Am Späti in Buch
Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: ein Wachschützer mit einem Faible für Elektronik, der nach einer Trennung im Obdachlosenheim landete.
rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.
Wer: Frührentner aus Moritzfelde
Alter: 52
Uhrzeit: 14:21 Uhr
Gekauft: eine Packung Zigaretten
Woher: zu Hause
Wohin: nach Hause
Späti: Ein Lotto-Toto-Laden in der Nähe des S-Bahnhofs Berlin-Buch.
Er ist mit einem Mountain-Bike am Lotto-Toto-Laden angekommen und hat sich gerade Zigaretten geholt. Erst möchte er nicht sprechen, kommt dann aber nach ein paar Minuten wieder zurück. Er hat es sich anders überlegt. Interviews seien eigentlich nicht so sein Ding. Er ist aber direkt sehr zugänglich und lacht viel.
Ich mache hier in Buch auf dem Gelände vom ehemaligen Stasi-Krankenhaus privaten Wachschutz, weil viele Brände dort gewesen sind und Vandalismus. Ich finde, solche "lost places" [verlassene Orte; Anm. d. Red] müssen bewahrt werden. Die sind wirklich schön. Das ist mein Hobby.
Nachts ist es eigentlich relativ ruhig dort. Am Wochenende vormittags ist es schlimm wegen der Kids. Die sind so 12, 13. Die rennen auf dem Gelände und auf dem Dach rum. Wenn sie richtig Randale machen, dann sage ich was. Aber ansonsten – ich bin ja nicht die Polizei – ich darf die ja nicht anfassen oder wegführen.
Mein Vater war in der DDR im Ministerrat für Schwermaschinen- und Anlagenbau in Magdeburg. Der Ministerrat war Teil der Regierung und die Regierungsleute mussten hier ins Krankenhaus gehen, wenn sie was hatten. Mein Vater war zum Beispiel in der Reha im Regierungskrankenhaus. Das hatte übrigens auch ein Schwimmbad und einen Bunker drunter.
Das Stasi-Krankenhaus hat nur einen kleinen Bunker, kein Schwimmbad, aber dafür ist es riesengroß. Von der Architektur her finde ich das wunderschön, das ist echt cool gemacht. Der Ort bedeutet mir wirklich viel, merkste ja.
Auf seinem Handy zeigt er eine Aufnahme vom Dach des Krankenhauses bei Sonnenaufgang. Man kann über ganz Berlin blicken.
Du hast Natur da - Riesen-Mücken! Du hörst nur Vogelgezwitzscher, das ist einfach schön. Ich mag das gerne, alte Bunkergelände generell.
In Moritzfelde - im Dorf gleich nebenan - bin ich groß geworden. Oma hatte die Kneipe, meine Mutter hatte in der Akademie der Wissenschaften gearbeitet – als Sekretärin aber nur. Ich habe eine schöne Kindheit gehabt. Mich hat‘s immer wieder aus Berlin rausgezogen. Ich mag die Großstadt nicht. Als ich sieben war, sind meine Eltern nach Berlin gezogen – nach Alt-Hohenschönhausen – da, wo der Stasi-Knast ist. Das kenne ich noch als Kind, da war eine weiße Mauer davor, da sind die Leute von der Armee mit MG Spalier gelaufen. Als Kind kannte man das nicht anders, aber man wusste gar nicht, was dahinter ist.
Er wird immer redseliger, Fragen müsste man ab jetzt eigentlich gar nicht mehr stellen. Er erzählt und erzählt und erzählt.
Mein Jahr lief bis jetzt sehr gut. Seit meine Freundin weg ist - das ist jetzt
auch schon fast 10 Jahre her - bin ich irgendwie nicht mehr hochgekommen. Ich bin damals aus meiner Wohnung geflogen. Ich habe einen Freund bei mir aufgenommen, der keine Wohnung mehr hatte - du denkst, ihr seid Freunde. Und dann hat er mit meiner Freundin in meinem Schlafzimmer rumgepoppt und die sind zusammengekommen. Könnte ich nicht, würde ich auch nie machen. Er hat sie dann auch mitgenommen. Da bin ich nie drüber hinweggekommen.
Dann habe ich mal hier, mal da gewohnt. Auf dem Gelände vom ORWO-Haus in der Landsberger Allee war noch ein anderes Musikhaus, was sie geräumt hatten. Ich war da der Elektriker und habe auch im Keller gewohnt. Dann ein Jahr bei meinen Eltern und dann bin ich für ein Jahr ins Obdachlosenheim in Lichtenberg gezogen. Das war top saniert, aber da liefen Kakerlaken rum, die Klos sahen aus, das willst du dir nicht vorstellen. Dann habe ich zufällig einen Platz in einem Wohnprojekt gefunden. Da wohne ich jetzt. Ich hatte auch eine Betreuerin für den ganzen Quatsch, den ganzen Behördenkram – ich bin Handwerker. Bin Elektriker.
