#Wiegehtesuns? | Initiative Kneipenretter
Keine Gäste, aber die Kosten bleiben: viele Kneipen fürchten im Lockdown um ihre Existenz. Deswegen hat der Berliner Leon Redlinger zusammen mit einer Handvoll Freunden die Initiative Kneipenretter gegründet. Sie helfen mit Geld - aber nicht nur. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Leon Redlinger, (Jahrgang 1995), hat gerade sein erstes juristisches Staatsexamen an der Humboldt-Universität abgeschlossen. Vor dem Lockdown läutete der gebürtige Berliner das Wochenende gerne mit Freunden in seiner Neuköllner Stammkneipe ein. Er ist Mitgründer der Initiative Kneipenretter. So geht es Leon:
Angefangen hat alles zu Beginn des ersten Lockdowns, irgendwann im März oder April. Ich habe mich mit ein paar Freunden virtuell getroffen, und wir haben überlegt, dass wir normalerweise jetzt in unserer Stammkneipe gewesen wären. Wir waren auch mit einigen Wirtinnen und Wirten in Kontakt und wussten, dass es vielen finanziell schlecht geht.
Wir haben uns gefragt, wie wir helfen könnten. Da wir eine relativ hohe Spendenbereitschaft und große Solidarität unter den Berlinerinnen und Berlinern beobachtet haben, sind wir auf die Idee gekommen, eine Plattform zu gründen, die es Menschen ermöglicht, für ihre Stammkneipe zu spenden. Das war der Startschuss für die Initiative Kneipenretter.
Die Gründergruppe war buntgemischt: ein Lehrer, ein Journalist, ein IT-Spezialist und ein befreundeter Politiker, Kevin Kühnert, waren neben mir mit von der Partie. Im März haben wir mit der Planung begonnen und haben uns relativ schnell darum gekümmert, alles rechtlich abzusichern und die nötige digitale Infrastruktur zu schaffen. Wir haben sehr viel ehrenamtliche Arbeit reingesteckt, um das schnellstmöglich online gehen zu lassen. Im April ist kneipenretter.org an den Start gegangen, zunächst mit nur wenigen Kneipen.
Wir haben viel Mundpropaganda gemacht, einen Imagefilm gedreht und probiert, uns über soziale Netzwerke Gehör zu verschaffen. Strategisch war es außerdem gut, dass wir über Kevin Kühnert eine gewisse Aufmerksamkeit generieren konnten. Irgendwann ist Kneipenretter dann zum Selbstläufer geworden. Heute machen fast hundert Kneipen mit. Es kamen schon über 70.000 Euro zusammen.
Im Moment melden sich Wirtinnen und Wirte auch per E-Mail bei uns und fragen, ob wir nicht ein wenig mehr auf ihre Situation aufmerksam machen können. Viele haben uns geschrieben, dass sie auf das bisher gesammelte Geld angewiesen sind, weil die Corona-Hilfen zum Teil noch nicht ausgezahlt wurden oder auch vorne wie hinten nicht ausreichen. Manche scheitern auch bei der Antragsstellung, die Hürden sind recht hoch.
Ich habe den Eindruck, den Wirtinnen und Wirten geht es finanziell aktuell fast noch schlechter als im ersten Lockdown. Das Publikum bleibt aus, während die Miete weiter munter abgeht. Es ist eine ziemlich desolate Situation. Ich höre schon sehr, sehr viel Wehmut. Viele verzweifeln.
Wir versuchen, Zuversicht zu vermitteln, nicht nur finanziell zu helfen, sondern auch moralisch. Das darf man nicht unterschätzen. Klar, eine Spende ist Geld, und Geld ist nötig. Aber jede Spende ist auch ein Symbol. Die Wirtin unserer Stammkneipe in Neukölln zum Beispiel war sehr gerührt, als sie gesehen hat, wie viele Menschen für sie im ersten Lockdown gespendet haben. Sie meinte, das hätte ihr fast mehr geholfen als das Geld.
Wir garantieren, dass jeder gespendete Cent bei den Kneipen ankommt. Aber das muss natürlich auch alles ordnungsgemäß passieren, wir müssen aufpassen, dass wir keine Fehler machen. Das ist schon viel Arbeit, zumal wir ja auch alle einen Job haben. Zurzeit gehören zehn Leute zum Kernteam.
Unsere Motivation, dass diese Kneipen gerettet werden, ist nicht nur eine persönliche. Kneipen sind halt nicht nur wirtschaftliche Unternehmen, sondern für viele eben auch eine extrem wichtige Zuflucht in der Stadt. Das Produkt einer Kneipe ist letztlich nicht, dass es dort kalte Getränke gibt. Die kriege ich an jedem Späti oder Supermarkt.
Das Produkt einer Kneipe ist die Geselligkeit: Verschiedene Menschen treffen aufeinander, man unterhält sich in lockerer Stimmung und es ist völlig egal, wo man herkommt, wo man hinwill oder wer man ist. Kneipen gehören einfach zum Stadtbild und machen Berlin zu der attraktiven Stadt, die sie ist, in der wir geboren und aufgewachsen sind und auch noch lange leben wollen.
Irgendwann ist diese Pandemie vorbei. Dann ist sie Geschichte. Wir hoffen natürlich, dass die Menschen dann auch in die Kneipen strömen. Da freu ich mich schon drauf. Bis dahin hoffe ich aber, dass viele Menschen auf Kneipenretter aufmerksam werden und die Kneipe ihres Vertrauens in diesen schweren Zeiten – finanziell wie moralisch – unterstützen.
Gesprächsprotokoll: Ula Brunner
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