Am Späti in Lichtenrade
Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: eine Seniorin, die Schaufensterbummeln vermisst und trotz ihres hohen Alters Zukunftsangst hat.
rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.
Ich bin mit Mann und Kind hier raus nach Lichtenrade gezogen. Ich komme eigentlich aus Zehlendorf, Krumme Lanke, Schlachtensee, das ist meine Heimat. Da wohnt meine ganze Verwandtschaft. Hier in Lichtenrade wohnt noch meine Schwiegertochter, die Enkelkinder sind auch schon weggezogen. Sonst bin ich allein.
Der Späti-Inhaber grüßt sie beim Vornamen, sie muss gar nicht rein kommen, setzt sich gleich draußen an einen der beiden Tische. “Cappuccino?”, fragt er. Sie nickt, legt ihr Buch vor sich ab, setzt sich langsam.
Seit mein Mann verstorben ist, wir haben sehr viel miteinander unternommen und es war immer so anregend mit ihm, Gespräche zu führen. Das fällt natürlich jetzt flach und das empfinde ich als Einsamkeit.
Leider komme ich eher selten mit anderen Menschen ins Gespräch. Hier leben viele alte Menschen, aber man sucht ja auch irgendwie andere Gespräche, nicht über die Einsamkeit oder darüber, wie schlecht es mir heute geht oder wie gut hoffentlich morgen. Sondern: Was geschieht mit uns zurzeit? Mit Berlin? Mit Deutschland? Was haben wir noch zu erwarten?
Es ist komisch. Als das jetzt aktuell wurde mit der Wahl in den USA und in Frankreich, habe ich Zukunftsängste bekommen. Einerseits sage ich mir: Mensch, du brauchst dir doch keine Sorgen mehr zu machen, so alt wie du bist. Aber ich habe Enkelkinder und die wollen ja sehr wahrscheinlich auch Kinder haben und eine Familie gründen und da macht mich das politische Klima letztendlich schon besorgt.
Das ist alles so ein Gewurschtel mit der Ampel, da gibt es nichts Konkretes, an das man sich halten kann. Was ich aus den USA höre, beunruhigt mich auch. Die Meinung von Trump bekomme ich ja nun täglich serviert und das ist nicht gerade aufbauend.
Dann diese Riesenflüchtlingswelle, die über uns hinweggeströmt ist. Ich bin immer der Meinung gewesen: Wenn wir Arbeitskräfte brauchen, dann ist das richtig, wenn wir uns welche suchen, auch von außerhalb. Das hat ja mit den Türken damals auch funktioniert. Die sind ja auch integriert. Alles ok.
"Oi, das sieht ja schick aus", sie wird von dem Gespräch abgelenkt von einem kleinen Kind, das in einem akkubetriebenen Spielzeug-Cabrio über den Platz fährt. Irgendwann steigt es aus und schiebt das Auto. "Toll", freut sie sich.
Mein Mann und ich sind immer gerne nach Schweden gefahren, wir haben dort auch ein Haus gehabt über 15 Jahre lang. Wir haben überlegt: Bleiben wir dort? Gehen wir wieder zurück? Familie ist dann doch stärker als alles andere, die hat uns zurück nach Berlin gezogen.
Ich kenne Berlin schon sehr lange. Mittlerweile komme ich schlecht raus, ich kann nicht Auto fahren, das hat mein Mann gemacht. Wie es so ist, man sitzt daneben, lässt sich kutschieren, alles wunderbar. Durch das Skilaufen habe ich zwei kaputte Knie. Dieses flotte Laufen ist nicht mehr da, das ärgert mich fürchterlich.
Ich habe vorher gerne Schaufensterbummel gemacht. Am Kurfürstendamm, in Steglitz. Ich habe meine Spezialgeschäfte gehabt, die waren vielleicht ein bisschen teurer, aber es hat immer alles gepasst. Das geht ja heutzutage nicht mehr. Die Schaufenster werden heute gar nicht mehr so dekoriert. Den Anreiz der schönen Schaufenster, den gibt es ja gar nicht mehr. Wenn Sie sehen könnten, was hier am Tag für Pakete ankommen. Man lässt sich doch bloß noch alles schicken.
Früher war ich mal Hauswirtschaftsleiterin bei der australischen Militärmission. Ich hab für alles gesorgt, dass alle Mitarbeiter da sind, dass alle zufrieden sind, dass das Arbeiten leicht von der Hand geht und wir auch mal lachen konnten. Letztendlich haben wir mit vielen fremden Menschen zu tun gehabt und das hat mich auch geformt, das ist ja auch spannend und interessant. Ich musste nachher meine Arbeit aufgeben, denn ich bekam für mein Kind keinen Kindergartenplatz. Hier gab es ja nichts. Einen Platz hat man erst bekommen, wenn man mindestens zwei Kinder hatte. Und ein zweites Kind wollten wir uns nicht anschaffen. Wir haben das durchgerechnet, das hätte in der Zeit nicht funktioniert.
Auch heute wäre es wichtig, dass es in Lichtenrade reichlich Kindergärten- und Schulplätze gibt. Wir haben ja hier Kinder.
Die ehemalige Hauswirtschaftsleiterin ist ordentlich geschminkt, ihr dunkelgraues Haar frisiert, sie trägt ein blau-weißes Halstuch mit einem raffiniert gedrehten Knoten und hat eine rote Handtasche auf dem Schoß. "Hallo Hans", ruft sie einem älteren Mann zu, der seinen Rollator vorbei schiebt.
Hans war hier früher Kommissar. Sein Sohn Uwe war von klein auf der beste Freund meines Sohnes, bis der gestorben ist. Er ist vor fünf Jahren an einem Hirntumor gestorben. Das war furchtbar, auch die Zeit vorher.
Busverbindungen sind hier in Lichtenrade eine Katastrophe, wenn man schlecht laufen kann. Ich möchte ja auch mal in der Bahnhofstraße einkaufen und nicht nur, was Norma - wir nennen das immer die Resterampe - im Angebot hat. Ich habe noch keinen Rollator, ich möchte laufen. Ich wünschte, ich könnte laufen wie früher, einfach alles erreichen, ohne dass ich einen Bus brauche. Wie eine Biene.
Das Gespräch führte Anna Bordel, rbb|24
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