#wiegehtesuns | Freischaffende Jazzmusikerin
Für Winnie Brückner war 2022 ein Jahr zum Aufatmen: Nach Lockdowns und Konzertverboten lief es wieder rund. Doch die Pandemie hat ihr auch Chancen geboten, Die will sie auch im neuen Jahr nutzen. Ein Gesprächsprotokoll.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Neben ihrem Vokalquartett "Niniwe" tritt Winnie Brückner in verschiedenen Ensembles als freischaffende Jazzsängerin auf. Während der Pandemie verlor sie ihre Kondition, ihre Stimme rostete ein. Denn kulturelle Spielstätten wurden geschlossen, ein Lockdown jagte den nächsten. Darüber berichtete sie rbb|24 erstmals vor einem Jahr. Für sie war die Zeit eine Zäsur. Doch ohne die Pandemie wäre sie heute nicht die Musikerin, die sie ist, resümiert sie.
Seit wir das letzte Mal gesprochen haben, habe ich mich von der Pandemie erholt. Ich habe wieder viele Live-Auftritte, gebe Workshops und Konzerte. Doch noch immer spüre ich auch die Auswirkungen der Pandemie. Ein Berg von damals abgesagten Konzerten wird noch immer nachgeholt, sodass viele Veranstalter gar nicht mehr so viel Kapazitäten haben, um neue Konzerte überhaupt in ihr Programm mit reinzunehmen.
Ich höre auch von vielen, dass Konzerte abgesagt werden müssen, weil nicht genug Tickets verkauft werden, selbst bei den großen erfolgreichen Acts. Viele Musikerinnen und Musiker bekommen immer noch zu spüren, dass weniger Leute in Konzerte gehen seit der Pandemie. Das ist leider eine Entwicklung, die zu bleiben scheint.
Doch diese Zeit hat mir auch Chancen geboten, die ich sonst gar nicht wahrgenommen hätte. Ich wurde aus meinem Alltäglichen herausgerissen, wurde gezwungen, kreativ zu werden und musste mir Alternativen suchen. So werde ich nun auch vermehrt als Komponistin wahrgenommen und bekomme interessante Kompositionsaufträge. Außerdem habe ich zwei neue Bandprojekte gegründet, mit denen ich jetzt gerade im Studio bin. Da habe ich mich musikalisch wirklich nochmal weiterentwickelt. Darüber hinaus habe ich im Oktober 2022 mein erstes eigenes viertägiges Musikfestival ins Leben gerufen und organisiert, das "be kind festival" in Neukölln.
Der Krieg dieses Jahr hat mich beruflich kaum beeinflusst. Um den Menschen in der Ukraine zu helfen, spende ich regelmäßig meine Konzerthonorare, aber ich mache das, ohne es extra zu erwähnen.
Auch die Inflation trifft mich glücklicherweise kaum. Ich merke, dass alles teurer wird, aber ein Existenzproblem bekomme ich dadurch nicht. Die Inflation gibt es auch nicht erst seit dem Krieg, sondern ich sehe das als eine längere Entwicklung und eher als strukturelles Problem. Eigentlich müssten wir Jazzmusiker:innen generell höhere Honorare verlangen. Aber wir machen das kaum, weil wir in einer schlechten Verhandlungsposition sind. Oder auch einfach, weil wir gar keine Lust haben, zu verhandeln. Wir wollen ja auch spielen und uns darüber freuen, spielen zu können.
Auch hier sehe ich die Pandemie eigentlich eher als positiven Effekt für uns: Die Kultur ist als wichtiger Bestandteil der Gesellschaft in den politischen Fokus gerückt. Es sind in der Zeit viele neue Förderprogramme ins Leben gerufen worden, relativ niedrigschwellig ist Geld für kreative Projekte ausgegeben worden. Ich wünsche mir, dass das beibehalten wird, dass das nicht wieder wegrationalisiert wird.
Auch wenn freischaffende Musiker:innen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern einen relativ guten Stand haben, würde ich mir wünschen, dass Kultur auch bei den Menschen wieder einen höheren Stellenwert einnimmt, sodass sie wieder bereit sind, für Kultur und Konzerte Geld auszugeben und wieder hinzugehen.
Im neuen Jahr freue ich mich besonders auf das Lunalia-Festival in Belgien. Für das Eröffnungskonzert darf ich eine Komposition schreiben für Oboe, Klarinette, Fagott, Trompete, Posaune, Streichquartett, acht Bassklarinetten und mein Vokalquartett "niniwe".
Beruflich macht mir eigentlich nichts mehr Angst, nur der ganze Rest. Eben dass wir einen Krieg so nah vor der Haustür haben, dass im Iran Menschen gehängt werden, dafür, dass sie für ihre Freiheit protestieren. Und natürlich, dass wir immer weiter sehenden Auges in den Klimawandel hineinmarschieren, ohne dass irgendjemand bereit ist, etwas zu tun, was angemessen wäre, um darauf zu reagieren. Ich bin schon Anfang 40, mich betrifft vielleicht nur noch der Anfang davon. Aber ich ich verstehe den Zorn der ganzen jungen Menschen, deren Zukunft gerade wohlwissentlich zu Grunde gerichtet wird.
Hoffnung macht mir, dass trotz allem Menschen im Iran auf die Straße gehen, dass Putin zunehmend isoliert ist und dass es etwas wie die "Letzte Generation" gibt, die nicht aufhört zu "nerven".
Gesprächsprotokoll: Jenny Barke
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