Corona-Regeln laufen aus
Vor drei Jahren fiel das Osterfest flach. Kontaktbeschränkungen, Ladenschließungen - der erste Lockdown legte das Land lahm. Nun laufen die letzten Corona-Maßnahmen aus. Können wir die Pandemie abhaken? Von Oliver Noffke
Es ist offiziell vorbei. "Wir haben in Deutschland die Pandemie erfolgreich bewältigt und auch mit einer guten Bilanz." Das sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Mittwoch. Seit Karfreitag besteht auch in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen keine grundsätzliche Maskenpflicht mehr. Drei Jahre nach dem ersten Corona-Shutdown sind damit sämtliche Einschränkungen, die mit der Pandemie begründet wurden, wieder aufgehoben.
Was mit einem globalen Schock begann, mit Ausgangssperren, mit Kontaktbeschränkungen, dem Schließen von Grenzen und mit dem Absagen von Familienfesten an einem Osterfest, endet nun maximal unaufgeregt: Eine Hygieneregel läuft aus.
Pandemien können auf mehrere Arten enden. Politischer Wille gehört nicht dazu. Idealerweise wird der Erreger ausgerottet. Was nicht mehr existiert, kann auch keinen Schaden anrichten. Allerdings ist es der Menschheit bisher nur einmal gelungen, einen Erreger zu beseitigen: bei den Pocken.
Das lag an einer Verkettung günstiger Umstände. Humane Pocken können nur von Mensch zu Mensch übertragen werden. Mehrfachansteckungen sind ausgeschlossen; wer die Pocken überstanden hat, ist ein Leben lang immunisiert. Zudem konnte gegen die Pocken ein sehr potenter Impfstoff entwickelt werden, der auch besonders leicht zu handhaben ist, weil er nicht gekühlt werden muss.
Zu guter Letzt war der öffentliche Druck da, denn vor den Pocken fürchtete sich die Welt. Noch im 20. Jahrhundert sollen bis zu einer halbe Milliarde Menschen an den Pocken gestorben sein. Wer die Krankheit überlebte, musste mit dauerhaften, massiven Schäden rechnen. Etwa mit dem Verlust des Augenlichts. Mit einer ausgeklügelten, weltweit koordinierten Impfkampagne konnten die Pocken eingekreist und schließlich komplett beseitigt werden. Seit 1980 gelten sie als ausgerottet. Lediglich in einer US-amerikanischen und eine russischen Forschungseinrichtung befinden sich heute noch Proben der Humanen Pocken.
Eine Ausrottung von Sars-CoV-2 wird nicht gelingen. Das Virus konnte bei Dutzenden Tierarten nachgewiesen werden; Übertragungen von Mensch auf Tier und Tier auf Mensch sind gut dokumentiert. Das Virus wird sich also sehr wahrscheinlich Reservoirs schaffen, auf die der Mensch nur eingeschränkten Zugriff haben wird; innerhalb von Tierpopulationen in abgelegenen Gebieten zum Beispiel.
Auch wird die Bevölkerung niemals vollkommen immunisiert sein. Mehrfachansteckungen mit Covid haben viele bereits erlebt; kein bisher verfügbarer Impfstoff kann das Virus dauerhaft in die Schranken weisen, der Impfschutz lässt mit der Zeit nach. Doch Sars-CoV-2 hat sich mit der Zeit abgeschwächt.
Andere Pandemien sind ähnlich zu Ende gegangen. Etwa die Spanische Grippe vor gut einhundert Jahren. Nach drei Ansteckungswellen ebbte ihr Schrecken schnell ab. Das erste Sars-Virus konnte vor 20 Jahren durch schlichte, aber effektive Maßnahmen wie Quarantäne, Abstand halten und intensivierte Hygieneregeln in Schach gehalten werden. Es ist zwar weitaus gefährlicher als Sars-CoV-2, aber deutlich schlechter übertragbar. Auch die Schweinegrippe verschwand nach wenigen Monaten wieder.
