#Wiegehtesuns? | Selbstversorgerin aus der Uckermark
Die Preise steigen derzeit in nahezu allen Lebensbereichen – Ursula Macht bekommt davon kaum etwas mit. Auf ihrem Hof in der Uckermark versorgt sie sich fast vollkommen selbst. Für sie bedeutet diese Art zu leben Bereicherung – nicht Verzicht. Ein Gesprächsprotokoll.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Ursula Macht hatte viele Stationen in ihrem Leben. Als gebürtige Berlinerin studierte sie Literaturwissenschaften, promovierte in slowakischer Lyrik. Nach der Wende fand sie mit diesem Abschluss keine Arbeit. Seit 2009 lebt und arbeitet sie auf dem Artemishof in der Uckermark – ein Selbstversorgerhof mit Permakultur.
Der Lebensstandard interessiert mich nicht. Aber die Lebensqualität. Dazu gehört gesundes Essen und eine gesunde Umgebung. Aber dazu gehört eben auch Kultur, dazu gehört die Weitergabe von Wissen. All das passiert hier auf dem Hof.
Ich rede nicht von Unkraut. Bei mir gibt es nur wilde und zahme Kräuter. Alles, was an Arzneimitteln im Alltag relevant ist, finde ich hier im Garten. Ich brauche auch kein Aspirin oder Paracetamol. Ich habe hier im Garten Weide und aus Weidenrinde wird genau die Salicylsäure gewonnen für die Pillen. Aber die Weidenrinde ist viel gesünder und auch schmackhafter. Sie ist eingebunden und nicht isoliert. Das sind verbundene Wirkstoffe. Nur wissen das leider die wenigsten. Vielleicht, weil die Industrie andere Interessen hat. Da geht es nur um’s Geld und hier auf dem Hof geht es um dieses Thema nicht. Zumindest versuche ich das.
Die Natur versorgt uns mit allem. Wir leben in der Fülle. Das Denken der Industriegesellschaft ist der Mangel und da müssen wir rauskommen. Aus dem Mangeldenken in die Fülle, denn die Natur ist die Fülle. Wir haben uns abgesondert von der Erde, uns darüber gestellt. Wenn wir aus diesem Teufelskreis nicht herauskommen, werden wir den Planeten zerstören. Aber wir können da herauskommen, indem wir uns erinnern, dass wir dazu gehören. Wenn wir merken, dass Pflanzen und Tiere unsere Brüder und Schwestern sind.
Die Permakultur ist eigentlich der Weg dahin. Dabei geht es darum, von der Natur zu lernen. Sich abzuschauen, wie die Natur das macht. In der Natur gibt es keine Abfälle, nur Kreisläufe. Keine Monokulturen. "Erde schützen, Menschen schützen, fair teilen" - Das sind die Grundprinzipien der Permakultur. Die sind der Wegweiser zu einem Leben im Einklang mit der umgebenden und der eigenen Natur. Denn wir sind von uns selbst entfremdet. Die ganzen Probleme, die wir haben, resultieren daraus. Wir wären körperlich und geistig viel gesünder, wenn wir uns in diese Richtung bewegten.
Ich fühle mich den Tieren hier gleichwertig, wenn auch nicht ebenbürtig – weil sie eine ganze Menge mehr können als ich. Ich respektiere sie, sie respektieren mich. Aber ich möchte, dass sie ihre Unabhängigkeit behalten, im weitesten Sinne. Ganz geht das natürlich nicht. Wir sind mitten im Dorf, deshalb muss ich die Schafe einzäunen. Aber: ich versuche, sie nicht abhängig von mir zu machen. Die Hühner schenken mir Eier, bis sie sich draufsetzen. Dann sind es eben ihre Eier. Ich gebe ihnen ein bisschen Weizen, mehr nicht. Das ist ein Selbstversorgerhof. Für mich und für die Tiere. Weitestgehend.
Das ist eine wesentlich natürlichere Lebensform, als in der Stadt zusammengepfercht zu leben. Ich habe lange in Wohnblöcken gelebt und habe das immer als unnatürliche Lebensform gesehen. Wie Betonwaben. Beton ist für mich ein undurchlässiger Baustoff, er lässt keine Energie von innen nach außen durch oder andersrum. Für mich ist er nicht geeignet für menschliche Behausungen. Das habe ich schon als Kind so empfunden: Zu viele Menschen, zu viele Steine. Eine Stadt als unlebbarer Ort.
Ich denke, die Zukunft der Menschheit wird nicht in den Städten liegen. Die Städte werden sich verändern. Sie werden wieder zurückgehen zu ihrer Kieznatur, sie werden sich wieder in Nachbarschaften organisieren. Die Transition-Town-Bewegung macht das ja schon vor. Es geht alles – man kann sich gut ernähren, auch in der Stadt. Das Schöne ist, wir haben die andere Welt schon. Es gibt überall Projekte, die rausgehen aus dem, was wir gewohnt sind. Wir brauchen keine Angst haben!
Ich bin genügsamer geworden. Zufriedener in jedem Fall. Glücklicher? Ja! Ich habe überhaupt nichts, worauf ich verzichten müsste. Die Uckermark ist ja nicht die Wüste. Hier sind so viele Kreative rausgezogen. Die Kulturdichte ist gefühlt größer als in Berlin. Was mir fehlt, organisiere ich mit hier selbst. Ich habe hier allen Platz der Welt. Ich bin nicht eingeschränkt, nicht eingeengt. Mir fehlt nichts. Im Gegenteil: Ich habe nur gewonnen. Mir hat die Stadt nicht einen Tag gefehlt!
Auf der Suche bin ich eigentlich nach Nachfolgern. Ich möchte hier gerne alt werden, ich möchte auch mein Leben hier beschließen. Ich möchte Menschen haben, die mit mir hier leben wollen, sich wie meine Wahlfamilie anfühlen, mich einbeziehen und nicht ausschließen. Das ist, was ich mir wünsche. Und dann gerne bis 120!
Gesprächsprotokoll: Jonas Wintermantel, Antenne Brandenburg
Sendung: Antenne Brandenburg, 07.06.2022, 14:10 Uhr
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