#Wiegehtesuns? | Die Schuldirektorin
400 Schülerinnen und Schüler, zu wenig Personal, eine Flut von Regeln, unzufriedene Eltern, Übergangslösungen und täglich andere Arbeitsbedingungen. Warum seit Corona jeder Tag eine einzige Herausforderung ist. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Karin M. [44, Name von der Redaktion geändert] ist Direktorin einer Berliner Grundschule mit 400 Kindern. Ihr Job hat mittlerweile mit Pädagogik wenig zu tun. So geht es Karin:
Der Kopf brummt, bloß nichts vergessen! Aber als Schulleitung tragen wir nun mal die Verantwortung. Leider ändern sich ständig die Bedingungen für unsere Arbeit: Stundenplan, Aufsichten, Klassenstärke und Betreuungszeiten. Das Personal ist viel zu knapp,und der Bedarf ist sehr hoch. Nur 70 Prozent der Lehrkräfte sind derzeit in der Schule, der Rest gehört zur Risikogruppe und arbeitet im Home Office.
Mit der Teilung der Klassen wegen der Abstandsregeln verdoppelt sich ganz einfach mal der Bedarf an Lehrern. Wir suchen nach Lösungen, verringern die Stundenzahl der Jahrgänge. Egal, welches Konzept wir entwickeln: Alles muss dokumentiert, statistisch erfasst werden. Und na klar: Personal, Senat, Schulträger, Schüler und Eltern müssen informiert werden, möglichst ausführlich und nachvollziehbar.
Was wird in den Sommerferien geschehen, wenn die Erzieherinnen und Erzieher der freien Träger in den Urlaub gehen, wir aber die Notbetreuung fortsetzen müssen? Springen dann Lehrer ein?
Eine Flut von Fragen und deren Lösungen sind Tag für Tag abzuarbeiten: Wie sieht der Stellenplan der Lehrer für das neue Schuljahr aus? Wie sind die Reinigungsintervalle auf den Toiletten zu garantieren? Was ist mit der Mensa: Reicht der Platz für das Gratisessen? Wieviele Lehrer sind krank, beim E-Mailverteiler für die Eltern fehlen Anschriften, wer darf welchen Eingang benutzen, welche Fächer können in welchem Umfang unterrichtet werden?
Möglichst rasch mussten der Hygieneplan, die Gefährdungsbeurteilung und die Hausordnung mit neuen Regelungen etwa hinsichtlich der Toilettennutzung auf den Weg gebracht werden. Doch viele Anforderungen widersprechen sich.
Ständig überlegen wir, wie denn eigentlich die Leistungen der Schüler beurteilt werden, die Hausaufgaben oder das Lernen zu Hause. Das alles ist aus fachlicher und pädagogischer Sicht unbefriedigend und frustrierend für die Schüler, die Lehrer und die Eltern – vor allem mit Blick auf die Zeugnisse und das kommende Schuljahr.
Für eine Pandemie ist unsere Schule technisch nicht ausgestattet. Lernplattformen und Kommunikationswege via Live-Chat und Videokonferenz sind wichtig für einen guten Kontakt zwischen Schule, Eltern und Schüler. Die technische Ausstattung oder die digitalen Möglichkeiten der Schule können aber nur mit ungeheurem Aufwand an die Corona-Situation angepasst werden. Aber die Mühen rechtfertigen den Nutzen zum jetzigen Zeitpunkt kaum.
Der Datenschutz setzt Grenzen, die auch nicht durch innovative Lösungen überwunden werden können. Vielmehr bewegt sich Schule teilweise in einer Grauzone, die uns angreifbar macht. Die Zeit, die die Klärung in Anspruch nimmt, wird uns als Faulheit ausgelegt, weil 'nichts passiert'. Dabei ist es so: Wir dürfen keine persönlichen Daten von unseren Schülern, keine Zeugnisse auf dem eigenen Laptop haben oder auf einen Stick ziehen.
In vielen Bereichen erreichen uns solch konträre Anfragen: Warum gibt es so wenig Unterrichtsmaterial? So viel Unterrichtsmaterial schaffen wir nicht zu Hause! Erklärungen und Klarstellungsversuche kosten Zeit und verursachen Unsicherheit. Die Verunsicherung ist schon intern kaum zu ertragen. Sie ist für Außenstehende, die von Schule Professionalität erwarten, noch weniger auszuhalten.
Menschlichkeit geht ein Stück weit verloren: Die hohe Belastung ohne den persönlichen Kontakt im Lehrerzimmer, in den Klassen, den Schulgremien und mit den Verantwortlichen, wird durch ständige Erreichbarkeit und die Erwartung einer zügigen Antwort oder Aussagen härtester Tonart immer weiter gesteigert. Wir nehmen die positiven Rückmeldungen wahr, freuen uns darüber und werden im nächsten Augenblick durch eine E-Mail, einen Anruf, in einem Gespräch durch Vorwürfe wieder runtergezogen.
Und wir organisieren das nächste Schuljahr ohne die fristgemäße Zuarbeit zum Beispiel aus dem Schulamt. Wir müssen die Eltern der Schulanfänger vertrösten, erzeugen damit selbst den Unmut, den wir zu spüren bekommen. Außerdem benötigen wir einen neuen Caterer für die Schulmensa. Also müssen Testverkostungen stattfinden. Alles muss korrekt sein, denn das Bewerbungsverfahren der Caterer ist an viel Geld gebunden – wir dürfen nichts falsch machen und keine Frist verpassen.
Immerhin: Baumaßnahmen werden durchgezogen und die Reinigung wurde verbessert. Für vier Stunden haben wir eine Putzkraft mehr pro Tag. Das war vor der Schulschließung nicht möglich und nicht finanzierbar. Wir freuen uns und wundern uns über diesen kleinen Fortschritt.
Gesprächsprotokoll: Ansgar Hocke
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