Anderen Seuchen ist weitaus schwerer beizukommen. Nach wie vor werden jedes Jahr Hunderttausende Menschen mit HIV infiziert. So lange kein Heilmittel existiert, wird die Ausbreitung des Virus lediglich weiter verlangsamt, aber nicht gestoppt werden können. Die Krankheit verläuft unbehandelt tödlich, das Virus verlässt den Körper nicht wieder.
Gesundheitsexpert:innen konzentrieren sich darauf, Infizierte möglichst schnell medikamentös zu behandeln, um das Virus in ihren Körpern zurückzudrängen. Außerdem wird versucht Risikogruppen aufzuklären oder prophylaktisch zu behandeln. In vielen westlichen Ländern konnte eine weitere Ausbreitung von HIV mit dieser Strategie stark verlangsamt werden. In ärmeren Ländern ist dies hingegen nicht gelungen.
Inwiefern Deutschland die Corona-Pandemie tatsächlich "erfolgreich" und mit "guter Bilanz" überstanden hat, wie Bundesgesundheitsminister Lauterbach es formulierte, wird noch Thema vieler Debatten sein. Firmen sind pleite gegangen, komplette Branchen mussten sich neu erfinden, Schüler:innen und Studierende haben zum Teil jahrelang allein in ihren Zimmern gelernt. All die von der Pandemie Gestressten und Ausgelaugten müssen so lange auf einen Psychotherapieplatz warten wie nie zuvor in Deutschland.
Die US-amerikanische Johns Hopkins University [coronavirus.jhu.edu] hat die Pandemie bereits am 10. März beendet. Seitdem zählen die Forschenden der Universität nicht mehr, wie viele Menschen sich anstecken, ausheilen oder mit Corona infiziert sterben. 6.881.955 Todesfälle haben sie insgesamt gezählt. Allein in Deutschland sind demnach 168.935 Menschen in Zusammenhang mit dem Virus gestorben – das entspricht ziemlich genau der gemeinsamen Bevölkerung von Cottbus und Frankfurt/Oder.
In Brandenburg hat das Gesundheitsministerium Ende Februar aufgehört tägliche Pandemiezahlen zu veröffentlichen [msgiv.brandenburg.de]. Bei 6.473 Corona-Toten hat die Statistik aufgehört zu zählen. In Berlin steht man aktuell bei 5.666 Menschen, die infiziert gestorben sind [berlin.de]. Es werden weitere hinzukommen. Vielleicht wird Sars-CoV-2 sich weiter abschwächen, vielleicht wird es regelmäßig Erkältungswellen auslösen.
Klar scheint, dass es zu weiteren Pandemien kommen wird. Dort, wo natürliche Ökosysteme zerstört werden und wilde Tiere dazu gezwungen werden, nah bei Menschen zu leben, steigt das Risiko einer Zoonose. Also einer Infektionskrankheit, die es schafft, die natürliche Barriere zwischen den Arten zu überwinden und vom Tier auf den Menschen überzuspringen.
Manche Erreger schaffen das regelmäßig. Die sogenannten "Affenpocken" zum Beispiel oder Ebola. Von beiden Erregern gab es in den vergangenen Jahren Ausbrüche, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufmerksam beobachtet wurden. Wie der nächste Erreger aussieht, der die Welt einnimmt, ist unklar. Die Pandemie hat aber auch gezeigt, wie schnell wissenschaftliche Erkenntnisse heutzutage vorliegen können.
Am 7. Januar 2020 wurde ein bis dahin unbekanntes Coronavirus für eine Reihe schwerer Lungenerkrankungen im chinesischen Wuhan verantwortlich gemacht. Sechs Tage später war sein Genom entschlüsselt. Ein Jahr darauf fuhren die Shuttlebusse zu den Impfzentren. Niemals zuvor konnte die Menschheit quasi in Echtzeit einen Impfstoff oder ein Medikament gegen einen pandemischen Erreger entwickeln.
Drei Jahre lang hat Corona unser Leben bestimmt. Jetzt sind die letzten Schutzmaßnahmen abgeschafft. Die Pandemie ist vorbei. Das Virus bleibt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 07.04.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Oliver Noffke
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