#Wiegehtesuns? | Bundeswehr-Reservist
Der Krieg in der Ukraine beschäftigt auch Jan Ludwig. Er ist Reservist der Bundeswehr. Zustand und Ansehen der Truppe treiben ihn besonders um - und die Sorge um einen Freund an der Nato-Grenze. Ein Gesprächsprotokoll.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Jan Ludwig, 36, ist gebürtig aus Cottbus, aufgewachsen in Berlin. Nach Realschule und Grundwehrdienst verpflichtete er sich 2004 für acht Jahre als Zeitsoldat. Ludwig war am Standort Strausberg, auf der Luftverteidigungs-Fregatte “Hessen” und im Bundeswehr-Krankenhaus eingesetzt. Heute arbeitet Jan Ludwig als Disponent bei einem Krankentransportunternehmen. Er ist aktiver Reservist, um das Soldatenhandwerk nicht zu verlernen, wie er sagt. Und: weil die Bundeswehr “wie eine zweite Familie” für ihn ist.
Meinen besten Freund, der noch aktiver Soldat ist, hat es gerade richtig erwischt. Seine Einheit geht wahrscheinlich nach Litauen, die Nato-Grenze im Osten sichern. Das hat mich geschockt, da musste ich mit meinen Gefühlen kämpfen. Ich habe ihm versprochen, für seine Familie da zu sein. Er hat Frau und zwei Kinder. Die bleibt ja hier zurück.
Da spielt dann doch der Gedanke mit: Was passiert, wenn der Krieg sich ausweitet? Wie sind wir vorbereitet? In den letzten Jahren wurde bei der Bundesregierung viel gespart, gerade was Personal und Material angeht. Die Aussetzung der Wehrpflicht war für mich der schrecklichste Schritt, den man hätte machen können. Denn gerade auch durch den Wehrdienst hat die Bundewehr Soldaten bekommen. Mich eingeschlossen.
Auch was in den letzten Jahren an Material gespart wurde, ist grauenhaft. Wir haben selbst im Bundeswehr-Krankenhaus mit Materialien aus der Wendezeit gearbeitet. Erst 2010 haben wir dann umgerüstet.
Das ist schon erschreckend. Und man sieht ja auch jetzt, dass viele Sachen nicht einsatzbereit sind. Zum Beispiel die Tornados, die teilweise am Boden stehen, weil keine Ersatzteile da sind. Oder das Sturmgewehr G36, was angeblich um die Ecke schießt. Die Liste könnte noch länger werden.
Mein Eindruck ist: Viele Deutsche haben all die Jahre nach der Wende gedacht, in Europa herrscht Frieden, es kann nichts mehr passieren. Und man hat wirklich Stück für Stück die Bundeswehr runtergerüstet. Wir sind eine Mädchen-für-alles-Truppe geworden: Wir haben in der Flüchtlingskrise 2015 geholfen; beim Hochwasser, und auch jetzt wieder bei Corona. Wir sind für alles da - aber nicht für den Ernstfall, für den Verteidigungsfall.
Ich glaube, für eine gewisse Zeit wären wir in der Lage, uns zu verteidigen. Aber dann wird es auch bei uns eng. Weil wir eben viel runtergespart haben. Wenn wir jetzt wirklich in den Krieg gehen sollten und dann - sag ich mal - Panzer ausfallen und wir keinen Nachschub haben, weil irgendwelche Ersatzteile fehlen, dann stehen wir auf dem Schlachtfeld, und nichts geht mehr.
Von der Politik wünsche ich mir, dass wirklich mehr investiert wird in die Bundeswehr, nicht nur mit 100 Milliarden Euro für Material, sondern auch für Personal. Die Politik sollte sich wirklich überlegen, ob man nicht wieder den Wehrdienst aktiviert.
Ich wurde in meiner Zeit als Soldat auf dem Nachhauseweg am Bahnhof schon mal angespuckt und als Nazi bezeichnet. Das erlebe ich auch jetzt immer wieder. Ein Großteil der Bevölkerung sieht uns, glaube ich, immer noch als Wehrmacht an. Da ist immer noch der Zweite Weltkrieg in den Köpfen, und das finde ich schade, weil wir schon lange nicht mehr die Armee sind, die wir im Zweiten Weltkrieg waren.
Wenn der Ukraine-Krieg sich ausweiten sollte, sind wir diejenigen, die die deutsche Bevölkerung retten. Das sollten viele nicht vergessen, wenn sie das nächste Mal einen Soldaten auf dem Bahnhof treffen.
Gesprächsprotokoll: Sylvia Tiegs
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Sendung: Inforadio, 21.03.2022, 08:30 Uhr
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Beitrag von Sylvia Tiegs
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