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#Wiegehtesuns | Projektleiterin für Integrationsarbeit

"Sprache ist der Schlüssel zu den Menschen, sonst wirst du ausgegrenzt"

2016 flieht Lina Hajeer vor dem Krieg aus ihrer Heimatstadt Homs in Syrien und strandet wenige Wochen später am Bahnhof in Elsterwerda. Acht Jahre später ist die studierte Englischlehrerin Leiterin für Integrationsarbeit im Verein Freiraum e.V.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Leben gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Persönliche Schilderungen

#wiegehtesuns

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten.

Kinder aus verschiedenen Nationen warten im "Café der Möglichkeiten" in Elsterwerda (Elbe-Elster) auf Lina Hajeer. An diesem Tag steht Nachhilfeunterricht in Deutsch auf dem Programm. Die 51-Jährige selbst sieht sich seit ihrer Ankunft in Deutschland als "Vermittlerin zweier Welten". Welten, die sich nach ihrer Meinung in den letzten Jahren mehr entfernt als angenähert haben. Und das hat mehrere Gründe.

Ich muss arbeiten. Es geht nicht anders. Die Arbeit ist ein Teil von mir. 14 Jahre lang habe ich die englische Sprache in Syrien unterrichtet und kaum in Deutschland angekommen, wollte ich sofort Deutsch lernen. Nach nicht einmal zwei Jahren habe ich alle Sprachprüfungen durchlaufen, mit dem Ziel, wieder als Lehrerin arbeiten zu können. Und auch dann, als mich niemand als Lehrkraft einstellen wollte, habe ich gearbeitet. Erst als Sprachvermittlerin an zwei Grundschulen und jetzt hier im "Café der Möglichkeiten".

Ich wollte mich mit meiner Arbeit in die Gesellschaft einbringen, aber natürlich brauchte ich dafür Hilfe. Der Verein "Freiraum e.V" hat mich vom ersten Tag an sehr stark unterstützt. Und ehrlich gesagt war es auch die einzige Anlaufstelle in ganz Elsterwerda, um irgendwie Deutsch zu lernen oder, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Elsterwerda ist halt nicht Berlin. Die Leute hier sind skeptisch und du musst die Sprache sprechen, damit du Teil der Gesellschaft sein darfst.

Ein Beispiel: In den ersten Jahren war ich häufig nicht mutig genug, auf der Straße jemanden anzusprechen. Alle meine Kontakte beschränkten sich auf den Verein. Heute ist das anders. Die Menschen erkennen mich sogar inzwischen und grüßen mich. Und alle, die mich nicht grüßen, die grüße ich. Das ist eines meiner Mittel, um Vorurteile abzubauen - und ich glaube, ich habe das in den letzten Jahren ganz gut geschafft.

Doch wenn ich eine Sache in Deutschland schnell gelernt habe, dass Sprache der Schlüssel zu den Menschen ist. Sonst wirst du hier ausgegrenzt. Das predige ich auch den Kindern, die zur Nachhilfe kommen.

Lina Hajeer floh 2016 aus Syrien und lebt nun in Elsterwerda | Quelle: rbb

Wenn du kein Deutsch lernst oder nicht die Möglichkeit dazu bekommst, bilden sich schnell Parallelgesellschaften. Die zugezogenen Familien bleiben dann unter sich und können sich nicht integrieren - dadurch entstehen viele Probleme. Da kann man auch nicht immer mit dem Finger auf andere zeigen und sagen, die Deutschen sind alle Rassisten! Das ist nicht in Ordnung. Wenn jemand nach Deutschland kommt, soll er die deutsche Sprache lernen und dann öffnen sich auch einige Türen.

Aber um Deutsch zu lernen, braucht es auch Angebote. Da sehe ich die Stadt Elsterwerda in der Verantwortung. Ich wünsche mir zum Beispiel mehr Kontakt zu anderen Vereinen, damit die Kinder auch mit deutschen Jugendlichen etwas erleben können. Oder Veranstaltungen, wo wir als Verein unsere Arbeit vorstellen können, damit ein Gespräch mit der Stadtbevölkerung entsteht. Zum Beispiel darüber, wie Integrationsarbeit hier im ländlichen Raum überhaupt funktioniert. Dazu müssen aber noch einige Hindernisse abgebaut werden - nur so können wir mehr voneinander erfahren.

In den letzten Jahren ist die Integrationsarbeit hier schwerer geworden. Die Deutschen sind nicht mehr so weltoffen und das hat Auswirkungen auf die Politik. Und die Politik hat wiederum Auswirkungen auf uns und den Verein. Ich trage die Verantwortung dieser Menschen auf meinen Schultern. Dabei versuche ich immer die Kinder, die hierher kommen, zu motivieren, um diesen Integrationsprozess gemeinsam zu meistern und ihnen auch gleichzeitig ein Zuhause zu bieten, wenn Sachen mal schief laufen. Aber wir sind für diesen Prozess auch dringend auf die Hilfe der Stadt oder des Landkreises Elbe-Elster angewiesen.

An der Tanke in Brandenburg

"Ich habe gar nicht mitgekriegt, dass die AfD so ins Rechtsextreme gedriftet ist"

Fast jeder kommt mal an der Tanke vorbei. Zwei rbb|24-Reporter sprechen Leute an der Zapfsäule in Brandenburg an und fragen, was sie umtreibt. Heute: eine Krankenschwester, die Demonstrationen gegen die AfD nicht nachvollziehen kann.

Meine Arbeitsstelle, zum Beispiel, ist auf zwölf Monate befristet. Jedes Jahr im Oktober laufe ich zum Arbeitsamt, um mich vorzeitig zum Jahreswechsel als arbeitssuchend zu melden. Meine Stelle als Projektleiterin für Integration hängt von Fördergeldern ab. Bis zum Dezember 2025 soll es diese Fördergelder noch geben. Was danach kommt? Keine Ahnung. Aber ohne diese Gelder, wird es das "Café der Möglichkeiten" nicht mehr geben und damit auch keine Integrationsangebote in der gesamten Stadt.

Es gab Gespräche mit der Bürgermeisterin, Anja Heinrich (CDU), über unsere Arbeit und auch mit anderen Leuten aus der Stadtpolitik, aber seit Jahren ist die Zukunft unseres Vereins ungewiss. Das ist wirklich schade. Die Kinder, aber auch die Stadt, brauchen unsere Integrationsarbeit. Und auch ich möchte weiterhin aktiv Teil dieser Gesellschaft sein.

Ich fühle mich wohl in Deutschland. Inzwischen habe ich auch einen deutschen Pass und Elsterwerda ist zu meiner Heimat geworden. Meine Söhne und mein Mann haben hier Arbeit gefunden. Mein Jüngster möchte jetzt noch die 10. Klasse nachholen und ich wünsche mir, weiterhin in der Stadt bleiben zu können. Denn wie gesagt, ich kann nicht nur Zuhause rumsitzen. Im Notfall würde ich sogar nach Berlin fahren, um zu arbeiten.

Gesprächsprotokoll: Gianluca Siska, Antenne Brandenburg

Sendung: Antenne Brandenburg, 03.12.2024, 15:35 Uhr

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