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Quelle: rbb

Am Späti in Berlin-Buch

"Alle wollen lange leben, aber keiner will alt werden"

Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: ein Rentner mit einem Faible für Kalendersprüche, den die Sache mit der Natur umtreibt.

rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.

Wer: Rentner aus Buch
Alter: 85
Geld: Bar
Woher: vom Einkaufen
Wohin: nach Hause
Späti: Ein Lotto-Toto-Laden in der Nähe des S-Bahnhofs Berlin-Buch

Er kommt mit zwei großen Einkaufstaschen aus dem Späti heraus. Bevor wir richtig ins
Gespräch kommen, möchte er etwas vorlesen – in der Hand hält er das heutige
Kalenderblatt. Auf die Rückseite hat er seine Einkaufsliste geschrieben. Er hat einen
Kalenderspruch entdeckt, der ihn sehr amüsiert. Er liest vor.

"Alle wollen lange leben, aber keiner will alt werden."

Er lacht sehr laut und herzhaft.

Ich bin 85 - ich mache gerne Sport, bewege mich viel. Ja, das ist ne schöne Sache. Lauf!
Lauf! Lauf!
Ich laufe gerne in der Natur. Ich habe immer viel Sport gemacht. Wenn ich
früher von der Arbeit kam, habe ich direkt alles weggelegt und bin erstmal in der Natur
gelaufen. Das war natürlich eine schöne Sache.

Während er spricht, strahlt er über das ganze Gesicht.

Ich habe in Schöneberg im Rathaus gearbeitet, war in der Bauaufsicht und
Wohnungsaufsicht. Ich komme eigentlich aus Pankow, aber wir sind dann hierher nach
Buch gezogen. Die Luft ist ja hier besser als in der Stadt – aber das merkt man nicht,
wenn man arbeitet. Bei der Bauaufsicht war ich 20 Jahre – aber immer im Wechsel – mal
hier, mal da, mal hopp. In Weißensee, dann kam die Wende, dann sind wir wieder nach
Friedrichshain. In Kreuzberg war ich auch. Am schönsten war’s in Schöneberg. Da war
Stimmung!

Er lacht

Wir haben einen Garten, da sind wir viel, auch mal mit den Enkelkindern. Wir haben drei Kinder und elf Enkelkinder. Gestern waren wir in Schwanebeck. Da ist ja so ein großer Belustigungspark, das war schön gewesen. Einer von den Enkelkindern, das ist ein Zwillingspaar, will im Oktober heiraten. Hier auf dem Dorf. Der andere ist schon verheiratet. Die meisten sind alle hier in Buch – fünf Minuten hin und wieder her!

Er lacht wieder laut.

Das schönste an Buch ist die Natur. Ich bin ja praktisch aus Mecklenburg-Vorpommern.
Wer aus der Natur kommt, braucht die Natur. Den Sauerstoff. Die Luft. Ich hab‘ auch
immer im Fitnessstudio mitgemacht, aber die Luft ist da nicht schön.
Mein Geheimnis? Alle in meiner Altersklasse ...

Er macht jetzt eine gebückte Haltung und imitiert eine alte Person mit Rollator.

... sind schon weit drunter, weit darunter. Sport alleine ist es nicht - das ist auch die Ernährung. Ich habe letztens einen Bericht gesehen, da ging es um die Nahrungsmittelindustrie. In Mexiko, wie die Kinder da aussehen – alle wie die Würste - dick und rund. Die sterben natürlich alle früher an Diabetes, die werden nicht alt. Mann, Mann, Mann. Und hier ist es mit der Nahrungsmittelindustrie genau dasselbe.

Man muss bei der Natur bleiben. Ich habe gelesen, den alten Leuten fehlt die Folsäure
von der Naturnahrung. Die haben doch nur diese weißen Brötchen - was soll das? Alle
bekommen nur noch Nahrungsmittel, keine Lebensmittel mehr. Er zeigt den Brokkoli in einer seiner Einkaufstaschen. Mit der Rente kommen wir gut klar. Wir sind nun nicht so verschwenderisch, wir rechnen auch. Und wir helfen den Kindern ein bisschen. Damit sie auch mal ihren Urlaub machen können.

Er lacht wieder laut.

Das ist es: Die Natur kann ohne uns leben, aber wir nicht ohne die Natur. Aber alles
Schöne muss weg, immer ein Haus nach dem anderen. Sollen sie es doch wie in China
machen - Ein-Kind-Politik. Es gibt einfach zu viele Menschen auf der Welt, das wird sich
nicht mehr umkehren.

Wer soll das denn ändern? Die Reichen und Schönen? Die Geißens wollen bestimmt nicht zurück, kennen Sie die Sendung? Die haben sechs Autos in der Garage, denen geht es gut. Wenn ich jetzt die Enkelkinder sehe, die denken sich: "Naja, machen wir erstmal den Abschluss und dies und das" ... so ein Schleichen ... das bequeme Leben. Wir sind damals reingeschmissen worden – drei Kinder und ran. Ich meine, da hatte man ja noch Freunde, hat sich Beziehungen aufgebaut. Es gab Sachen, die man nicht gekriegt hat. Die hat man dann unter der Hand gekriegt und sich gefreut. Heute kriegt man alles und die Leute werden auch so ein bisschen gleich, gesättigt.

Früher hörte man sowas gar nicht, dass es so wenig Arbeitskräfte gibt. Ich denke mir, wie
sollen die Leute denn Fachkräfte werden, wenn sie alle nur aufs Handy gucken? In der S-
Bahn ist das ja schon sehr stark.

Mit Gesten zeigt er, wie er einem Mitfahrer in der S-Bahn sein Fahrrad immer weiter
wegstellt, ohne dass der das bemerkt – weil er aufs Handy starrt.

Ich hab sein Rad genommen und immer weiter weggestellt und zu ihm gesagt: "War da
nicht irgendwie ein Rad gewesen?" Wenn man da noch einen sieht, der ein Buch liest,
denkt man: "Ach Gott, ist das schön."

Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb|24.

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