit abgefunden.
Unser Pandemiekonzept sah vor, je einen Haushalt für ein bestimmtes Zeitfenster klettern zu lassen – in einer 1.000 Quadratmeter großen Halle mit vielen tausend Kubikmetern Luft! Erst nach langem Hin und Her, Gesprächen mit der Wirtschaftsförderung und einer Begehung durch Amtsärzte wurde das Konzept doch genehmigt.
Es war psychologisch für mich so unfassbar wichtig zu sehen, dass innerhalb weniger Stunden alle Slots ausgebucht waren. Und ein unglaublich warmes und tolles Feedback von unseren ersten Gästen zu bekommen für das, was wir aufgebaut hatten – das hatte ich gebraucht, um weiterzumachen! Aber nach nur drei Tagen kam in Mecklenburg-Vorpommern der harte Lockdown. Alles wieder zu.
Für mich als Gründerin war das hart. Wir mussten unseren finanziellen Puffer für laufende Kosten verbrauchen. Da Gründer bis Mai 2021 (!) nicht bei den Überbrückungshilfen berücksichtigt wurden, mussten wir die Bank überzeugen, uns einen weiteren Kredit zu gewähren. Die Zeit war auch schwer für mich als Mutter. Ich bin mit meiner Familie aus Berlin weg, um die Halle hier an der Ostseeküste aufzumachen. Seit Jahren stand schon unser Segelboot hier, unsere Familienurlaube waren entweder Ostseeurlaube – oder eben Kletterreisen.
Eine Kletterhalle gab es in Greifswald noch nicht, die perfekte Geschäftsidee, der perfekte Neuanfang. Mit meiner wenige Monate alten Tochter auf dem Arm feilte ich am Businessplan. "Bouldern boomt und wird dieses Jahr erstmalig olympisch, das ist die Zeit!", dachte ich noch Anfang 2020.
Dass ich das mit den Kids schaffen könnte, daran hatte ich keinen Zweifel. Meine Kids hatten ab Dezember 2020 Kitaplätze, aber die Kita war meist nur für Kinder systemrelevanter Eltern offen. Gründer gehören nicht dazu. Deshalb sind die beiden jetzt richtige Gründerkinder: Ich strich die Wände mit der kleinen Maus im Tragetuch und der "Große" musste einfach mithelfen auf der Baustelle.
Mit einem Dreivierteljahr Verspätung konnten wir im Juni 2021 endlich richtig eröffnen – für ein Indoor-Sportangebot an der Küste ein schlechter Zeitpunkt. Aber durch unsere Social-Media-Aktivitäten und ganz viel Netzwerken (im Norden spricht man miteinander), hatte sich schon eine Gemeinschaft gebildet.
Wir waren im Plan – bis uns im November 2G plus das Genick gebrochen hat. Wir haben mittlerweile 18 Mitarbeiter, davon drei Festangestellte. Wir konnten zuerst die 450-Euro-Jobber nicht mehr beschäftigen, unsere "Festen" sind wieder in Kurzarbeit. Wir hatten einen großen Wettkampf geplant, wären Ende Dezember die vierte Station der legendären Ostblock-Cup-Wettkampfreihe gewesen – doch wir mussten absagen. Am 15. Dezember kam die Schließungsanordnung. Eröffnen, schließen, wiederholen.
Wir tilgen seit diesem Monat unseren Kredit und wir setzen auf Überbrückungshilfen, die zum Glück verlängert wurden und darauf, dass das Geschäft wieder gut anläuft, wenn wir die Türen wieder öffnen. Es ist ein wunderbares Gefühl, das Kraft spendet, einen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen treffen, um den Sport zu treiben, den sie lieben.
Gelernt habe ich in diesen zwei Jahren, wie viel man schaffen kann, wenn man sich gegenseitig unterstützt, und wie sehr es hilft, offen zu sein, wenn es mal nicht so läuft. Planung kann immer nur einen Rahmen geben. In diesen Zeiten ist eher Flexibiliät gefragt. Privat habe ich in Greifswald bereits viele Freunde gefunden – und meine Kinder auch.
Ich wünsche mir für das neue Jahr ein schönes Ankommen in unserem neuen Zuhause, und dass wir alle lernen, in Zukunft gut mit der Pandemie zu leben, um tun zu können, was wir gerne tun.
* Anmerkung der Redaktion: Bettina hat auch für den rbb gearbeitet
Artikel im mobilen Angebot lesen