Ich hatte vor drei Jahren einen dreifachen Hirninfarkt im Krankenhaus. Wurde eingeliefert mit Luftmangel. Zwei Tage später habe ich durch die Blutverdünner, die ich bekommen habe, einen dreifachen Hirninfarkt bekommen. War nicht schön. Halbseitig gelähmt. Dann hatte ich auch noch einen epileptischen Anfall. Ich konnte gerade noch den Knopf drücken und bin dann am nächsten Tag wieder aufgewacht. Das hat fünf Tage gedauert – fünf Tage und dann konnte ich wieder raus. Hut ab, gute Leute dort. Da haben sie auch einen Herzfehler festgestellt und mir letztes Jahr einen Defibrillator eingesetzt.
Er zündet sich ein Zigarette an. "Aber rauchen geht noch", sagt er
ironisch.
Das war witzig – letztes Jahr im Februar. Morgens rein um 8. Da war ein Riesenbildschirm und ich hab geguckt, "oh", und hab über die Technik gestaunt. Sonst hat sich da keiner für interessiert, alle wollen immer die Augen zu machen. Ich würde am liebsten zugucken! Voll interessant!
Er lacht, zieht sein T-Shirt hoch und zeigt eine Narbe unter seinem linken
Arm.
Ich bin ein Cyborg! Kostet Viereinhalbtausend Euro, ist so groß wie eine Schachtel und setzt nur ein, wenn das Herz aussetzt. Ich habe es einmal schon erlebt – das ist, als wenn du im Schlaf ‘ne Keule vor den Kopf kriegst. Mit Blitz, dann zitterst du kurz und dann bist du wieder wach.
Auch jetzt hört er nicht auf, breit zu grinsen.
Ich habe nicht immer gearbeitet, sagen wir mal so. Ich war fast zehn Jahre selbstständig. Das war eigentlich die schönste Zeit in meinem Leben. Messe-, Bühnenbau-, Veranstaltungstechniker. Ich bin auch um die Welt gekommen – hatte mich vorher eigentlich nie interessiert. In Birmingham zum Beispiel, dann in Madrid, da habe ich mal gemerkt, was normale Wärme ist. Messebau war immer cool.
Ich habe Ahnung von Elektronik, Elektrik. Ich bin ein Technik-Freak. Ich liebe Upcycling – ich liebe Kunst generell, egal welche Richtung. Ich habe aus einem alten Handymotor – die haben ja so einen kleinen Vibrationsmotor – einen Skorpion gebaut. Vom Herd hinten habe ich diese kleinen Brücken genommen. Die sehen aus wie zwei Skorpion-Kneifer, dann habe ich kleine Batterien eingesetzt, einen kleinen Schalter dran und vorne kleine LEDs aus dem Handy eingesetzt als Augen. Wenn der Motor an war, hat er sich durch die Vibration gedreht.
Seine Augen leuchten, als er von seinen Tüfteleien erzählt. Er spricht jetzt
sehr leidenschaftlich.
Einer im Obdachlosenheim hat das gesehen und wollte das unbedingt kaufen für seine Freundin – er wollte wissen, wie viel ich dafür haben will. Ich sag: "Pass auf, das ist Manufaktur, da habe ich lange dran gesessen." Er wollte mir 20 Euro geben, ich hab’s ihm dann gegeben. Wenn es nach der Arbeitszeit geht, die da drin steckt, hätte er das niemals bezahlen können.
Was ich mir wünsche? Wäre schön, wenn ich mal wieder ne Freundin hätte. Aber das Ansprechen ist nicht so leicht. Früher habe ich das gemacht, aber heute erschrecken sich die Frauen so dermaßen – alle haben sie ein Telefon in der Hand. Da hat sich schon viel verändert. Aber vielleicht bin ich auch zu alt. Man sagt mir zwar, man sieht mir das nicht an – aber ich fühle mich auch wie 52.
Eigentlich bin ich glücklich – bis auf eine Frau habe ich eigentlich alles. Ich habe meinen Spaß hier, habe meine Wohnung. Mehr brauchst du heutzutage nicht. Habe eine handvoll guter Freunde, das reicht. Meine Oma hat mir viel mit auf den Weg gegeben: "Rede mit dem Menschen zehn Minuten und du weißt, ob ihr weiterreden werdet." Sie hat recht.
Er zündet sich noch eine Zigarette an.
Eine rauch‘ ich aber noch!
Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb|24
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