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Audio: Inforadio | 09.11.2020 | Anna Corves | Quelle: dpa/Tarantino

#Wiegehtesuns? | Die Intensivkrankenschwester

"Wenn ich drei Intensivpatienten betreue, arbeite ich am Anschlag"

Anja Voigt hat schon im Frühjahr die erste Corona-Welle hautnah miterlebt. Die 48-Jährige ist Intensivkrankenschwester im Vivantes-Klinikum Neukölln. Mit großer Sorge schaut sie auf die sich auftürmende neue Infektionswelle. Ein Gesprächsprotokoll.  

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

 

Die Berliner Intensivstationen füllen sich mit Covid 19-Patienten – doch es fehlt an Menschen, die sie versorgen können, an Fachpflegekräften wie Anja Voigt. Was für sie bedeutet: Arbeit am Limit – dabei stecken ihr die Anstrengungen der ersten Corona-Welle noch in den Knochen. So geht es Anja:

Wir haben zwei Intensivstationen. Die eine nimmt jetzt ausschließlich Covid-Patienten auf, die andere muss alle anderen Intensivpatienten versorgen, da wird jetzt nicht mehr nach Erkrankungen unterschieden. Beide Stationen sind jetzt ständig voll belegt, das ist sonst nicht so.

Die Situation ist sehr angespannt, deutlich angespannter als im Frühjahr. Jetzt gerade kommen wir personell noch klar. Aber es geht ja darum, bei Bedarf noch mehr Betten aufzustellen. Nur: Selbst, wenn nur ein einziges Bett dazukommen würde, würden wir das gar nicht mehr schaffen. Wir arbeiten schon jetzt am Limit. Damit meine ich nicht nur uns Pfleger, sondern auch das ärztliche Personal. Es ist wirklich überall verdammt eng mit dem Personal.

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Natürlich gab's Stellenausschreibungen und Bemühungen um neue Leute. Aber es ist einfach kein Personal da. Der Markt ist leer. Die Aufrufe, die man jetzt akut von allen Kliniken hören kann: Bitte kommen Sie, egal, ob Sie eine medizinische Vorbildung haben oder nicht, finde ich allerdings merkwürdig – was vermittelt das denn für ein Bild? Klar haben wir eine Notlage, aber es kann einfach nicht jeder sinnvoll am Patienten helfen.

In der ersten Corona-Welle haben viele Kollegen von anderen Stationen bei uns auf der Intensiv ausgeholfen. Das war toll, die waren sehr engagiert. Da hätte ich mir vorgestellt, dass man die über den Sommer nachqualifiziert. Dass man ihnen zum Beispiel mal einen Beatmungskurs anbietet. Damit sie im Fall der Fälle – so wie jetzt – nochmal zu uns kommen und dann schon viel effektiver arbeiten können. Aber das habe ich bei uns im Haus nicht erlebt. Jetzt steht man da wie am Anfang. Das ärgert mich wirklich.

Ich befürchte, dass wir Pfleger jetzt wieder beides ausbaden müssen: Die Corona-Pandemie und die Tatsache, dass zu wenige den Job machen wollen. Die Krankenhausgesellschaft hat ja schon gesagt, dass die Verlängerung der Schichten auch eine Möglichkeit wäre, um den Mangel an Pflegekräften zu lindern.

Längere Schicht, kürzere Ruhezeiten? Ich kenne keine Pflegekraft, die in der Not pünktlich den Hammer fallen lässt – aber es braucht doch wenigstens ein paar verlässliche Rahmenbedingungen, um sich mal erholen zu können.

Und es wird wieder darüber diskutiert, die Personaluntergrenzen auszusetzen. Eigentlich darf ein Intensivpfleger höchstens drei Patienten betreuen. Diese Regel wurde schon im Frühjahr außer Kraft gesetzt und das wollen viele Kliniken jetzt wieder. Das finde ich ehrlich gesagt dreist.

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Wenn ich drei Intensivpatienten betreue, arbeite ich am Anschlag. Und Covid-Patienten sind besonders aufwändig, da ist man zwei, drei Stunden bei einem einzigen Patienten im Zimmer. Davon sollen wir dann vier versorgen? Oder noch mehr? Das geht nicht.

Ich bin bei uns auch Betriebsrätin. Wenn ich es mit dem Frühjahr vergleiche, hat sich die Stimmung unter den Kollegen schon sehr verändert. Es gibt zwar immer noch viel Zusammenhalt. Aber wir sind alle deutlich erschöpfter – und frustrierter. Auch weil wir weiter das Gefühl haben, dass unsere Arbeit nicht wertgeschätzt wird.

Klar, wir haben im Frühling viel Zuspruch erhalten, das hat mich auch gefreut. Wir haben auch vom Land die Prämie bekommen, 450 Euro pro Kopf. Aber als es neulich Tarifverhandlungen gab, Pfleger gestreikt haben, gab es extrem viel Kritik, nach dem Motto: Wie könnt ihr denn in diesen Zeiten streiken? Dabei hat sich an unseren Arbeitsbedingungen doch gar nichts verbessert.

Zu Erschöpfung und Frust kommt bei vielen Kollegen auch die Angst hinzu, sich selbst mit Corona zu infizieren, die eigene Familie zu gefährden. Wir haben infizierte Kollegen. Und die Masken, die wir im Dienst tragen, wirken wenig vertrauensbildend. Mengenmäßig haben wir genug, aber die Qualität ist zum Teil schlecht. Und wenn man sich vorstellt, dass wir wirklich eng und direkt mit Covid-Infizierten arbeiten, ist das schon fragwürdig.

Ich persönlich habe vor etwas anderem große Angst: Dass wir irgendwann entscheiden müssen, wen wir behandeln und wen wir nicht behandeln können, weil wir einfach nicht genug Leute haben. Davon sind wir noch weit entfernt. An den Punkt zu kommen, wo Menschen sterben, obwohl man sie hätte retten können, wenn man mehr Kapazitäten gehabt hätte – das ist mein größter Horror.

Gesprächsprotokoll: Anna Corves

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