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Quelle: rbb/M. Behrendt

rbb|24-Adventskalender | Hochgestochen, tiefgestapelt

13. Tür: Der Überweg der Fleischfabrik

Diesmal: besonders schweinisch. Städte präsentieren gern Bauwerke, die mit Bestwerten glänzen und groß auf Vergleichsgrafiken prangen. Berlin hatte solch ein Teil, das europaweit in seiner Kategorie führte. Aber es roch irgendwie und kam dann weg.

24 Geschichten mit Höhen und Tiefen aus Berlin und Brandenburg. Was ist besonders hoch oder tief, ist nur besonders speziell zu erreichen oder irgendwie anders besonders. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.

Sonntags gibt's Fleisch! - Kaum ein Herz springt bei dieser Ankündigung heute noch höher. Sonntags gab es früher ganz oft Fleisch, weil Fleisch ordentlich satt machte und teuer war und es für diesen besonderen Tag aufgehoben wurde. Das meiste Fleisch auf den Berliner Tischen kam im 20. Jahrhundert vom Zentralviehhof an der Landsberger Allee - eine frühe Einrichtung zentralisierter Lebensmittelversorgung in der wachsenden Stadt Berlin.

1.100 Schlächter und 110.000 Tonnen Fleisch

Geplant zur Mitte des 19. Jahrhunderts sollte der Zentralviehhof vor den Toren der Stadt liegen - mitbetrieben und tiermedizinisch kontrolliert von den Behörden der Stadt, so die Forderung des Mediziners, Hygienepioniers und damaligen Stadtverordneten Rudolf Virchow. Private und unüberwachte Schlachtereien waren schon lange ein Hygienerisiko für die Stadt. 1881 startete am Rand von Berlins Nachbarstadt Lichtenberg der Betrieb auf einem vom Magistrat gekauften Gelände.

Die Betriebszahlen rund zwanzig Jahre später weisen den Umfang dieses Schlachtimperiums aus: 1.100 Schlächter schnitten jährlich dort hundertausende Tonnen Fleisch aus den Leibern von rund 187.000 Rindern, 857.000 Schweinen, 164.000 Kälbern und 447.000 Schafen (Stand: 1900).

Geschätzt 34.000 Waggonladungen erreichten das riesige Gelände jährlich. 110.000 Tonnen von dort produziertem Fleisch und zubereiteter Wurst landeten jährlich auf den Tischen der rund zwei Millionen Berlinerinnen und Berliner. Aus den Zahlen der Illustrierten "Die Woche" im Jahr 1900 lässt sich leicht Stolz und Eindruck lesen, die Folgen der Industrieschlachterei aber beschrieb die Zeitung damals nicht. Noch nicht.

Rüber und weg

Berlin wuchs um den Viehhof herum. Immer tiefer atmete die Stadt die Ausdünstungen dieser Viehfabrik. Es war laut, es stank und man konnte hören, was hier passierte. Also begann man den Schlachthof zu ummauern. Aber um vom damaligen S-Bahnhof Zentralviehhof zur Eldenaer Straße in Friedrichshain zu kommen, musste man mitten über den Blutshof.

Dieser Schlachtgang wurde dann in den 1930ern mit einer riesigen Fußgängertraverse überbrückt: Wer auf die andere Seite wollte, musste drüber laufen, sah nichts mehr, nur riechen ging noch: 420 Meter - ohne Ausblick, denn die Brücke war eine beleuchtete Röhre, Milchglas und Blech versperrten den Blick auf das Fleisch im Hof. Später wurde die Brücke zum Fennpfuhl auf 505 Meter verlängert.

15 Jahre ohne Tiere untendrunter

Einen europäischen Rekord wiesen die Bücher für die Brücke als damals längste Fußgängerbrücke des Kontinents aus. Aber es war keine Brücke zum Stolzsein, nichts, wo man Touristen hinführte und Feierstunden abhielt. Es war ein düsterer Höllentunnel ohne Abzweigungen hunderte Meter über der Schlachtfabrik.

Als der Schlachthof 1991 geschlossen wurde, verlor dieser oberirdische Tunnel seinen Zweck. Es dauerte 15 Jahre, bis auch ein Großteil der Rekordbrücke verschwand - Rudimente von ihr führen noch über die Gleise. Eigentlich hatte sie Denkmalwert. Aber Fans hatte sie nie.

Sendung:

Beitrag von Stefan Ruwoldt

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