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Quelle: rbb/M. Behrendt

rbb|24-Adventskalender | Hochgestochen, tiefgestapelt

6. Tür: Die Sehnsucht ohne Möwen

Diesmal: besonders behandelt. Eine Stadt braucht Güter, eine Großstadt viel davon - und viel transportieren können vor allem Schiffe. Der Berlin-Hype aber hat vergessen, die Häfen der Stadt mitzunehmen. Der Westhafen immerhin winkt noch und will hinterher.

24 Geschichten mit Höhen und Tiefen aus Berlin und Brandenburg. Was ist besonders hoch oder tief, ist nur besonders speziell zu erreichen oder irgendwie anders besonders. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.

Berlin ist eine Fließwasserstadt - und das liegt nicht nur an der Panke. Hinzu kommen die Stromschnellen der Wuhle und die Wellen der Dahme. Die Wildwasser von Spree und Havel setzen wassermäßig von Osten und Norden kommend noch einen drauf. Ahoi Berlin - Stadt der fünf River. Rotterdam hat nur einen, maximal zwei.

Viele Fließgewässer, viele Seen - für all diese Fluten braucht es Anlegestellen, Hafenanlagen und Ankerplätze. Berlin geizt auch hier nicht, aber nur ein Hafen macht das Rennen in Sachen "Größe". Es ist der Westhafen.

Sehnsucht ohne Möwen

Sehnsuchtsorte - so nennen Reiseautorinnen einsame Berghütten oder hippe Städte. Ein Hafen aber ist der Sehnsuchtshimmel: In der Ferne trötende Schiffe, obendrüber kreischende Möwen und überall Seemänner, die Taue spleißen und Pfeife rauchen. Sie alle fehlen im Westhafen. Dafür aber hat er eine Autobahn an der Westflanke, eine Sylter Straße mit Wasseranschluss und am Nordzipfel einen Knast mit winkenden Häftlingen, die einsitzen, weil sie sich nicht rechtzeitig auf ein Schiff Richtung Meer hatten retten können.

Berlin braucht Häfen - aber jetzt für Yachten

Viele Berliner Häfen und Kanäle sind in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden. Keiner nutzte sie. Vom Urbanhafen, Berlins ältester Güterumschlagstelle, sind nur ein paar Enten übrig, der Nordhafen hat es nicht geschafft, die Anleger an der Fischerinsel sind verschwunden und am Humboldthafen spucken nur noch die Bahnkapitäne ins Wasser. Zwar macht der Freizeit- und Wohlstandsboom einige Anlegestellen in Berlin wieder zu Häfen, aber das sind Plätze für Yachten und nicht für Großgüter.

Kriege, Teilung, Deindustrialisierung und die Wende hat der Westhafen überstanden. Seinen 100sten hat er im Herbst gefeiert und hält sich wacker. Aber auch nur das.

Der Boom war früher

Die Geschichte des Hafens startete erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Lange zuvor bereits hatten Stadtarchitekten gedrängt, ähnlich wie für die Bahnen auch für die Schiffsgüter an den Enden der Himmelsrichtungen Umschlagplätze zu bieten: Ziegel für die Berliner Mietskasernen aus den Brennereien in Brandenburg, Kies aus den Gruben des Umlands und Getreide für die vielen Brote. Die Anleger an der Stralauer wurden zum Osthafen, und Moabit bekam den Westhafen. Allerdings durch Krieg und Krisen erst mit zwanzig Jahren Verzögerung.

Boom durch florierenden Handel aber sieht anders aus: in den Dreißigern ganz groß, dann Kriegszerstörung und Erholung, dann Teilung und Nischendasein und seit der Wiedervereinigung ein Auf und Ab mit schwächelnden Umschlagszahlen. Berlins Gewässer können viel. Güter aber gehören nicht zu ihren Stärken.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

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