#Wiegehtesuns | Die Sexarbeiterin
Sexarbeiterin Ruby verliert wegen des Corona-Berufsverbots Einnahmen und Kunden. Ihre sexuellen Dienstleistungen bietet sie nun auf anderem Wege an. Protokoll eines Arbeitsalltags ohne Körperkontakt. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Unter ihrem Künstlernamen Mademoiselle Ruby arbeitet die 39-jährige Brandenburgerin seit vier Jahren hauptberuflich als Sexarbeiterin in Berlin. Eigentlich. Seit Beginn der Corona-Krise ist ihr das gesetzlich untersagt, um die Ausbreitung des Virus' einzudämmen. So geht es Ruby:
Seit Mitte März ist für mich Schluss mit meiner sogenannten empfangenden Arbeit, das heißt seitdem habe ich keine Kund*innen mehr getroffen. Ich kam da gerade aus Tirol wieder, wo ich einen Vortrag über Sexarbeit gehalten habe. Da Tirol als Risikogebiet galt, habe ich mich danach selbst isoliert, bereits einige Tage, bevor das generelle Berufsverbot für alle körpernahen Dienste ausgesprochen wurde.
Dann kam die Isolation durch die Regierung, also das Berufsverbot. Bei Zuwiderhandlung gibt es drakonische Strafen in Höhe von 5.000 Euro. Dieses Berufsverbot ist für mich besonders bitter. Es kam unerwartet und meine primären Einnahmen sind komplett weggefallen.
Weil mir einmal der Arsch auf Grundeis ging und ich existenzielle Angst hatte, dass ich irgendwann meine Miete nicht zahlen kann, musste ich mir schnell überlegen, was stattdessen funktionieren könnte. Ich schreibe jetzt erotische Geschichten, persönlich und kundenzentriert und auf Wunsch spreche ich die dann auch als Audio ein. Ich biete meine SM-Dienste nun auch am Telefon oder per Mail an.
Außerdem habe ich 2019 eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Hypnotiseurin gemacht und biete diese erotische Hypnose jetzt ebenfalls telefonisch an. Andere Kolleginnen nutzen auch Webcams. Aber das ist nicht so meins, schon allein, weil in Brandenburg das Internet nur ruckelt und zuckelt. Und ja, ich musste zwischendurch auch mal für 450 Euro Regale auffüllen.
Meine Kund*innen sind natürlich glücklich, dass es überhaupt einen Kontakt im Moment gibt. Und ich habe auch viel Solidarität erfahren, denn die haben auch gleich gewusst, dass das eine wirklich schwierige Zeit für Sexarbeitende in Deutschland ist. Die meisten sind neugierig und probieren meine neuen BDSM-Angebote per Mail oder Telefon gerne aus. Aber ich bezweifle, dass dieser Trend anhält. Je länger die Krise anhält, umso weiter wird das Thema an den Rand gedrängt und ich spüre auch langsam, dass das Interesse an Dienstleistungen ohne Körperkontakt ein bisschen abflaut. Davor habe ich auch Angst.
Weil meine Nebenverdienste nur unregelmäßig sind und ich nicht damit rechnen kann, dass ich in vier Wochen noch den gleichen Erfolg mit meinen neuen Online- und Telefonangeboten habe, habe ich gleichzeitig schnell versucht, Unterstützung vom Staat zu bekommen. Der hat nämlich allen angemeldeten Selbstständigen zugesichert, im Falle eines Berufsverbots Soforthilfe zu geben.
Wenn wir Sexarbeitenden einer angemeldeten Selbständigkeit nachgehen, sollten wir auch so behandelt werden, wie andere Solo-Selbständige auch. Also habe ich die Soforthilfe beantragt. Sowohl in Berlin als auch Brandenburg gibt es Online-Formulare, bei denen man begründen muss, warum man bedroht ist, Verdienstausfall zu erleiden. Doch im direkten Vergleich mit Berlin merke ich, dass das hier alles viel länger dauert. In Berlin hatten meine Kolleg*innen nach drei, vier Tagen das Geld auf dem Konto. Gestern habe ich nach fast vier Wochen Wartezeit endlich Soforthilfe bekommen und bin für den Moment sehr erleichtert.
Doch die Förderung zieht einen Rattenschwanz an Fragen nach sich: Wie darf ich das Geld verwenden, was darf ich davon bezahlen? Dann wollen die irgendwann die Bücher überprüfen kommen. Ich fühle mich da ausgeliefert. Ich weiß noch nicht mal sicher, ob ich das Geld irgendwann zurückzahlen muss, da hieß es von der Sachbearbeiterin nur "ich glaube nicht", aber ich will nicht glauben, sondern wissen.
Ich würde mir da vom Staat mehr Klarheit für alle selbstständig arbeitenden Berufsgruppen wünschen, denn das Problem haben nicht nur wir Sexarbeitenden. Es braucht schwarz auf weiß die Information, dass es sich bei der finanziellen Hilfe um eine Grundsicherung handelt und nicht um ein Existenzssicherungskredit. Da muss meiner Meinung nach bei der Verwendung der Soforthilfe überall und für alle nachgebessert werden. Ich habe auch Arbeitslosengeld II beantragt, was ich nie wollte. Ich habe mich dazu entschlossen, selbstständig zu arbeiten, damit ich unabhängig von Almosen bin.
Ich weiß, dass es mir in der Branche verhältnismäßig gut geht. Vielen Kolleg*innen geht es schlechter. Viele können ihre Rechnungen nicht mehr zahlen. Es gab Hilfefonds von Prostituiertenberatungsstellen wie Hydra. Doch die Töpfe waren bald leer, daran sehe ich, dass es enorm große Not gibt. Viele Kolleg*innen sind in der Corona-Krise von Wohnungslosigkeit bedroht, sie haben teilweise nach der Schließung der Bordellbetriebe und der oft daran angeschlossenen Zimmervermietung nicht einmal mehr einen Platz zum Schlafen.
Für mich ist die Sexarbeit auch immer eine politische Arbeit und ich kämpfe für Rechte von Sexarbeitenden, auch und gerade während der Corona-Krise. Mit einer Kollegin mache ich auch einen Podcast [Podcast whoroscope]. Soweit wir können, spenden wir Honorare für Interviews an Hilfsfonds für Sexarbeiter*innen in Not. Neben dem politischen Engagement helfen mir auch meine Tiere durch die Krise, ich bin sehr glücklich mit meinen beiden Katzen und meinem Pferd und ich bin viel draußen in der Natur.
Doch meine Perspektive hat sich durch Corona nicht verändert. Ich war vorher schon systemkritisch und habe die Verteilung von Reichtum in unserer Gesellschaft hinterfragt, mehr Geschlechtergerechtigkeit gefordert sowie Sexismus und Rassismus zurückgewiesen. An der Situation der Sexarbeitenden auf der Welt lassen sich viele Probleme ablesen und Corona macht gerade für alle Not und Ausbeutung noch sichtbarer. Ich habe ein bisschen Hoffnung, dass die Leute das jetzt mal sehen. Jetzt können sie nicht mehr wegschauen.
Gesprächsprotokoll: Jenny Barke
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