#Wiegehtesuns? | Die Allgemeinmedizinerin
Ansteckungsgefahr durch infizierte Patienten, Diskussionen über Maske und Abstandsregeln, Verunsicherungen und eher entspannte ältere Menschen - wie eine Berliner Allgemeinmedizinerin das Corona-Jahr erlebt. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Karin U., 56 Jahre, ist Allgemeinmedizinerin mit eigener Praxis in Berlin. So geht es ihr:
Dieses Jahr war anstrengend für uns in der Praxis wegen der ständigen Ansteckungsgefahr durch infizierte Patienten. Während unserer Infektionssprechstunde tragen wir immer Schutzkleidung, FFP2-Masken und Visiere. Nach jedem Patientenkontakt wird die Schutzausrüstung gewechselt. Zwischendurch desinfizieren und lüften wir ständig.
Viele Patienten berichten von persönlichen schwierigen Situationen. Die Stimmung ist oft geprägt von Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, auch Ängsten um die Gesundheit und um den Arbeitsplatz. Es gibt Anpassungsstörungen bei Eltern, die ihre Kinder versorgen müssen – trotz Arbeit. Kontrollverlust: Die Leute wollen irgendwo alles im Griff behalten. Und in dieser Zeit müssen viele liebe Gewohnheiten aufgegeben werden.
Die Bereitschaft sich und andere zu schützen, bleibt weiterhin ein ständiges Thema. Die alten Menschen sind eher unkompliziert. Sie haben mehr Angst um ihre Gesundheit und sind mit den Hygieneregeln meistens einverstanden.
Aber alltägliche Diskussionen über den Sinn der Maßnahmen finden weiterhin mit einigen Patienten statt. Das kann manchmal sehr anstrengend sein. Es geht darum, im öffentlichen Bereich die Regel zu beachten. Mein Eindruck ist, dass man diese Solidarität immer wieder einfordern und erkämpfen muss
Von den Corona-Demos halte ich persönlich nichts. Auch als Ärztin finde ich es furchtbar, sich in einer großen Masse zu bewegen, ohne sich zu schützen. Das ist sehr leichtsinnig. Ich habe nichts dagegen, dass jemand seine Meinung öffentlich äußert. Aber die Abstandsmaßregeln nicht einzuhalten, finde ich schon grob fahrlässig. Es haben sich auch einige Demonstranten infiziert. Ich kenne einige Patienten, die auf einer Gegendemo waren und grob beleidigt und fast tätlich angegriffen wurden.
Die Politik versucht natürlich, Regeln vorzugeben. Aber das fruchtet nicht so. Ich glaube, dass manche Appelle einfach zu allgemein und nicht konkret genug sind, um die Leute bei der Stange zu halten. Man könnte auch darauf verweisen, dass es schon immer Pandemien gab. Und anschauen, wie die dann am Ende abgelaufen sind, etwa die Spanische Grippe 1918. Es ist nicht das erste Mal, dass die Gesellschaft sowas erlebt. Vielleicht würde es helfen, dass man einfach mal schaut, wie die Vergangenheitsbewältigung war. Dass solche Pandemien eben schon öfter da waren, und dass sie dann auch überstanden wurden.
Ich werde ab Januar beim mobilen Impfen in Seniorenheimen teilnehmen. Die meisten Impfzentren werden vermutlich erst Mitte Januar starten. Es wird natürlich dauern, bis eine Herdenimmunität vorhanden ist. Wir werden uns also noch länger an die Hygiene- und Abstandsregeln halten müssen.
Ich freue mich jedenfalls auf den Frühling, wenn es wärmer wird, wenn mehr Leben draußen ist. Dann wird alles wieder ein bisschen unkomplizierter.
Gesprächsprotokoll: Ula Brunner
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