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Video: rbb24 | 01.05.2023 | Nural Akbayir | Quelle: Nural Akbayir/rbb

#Wiegehtesuns | Türkisches Erdbebenopfer

"Du wachst auf, weißt nicht wohin, es ist kalt, du bist völlig hilflos"

Filiz Sönmez ist Anfang April aus der Stadt Gaziantep in der Türkei nach Berlin gekommen. Die Stadt liegt in einer Region, die mit am heftigsten von den Erdbeben getroffen wurde. Die Nacht zum 6. Februar 2023 hat ihr Leben verändert. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Filiz Sönmez (44) hat in der türkischen Stadt Gaziantep in einem Mehrfamilienhaus gelebt. Das Haus steht noch, wurde aber beschädigt. Die Wände ihrer Mietwohnung haben tiefe Risse, die sich vom Boden bis zur Decke ziehen. Seit Anfang April 2023 ist die dreifache Mutter in Berlin. Ihr Bruder Adil hat sie mit einem Schengenvisum für die Erdbebenopfer zu sich geholt. Vier Wochen lang musste er auf einen Termin bei den Behörden warten, nach weiteren zwei Wochen durfte seine Schwester einreisen. 90 Tage darf sie nun bleiben. Ihre Kinder - 16, 13 und 2 Jahre alt - leben derzeit bei Vater und Großvater in der Türkei.

Ich bin sehr froh, dass mich mein Bruder hierhergeholt hat. Mir ging es wirklich schlecht, ich war psychisch sehr angeschlagen. Wir haben einfach Schlimmes erlebt. Dieses Gefühl, das kann man nicht erklären, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Es war mitten in der Nacht, im Tiefschlaf, diese Geräusche, alles hat gewackelt. Du wachst auf, weißt nicht wohin, es ist kalt, du bist völlig hilflos. So ein Erdbeben ist einfach eine ausweglose Situation.

#Wiegehtesuns? | Berliner Ärztin mit türkischen Wurzeln

"Ich möchte vor Ort sehen, was gebraucht wird und helfen"

Die Berliner Ärztin Duygun Gül hat in ihrem Umfeld Geld für die Erdbebenopfer in der Türkei gesammelt. Im März will sie in das betroffene Gebiet, die Heimatregion ihrer Mutter, fahren und helfen. Den staatlichen Hilfsorganisationen vertraut sie nicht. Ein Gesprächsprotokoll

Nach dem Erdbeben haben wir die Wohnung geräumt. Es gab immer wieder Nachbeben. Wir sind zuerst bei meinem Vater geblieben, danach bei meinem Onkel. Die ersten vier Tage nach dem Beben haben wir im Auto geschlafen. Wir konnten kein Haus betreten, weil wir Angst hatten. Es hat immer wieder gebebt.

Nach einiger Zeit sind wir zu unserem normalen Leben übergegangen, aber die Spuren des Erdbebens sind noch da. Wie sehr man auch versucht, diese Ereignisse hinter sich zu lassen, es geht nicht. Du denkst ständig daran.

Selbst hier habe ich anfangs ständig an die Decke zur Lampe geschaut, um zu sehen, ob sie vielleicht anfängt zu wackeln. Wir haben so schlimme Dinge erlebt, versuchen aber trotzdem unsere Wunden zu heilen. Mit meinem Bruder spreche ich jeden Tag über das Erdbeben.

Ich schöpfe meine Kraft aus meinem Glauben zu Gott und aus meiner Familie. Wir haben ein sehr starkes Familienband und unterstützen uns gegenseitig. Wir schenken uns viel Liebe, sind in schlechten Tagen beieinander und füreinander da. Wir versuchen unsere Wunden gemeinsam zu heilen.

Ich bin einem Albtraum entkommen. Mein Bruder hat mich aufgefangen und mir Halt gegeben. Meiner Psyche geht es schon viel besser. Ich kann klarer denken und gesündere Entscheidungen treffen. Auch wenn diese drei Monate eine begrenzte Zeit sind, man kann sich sammeln und etwas zur Ruhe kommen. Frieden finden. Das bedeutet sehr viel.

Ich bin sehr traurig, dass meine Kinder nicht bei mir sind. Aber ich hatte Sorge, dass ihre Visaanträge nicht genehmigt würden. Es ist normalerweise schon sehr schwer ein Besuchsvisum für Deutschland zu bekommen. Deswegen dachte ich, ich würde auch keines bekommen. Aber es hat zum Glück geklappt.

Deutschland gefällt mir gut. Es ist ganz anders, als ich es erwartet hatte. Bevor ich hergekommen bin, hatte ich etwas Angst, wie ich es finden würde, ob ich es mögen und mich eingewöhnen könnte. Aber es ist ruhig und friedlich, sehr schön. Es erinnert mich etwas an die Türkei, die Menschen sind warmherzig, ich fühle mich wohl. Meiner Psyche geht es schon besser. Ich kann klarer denken und gesündere Entscheidungen treffen. Nur meine Kinder fehlen mir.

Ich würde gerne hier leben, mit meinen Kindern. Und ihnen und mir etwas aufbauen. Die Türkei ist ein Erdbebengebiet. Und jetzt haben wir diese ständige Angst in uns, dass jederzeit etwas passieren kann. Auch wenn wir unser Leben weiterleben, diese Angst steckt tief in uns drin, die können wir nicht einfach ablegen. Deutschland ist für mich der sichere Hafen geworden und ich bin sehr dankbar. Ich habe gemerkt, dass wir als Türkei nicht alleine sind. Ich bin Deutschland und auch anderen Ländern sehr dankbar.

Dieses Beben hat meine Sicht auf die Türkei als Land verändert. Wir müssen als Land sicherer werden, wir müssen mehr Vorkehrungen treffen, Gebäude erdbebensicher machen, und auch die Hilfe und medizinische Versorgung verbessern. Wir müssen uns mehr anstrengen und diese Dinge verbessern.

Gesprächsprotokoll: Nural Akbayir

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